RAUM DES TODES – RAUM DER GEBURT
Im Gespräch mit dem Berliner Publizisten Wieland Elfferding



WIELAND ELFFERDING: „Sie sind eingeladen, sich auf eine Liege zu legen. Versuchen Sie sich zu entspannen. Sind Sie ganz zur Ruhe gekommen, drücken Sie die Fernbedienung. Sie hören eine Stimme, von der sie im Sprachgestus einer Hypnose ‚in den Tod gesprochen’ werden.“ Das hört sich an wie ein Übungsprogramm für Exit-Kandidaten.

BERNHARD KATHAN: Wir sind doch alle potenzielle Exit-Kandidaten. Durch die NS-Euthanasie war Sterbehilfe lange Zeit ein Tabu. Heute erfährt sie zunehmend gesellschaftliche Akzeptanz. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten 49 Prozent der Deutschen auch gewerbliche Sterbehilfe. Im RAUM DES TODES werden deshalb Lebensmüde von einem gewinnorientierten Unternehmen seriell abgearbeitet.

WE: Das HIDDEN MUSEUM wird sich nicht nur mit dem Tod, sondern auch mit der Geburt beschäftigen.

BK: Tod und Sterben sind in der heutigen Kunst ein großes Thema, verständlicherweise in einer Gesellschaft, die nach Baudrillard den Tod in ein Nirgendwo verbannt hat. Ich betrachte den Tod als Teil des Lebens, und wenn man es so sieht, dann gehört als zweite Klammer die Geburt dazu, eigentlich die Reproduktion. Keine Schnittstellen eignen sich besser, den durch Ökonomie und neue Technologien bedingten Wandel unserer Gesellschaft zu beschreiben. Dass sich im HIDDEN MUSEUM beide Themen miteinander verschränken, hat auch damit zu tun, dass wir in einem Alter sind, in dem man immer wieder mit Sterben und Tod konfrontiert ist. Gleichzeitig kommen Enkelkinder zur Welt und wachsen heran. Die Verknüpfung versteht sich nicht zuletzt als Würdigung des armenischen Filmemachers Artavazd Pelechian, dessen letzten zwei Kurzfilme, sie entstanden Anfang der 1990er Jahre, einmal der Geburt („Leben“), einmal dem Tod („Ende“) gewidmet sind. Für Pelechian macht jeder der beiden Filme nur dann Sinn, sieht man sich auch sein Gegenstück an.

WE: Denke ich an künstlerische Arbeiten, die ich in der letzten Zeit zum Thema gesehen habe, dann scheinen mir viele von ihnen mit einer ziemlichen Schwere daherzukommen, etwa wenn das eigene Sterben, der eigene Tod inszeniert wird.

BK: Natürlich ist das Sterben zumeist eine traurige Angelegenheit. Aber warum sollte man nicht lachen, mag einem das Lachen auch manchmal im Hals stecken bleiben?

WE: Soweit ich die beiden Projekte beurteilen kann, scheinen mir die beiden Raumgeschichten ziemlich bunt zu werden.

BK: Dass Rosa- und Blautöne dominieren, verdankt sich vor allem Günter Gstrein, der die Stoffentwürfe wie die Graphik gemacht hat. Für die inhaltliche Buntheit bin ich verantwortlich. Man kann den Tod ja nicht mit dem Tod illustrieren. Nur ein Beispiel: In einer Gesellschaft, in der ein langes Leben zu einem hohen Wert geworden ist, lohnt es sich, dem die Kurzlebigkeit von Gebrauchsgütern entgegenzusetzen. Es wird bürgerliche Unterwäsche aus der Zeit um 1900 zu sehen sein. Diese Unterwäsche wurde jahrzehntelang verwendet, was viele Flickspuren nur zu deutlich belegen. Was hat eine Serie von Händen junger Frauen aus dem Hause Habsburg mit Reproduktion zu tun? Auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten dagegen viel. Oft muss man sich Themen von den Rändern nähern, um es anders zu sagen, das Vertraute fremd, das Fremde vertraut machen.

WE: Geburt und Tod, da böte sich doch eine metaphysische Betrachtung an. Statt dessen geht es in beiden Projekten vor allem um Praktiken, Technologien, mögen diese auch fiktional sein.

BK: Ich möchte nicht mit Stimmungen arbeiten. Ich denke etwa an Bill Violas dreiteilige Videoinstallation „Nantes Triptych“ in Form eines Flügelaltares (1992). Links ist die Geburt eines Kindes zu sehen, rechts das Sterben einer alten Frau, Violas Mutter. Im Mittelteil ein Mann, der in aufsteigenden und absteigenden Bewegungen im Wasser schwebt. Schon die Anordnung lässt an einen Flügelaltar, an einen Sakralraum denken. Viola bemüht Bilder des Urwassers, der christlichen Taufe, spielt auf das Motiv der Kreuzabnahme und der Auferstehung an. Jenseits aller Religion bearbeitet Viola Themen, die einst in den Bereich der Religion fielen. So lässt sich Wirkung erzielen. Das ist mir fremd. Die beiden von mir eingerichteten Räume erinnern denn auch mehr an ein Wohnzimmer, keinesfalls an einen Sakralraum.

WE: Du hast dich lange mit Themen wie Schmerz, Tod, Reproduktion etc. beschäftigt. Auch hier ist diese Auseinandersetzung deutlich zu spüren.

BK: Ich investiere ziemlich viel Zeit, um zu einer Thematik Material zu sammeln, zu sichten, zu bearbeiten. Beschäftige ich mich in einem Kunstprojekt etwa mit der heutigen Reproduktionsmedizin, dann muss ich mich auskennen. Bestimmte Dinge muss ich freilich nicht wissen, z.B. die chemische Struktur von Hormonen. Verstehen muss ich aber, welche Möglichkeiten sich durch synthetisch hergestellte Hormone eröffnet haben.

WE: Aber dann gleitet doch manches ins Fiktionale ab. Ich denke etwa an den Besamungsroboter oder an transgene Kühe, die menschliche Föten austragen.

BK: Natürlich wird es auch in Zukunft in der Rinderhaltung keinen Besamungsroboter geben. Technisch wäre so ein Roboter kein sehr großes Problem. Nur würde er sich selbst in den größten Betrieben nie rechnen. Aber ein gutes Gedankenspiel. Übrigens ist der Besamungsroboter nicht sehr weit von der Wirklichkeit entfernt. Wie in anderen Projekten habe ich Werbematerial einschlägiger Unternehmen verarbeitet. Ich habe mit Tierärzten oder auch Agroökonomen gesprochen, mich mit Rinderhaltung beschäftigt. Zu Kunst wird das gesammelte Material freilich erst dann, wenn man es bearbeitet, oft genug verfremdet. Kunst, zumindest wie ich sie verstehe, ist allemal eine Übersetzungsleistung. Etwas sichtbar machen, was sich sonst nicht zeigen ließe. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt in einem radikalen Transformationsprozess befindet. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie die Welt, die Gesellschaft, in der wir leben, in zwanzig Jahren organisiert sein wird. Deshalb muss man sich genauer damit beschäftigen. Vieles in der heutigen Kunst kommt mit dem Anspruch, Gesellschaft zu reflektieren, ziemlich leichtfüßig daher. Wenn es nur auffällt!

WE: Im RAUM DES TODES ist eine Klanginstallation zu hören. Text und Konzept dürften sich dir verdanken, die musikalische Umsetzung der Komponistin Andrea Sodomka. Wie sieht es da mit der Autorenschaft aus?

BK: Eine gute Frage. In einer Zeit, in der jede Art von Autorenschaft fraglich wird, ist das Bedürfnis nur zu verständlich, jede Arbeit als eigene Leistung auszugeben. Ich finde es dagegen sehr schön, speisen andere während des Arbeitsprozesses ein, nimmt die einmal ins Wasser gesetzte Barke eine andere Richtung. Als ich ursprünglich mit Andrea Sodomka sprach, dachte ich an einen akustischen Klangteppich, der die Sterberede rhythmisch strukturieren sollte. Entwickelt hat sich dann aber etwas ganz anderes. Andrea Sodomka hat feinen akustischen Eingriffen auf einer zweiten Ebene eine Komposition unterlegt, deren Frequenzbereiche außerhalb unseres Hörfeldes liegen, die also nicht zu hören ist, aber dennoch auf uns wirkt, den Blutdruck, die Atmung oder den Serotoninspiegel beeinflusst. Übrigens sollten sich Menschen, die an epileptischen Anfällen oder an bestimmten psychiatrischen Krankheitsbildern leiden, die Klanginstallation nicht anhören. Eine Komposition, die nicht wahrnehmbar ist, gleichzeitig aber Wirkung zeigt, finde ich eine schöne Metapher für eine gute Arbeit.

WE: Lässt mich an Werbeästhetik denken.

BK: Wir verkaufen nichts. Es geht um Erfahrungsräume. Natürlich muss man um Wirkung bemüht sein. Aber das hat noch lange nichts mit Werbung zu tun. Um das eben Gesagte noch zu ergänzen: Ein gutes Projekt verdankt sich Fremdeinträgen, der Zusammenarbeit. Und am Ende ist das wesentlich mehr als nur die Summe von Einzelleistungen. Die erwähnte Klanginstallation verdankt sich neben Andrea Sodomka anderen, nicht zuletzt Martin Lauterer, der die Sprecheraufnahme gemacht hat. Er brachte das Wissen ein, wie eine Aufnahme zu geschehen hat, damit sie beim Rezipienten die gewünschte Wirkung erzielt. Das setzt sehr viel tontechnische Erfahrung voraus. Ich könnte das nie. Es gibt also keine wirkliche Autorenschaft, schon gar nicht in low-budget-Projekten.

WE: Deine Arbeit kennt keine Kunstwerke im herkömmlichen Sinn.

BK: Nein. Es bleiben nur Artefakte von Projekten. Wichtiger sind Räume, Prozesse. Es ist mir kein Anliegen, eine meiner Arbeiten in einem Museum zu sehen, es sei denn, der Museumsraum wird selbst zu einem Thema oder zu einem Ort der Auseinandersetzung.

WE: Nun betreibst du aber selbst ein Museum.

BK: Es nennt sich zwar Museum, aber Experimentierraum oder Labor wäre treffender. Ich empfinde es immer als lächerlich, orientieren sich kleine Museen an großen Museen. Das kann nur schief gehen. Die Möglichkeiten liegen in dem, was große Museen nicht machen können. Mir ist allein der große Aufwand zuwider, der in größeren Museen oder Kunsthallen betrieben wird. Heerscharen von Museumsexperten, Graphikern, Architekten, Lichttechnikern wie andere sind damit beschäftigt, Kunst zu inszenieren. Für inhaltliche Auseinandersetzungen, etwa gesellschaftliche Fragen betreffend, bleibt da nur noch wenig Geld. Unlängst hat Hanno Rauterberg in der ZEIT für einen Museumsrückbau plädiert. Ich fand das sehr erfrischend.

WE: Wie Wirkung erzielen mit einem Minimalbudget? Wie Rezipienten einladen, sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen?

BK: Im RAUM DER GEBURT dachte ich ursprünglich daran, ein Präparat eines totgeborenen Kindes zu zeigen. Ich hätte dieses als Leihgabe haben können. Ich entschied mich dagegen, und zwar nicht aufgrund der Problematik, die mit dem Ausstellen von Humanpräparaten verbunden ist. Der Glasbehälter mit dem Kind steht in einem Museumsdepot auf einem Kasten, neben zahllosen anderen Präparaten. Auch nicht gerade würdevoll. Es ist mir zu billig, mit dem Gruselfaktor zu operieren. Ich finde dieses Kind sehr schön. Und es sieht aus, als würde es nur schlafen. Obwohl nicht einmal eine Inventarnummer vorhanden ist, lässt sich doch einiges zu diesem Objekt sagen. Das Kind wurde nie geboren. Da es mit Teilen der Gebärmutter präpariert ist, verdankt es sich eindeutig einer Sektion. Die meisten Besucher würden es ganz anders betrachten. Damien Hirst würde es bestens inszenieren. Vielleicht ließe er die Fingernägel des Kindes vergolden.

WE: Eine letzte Frage. Wer die beiden Räume im HIDDEN MUSEUM sehen will, muss sich anmelden. Ein sehr restriktiver Zugang. Vor erfolgreichen Museen sollten sich doch Menschenschlangen bilden.

BK: Man kann sich nur mit einer begrenzten Anzahl von Menschen beschäftigen. Ich betrachte es als großen Irrtum, den Erfolg von Museumsprojekten an der Besucherzahl zu messen. Menschenansammlungen lassen sich einfach mit Hilfe von Events, Bier etc. organisieren. Ich habe damit nur schlechte Erfahrungen gemacht, ist doch keine Diskussion mehr möglich. Statt auf passiven Konsum sollte man auf aktives Tun setzen. Man muss schauen, wie sich das am besten organisieren lässt. Den RAUM DES TODES werden Besucher nur allein betreten können. Sterben ist ja eine einsame Angelegenheit. Und da muss man wie in einer Zahnarztpraxis oder in einer Praxis für Kinderwunschpatientinnen mit Terminen arbeiten. Dafür sollen die Besucher um eine wirkliche Erfahrung bereichert nach Hause gehen.

Mai 2013

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