DER KLANG DER EIERSORTIERMASCHINE, DER LETZTE
SEUFZER DES BAHNHOFS ZOO,
DER NACHTGESANG VON 958 HÜHNERN etc
Soundarbeiten von Roland Albrecht


Photographie: Bernhard Kathan
Huhn in Tonmantel. Garzeit: 3h30min. Foto: Bernhard Kathan


Angesichts der akrobatischen Leistungen, die heutige Komponisten oftmals Musikern abverlangen, angesichts des enormen technischen Aufwands elektroakustischer Musik seien Roland Albrechts subtile Soundarbeiten empfohlen. Da führen Hühner nachts - halbwach, halbträumend - Selbstgespräche. Die Eiersortiermaschine produziert obgleich aller Zufälle ordentlich Musik. Die Klänge des Bahnhofs Zoo lassen an einen Science Fictionfilm denken. Dann die fallenden Eicheln .... Musik ist heute zur allgegenwärtigen Geräuschkulisse verkommen. Sie dient dazu, das nicht zu hören, was um uns geschieht. Da tun Geräusche gut, die nicht der Musik zuzuordnen sind, die keinen Komponisten kennen, und die dennoch höchst musikalisch sind, gelingt es einem nur, sie in den seltsamsten Verschränkungen zu hören, etwa den Gesang von Nachtigallen, die sich unter einer vielbefahrenen Schnellbahnbrücke eingenistet haben. Niemand hat sich dieses Zusammenspiel ausgedacht - und doch ist es ein höchst verrücktes, inhaltlich aber stringentes Zusammenspiel. Genausowenig wie man einen Hund erfinden oder konstruieren muss, ist er doch vorhanden, muss solche Musik gemacht werden. Sie ist eben da. Sie findet sich in Fabriken, Schlachthöfen, in Geflügelzuchtbetrieben wie an vielen anderen Orten. Roland Albrecht ist weder Komponist, noch Elektroakustiker. Seine Aufnahmen bedürfen bestenfalls einer minimalen Tonabmischung. Er schneidet nicht einmal, lässt man den Beginn und das Ende der einzelnen Arbeiten außer Acht. Die Aufnahmen dauern in der Regel 60min. Die Montage findet sich bei Roland Albrecht bestenfalls dort, wo sich seine Aufnahmen plötzlich an völlig anderen Orten zu hören sind, die letzten Atemzüge des Bahnhofs Zoo etwa an einer Bushaltestelle eines kleinen Ortes, an dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, einmal, um ein Schulkind mitzunehmen, dann, um eben dieses Kind stunden später wieder aussteigen zu lassen. Es wäre einmal spannend, die nächtlichen Plaudereien seiner Hühner einmal während eines Essens zu hören, welches einem gut zubereiteten Huhn gilt. Hühner gelten als dumm, besonders Hühner aus heutigen Betrieben. Und dennoch, auch diese Hühner, die ihre Anlagen nicht zu entfalten vermögen, führen Selbstgespräche in erstaunlichen Modulationen, hören, was andere zu sagen haben, antworten. Im Gegensatz zu uns Menschen sind sie in ihrem traurigen Schicksal nicht allein. Vielleicht gilt dies auch für Fruchtfliegen, Regenwürmer, die Wurzeln von Pflanzen, die sich unterirdisch nahe kommen. Aber was wissen wir schon davon! Vielleicht wird Roland Albrecht auch in solche Bereiche vordringen, die zweifellos von einer besonderen Musikalität sind. Man denke sich einmal all die Artikulationen von Regenwürmern in der ganzen Kakophonie konkurrierender Pflanzenwurzeln! Freilich, als Geräuschkulisse werden sich solche Aufnahmen nie eignen.

Bernhard Kathan

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