"Die Ordnung der Lust. Mechanisch"
Eine Klanginstallation von Andrea Sodomka



"Um ein Werkzeug gebrauchen zu können, muss ich in der Lage sein, mich selbst als von diesem Werkzeug getrennt zu begreifen, das ich dann nehmen oder liegen lassen, benutzen oder nicht benutzen kann. Selbst etwas so Hochmodernes wie das Automobil ist immer noch eine Vorrichtung, ein Fahrzeug, in das ich mich setzen, den Zündschlüssel umdrehen und starten kann. Man könnte einwenden, dass das Auto nicht ohne Straßensystem fahren kann, aber ich habe das Biest in der Wüste gefahren und weiß, was ein Jeep ist. Ganz offensichtlich kann Henry Fords T-Modell noch eher mit einem Hammer verglichen werden als das moderne japanische Produkt, das man heute in den USA verkauft und das bereits in hohem Maße aus Software besteht - inmitten der Hardware von Straßen, Gerichten, Polizei und Notfallaufnahmen. Trotzdem kann ich mir beim Auto immer noch einen Abstand, eine Distalität zwischen mir und dem Gerät vorstellen. Das wird zur reinen Illusion, wenn ich in WordPerfect ein Makro einrichte, um meine Fußnoten zu verwalten. Als Operateur werde ich zum Teil des Systems. Meine Beziehung zu der grauen Kiste, die auf meinem Schreibtisch steht, lässt sich nicht mit der gleichen Weisen begreifen, in der Theophilus Presbyter einen Meißel betrachtet hat."
Ivan Illich, In den Flüssen nördlich der Zukunft


Nehmen wir als Beispiel eine Autobahnmautstelle an einem Tag mit hohem Verkehrsaufkommen. Um möglichst kurz warten zu müssen, reihen sich die einzelnen Autofahrer dort ein, wo die geringste Wartezeit zu vermuten ist. Haben sie sich eingereiht, rücken sie nach und nach vor, während gleichzeitig unterschiedlichste Ampeln auf rot oder grün schalten, Schranken auf und niedergehen. Ab einem gewissen Punkt finden sie sich in einer Art Schleuse, eingezwängt zwischen Betonelementen, die jedes Ausscheren oder Umdrehen unmöglich machen. Ob man es will oder nicht, man wird angehalten, mit einer Maschine zu interagieren. Die Mechanik einer Mautstelle beschränkt sich nicht allein auf das, was wie Ampeln oder Schranken klar als mechanisch erkennbar ist. Es gibt auch eine Mechanik im Hintergrund, die möglichen Störfällen dient, der Kontrolle der Beschäftigten oder Autofahrern, die sich abweichend verhalten. An einer Mautstelle sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung: Die Autofahrer fügen sich ein, ohne dass sie dazu gezwungen werden müssen. Technik hat hier nichts mehr mit einem Werkzeug im herkömmlichen Sinn zu tun. Sie dient der Organisation des Lebendigen. Die Technik wird geradezu lebendig, während sie das Lebendige zunehmend maschinell organisiert. An solchen Schnittstellen wandeln wir uns zu Objekten der Bearbeitung und Verarbeitung. Ziel ist es, Bewegungsabläufe zu optimieren. Dies ist nur dann effizient möglich, gelingt es, die Energie derjenigen zu nutzen, die es zu organisieren, zu kontrollieren oder auszubeuten gilt. Ähnliche Anordnungen finden sich heute in vielen Bereichen. Als ein Beispiel seien Melkanlagen in modernen Rinderställen genannt. In der modernen Rinderhaltung finden sich, abhängig von Betriebsgröße wie anderen Faktoren unterschiedlichste Lösungen, neben halbautomatischen Melkanlagen vollautomatische Systeme. Auf den Vorwartebereich folgen Melkstand, Nachwartebereich und Klauenbad. Die nachfolgende Selektion bedeutet entweder Abgang (etwa in den Schlachthof), Behandlung oder Rückkehr in den Laufstall. Wie das Melkzeug "die sensible Schnittstelle zwischen Tier und Technik" bildet, kommt dem Melkstand eine entscheidende Funktion in der Organisation der Bewegungsabläufe zu. Mit Hilfe eines rotierenden Treibgatters lässt sich eine amorphe Ansammlung von Kühen in eine Abfolge von Einzelindividuen auflösen: "Da die Kühe einzeln die Plattform betreten, ergibt sich ein sehr fließender und ruhiger Melkablauf. Der kontinuierliche, arbeitsneutrale Zutrieb der Tiere zum Melkkarussell ist unbedingt erforderlich, um die Routinearbeiten einzuschränken und den Durchsatz zu erhöhen." Man muss erstaunt sein kann über die Fügsamkeit, mit der Kühe vor Melkständen warten. Ob Mautstellen oder Melkanlagen, stets verdanken sich solche Systeme angewandter Verhaltensbiologie, Mechanik und Informatik. All das ist nur möglich, gelingt es, amorphe Ansammlungen in einer Abfolge von Einzelindividuen aufzulösen.

Nimmt man Geräusche eines modernen Melkstandes auf und spielt sie jemand vor, der mit solchen Apparaturen nicht vertraut ist, kaum einer wird diese zu deuten wissen, ist doch nur zufällig das Schnauben einer Kuh oder ein Muhen zu hören. Die meisten denken an einen Industriebetrieb. Um industrielle Organisation handelt es sich. Aber im Gegensatz zu üblichen Industriebetrieben haben wir es nicht mit leblosen Objekten zu tun. Kühe sind es, die bearbeitet und verarbeitet werden. Ausgehend von Klangmaterial eines modernen Melkstandes hat Andrea Sodomka eine Klanginstallation zur Mechanisierung des Lebendigen erarbeitet. Diese trägt den Titel "Die Ordnung der Lust. Mechanisch". Das Ausgangsmaterial kennt Loops, überraschende Überlagerungen oder Rhythmuswechsel. All das ergibt sich bereits durch das stete Abhängen und erneute Anhängen von Zitzenbechern. Mit Musikalität hat dies wenig zu tun, einzig mit akustischen Zufällen. Andrea Sodomkas Klanginstallation verdankt sich dagegen genauem Hinhören. Überlagerungen und Rhythmuswechsel sind höchst intendiert. Wir haben es buchstäblich mit Maschinengeräuschen zu tun, aber diese sind genau gesetzt. Manche Besucher fanden die Arbeit "hart", "steil", "schräg", "heftig" etc. Dem ist nur entgegenzughalten, dass nach einschläfernder oder stimmenüberdeckender Hintergrundmusik kein Bedarf besteht. Verständlicherweise neigen Reziepienten dazu, auf ein irritierendes Musikstück mit Deutungen zu reagieren. Eine kurze Auflistung all dessen, was herausgehört wurde: Milchfluss; Milch, die in einen Eimer spritzt; rhythmisches Melken; Kühe, die an Ketten reißen; pralle Euter; klingelnde Kassen; Kuhglockengeläut; LKWs beim Abtransport von Milch; eine zufallende Stalltüre und so fort. Solche Deutungen sagen wenig über das Gehörte. Sie sagen mehr über die Verhäuslichung des Unangenehmen, die Verhäuslichung der Tatsache, dass nicht nur das Leben von Kühen, sondern auch das des Menschen zunehmend maschinell organisiert ist, dass die Technik längst die Funktion eines Werkszeugs, eines distanzierten Hilfsmittels eingebüßt hat, dass Technik das Lebendige auf radikale Weise neu bestimmt. All das ist gleichermaßen beiläufig wie unfassbar, beiläufig weil es nahezu unmerklich und ohne eigentlichen Plan geschieht (Absichten beziehen sich stets nur auf Ausschnitte), unfassbar weil wir nicht in der Lage sind, uns die Konsequenzen vorzustellen. Es ist nur zu verständlich, äußerten Rezipienten nach dem Anhören der Klanginstallation, sie hätten eine Phantasiereise gemacht oder ein Film sei vor ihnen abgelaufen. Freilich ist dies auch Folge eines unangemessenen Hörverhaltens. Automatisch neigen wir in einem Rund von Lautsprechern dazu, uns ins Zentrum zu stellen oder zu setzen. Solch konzertantes Verhalten steht nicht nur im Widerspruch zur Technik mit ihren Maschinen, der sich die Musik verdankt, es stimmt auch nicht länger in einer Gesellschaft, in der alle in Bewegung gehalten sind, nicht anders als Kühe in modernen Rinderställen. Im Idealfall geben die Besucher diese Haltung auf und beginnen sich selbst zu bewegen, nach zahllosen Schnittstellen und Überlagerungen zu suchen zwischen den Geräuschen, die aus einer Tonkonserve hörbar sind und den zufälligen Geräuschen und Klängen des Außenraums, Kuhglocken etwa, die von der Alm auf der anderen Talseite zu hören sind, nachts Rufe von Käuzchen, Lärm von Mähtrucks, Ladewagen, Hochdruckfässern, die die Wiesen mit Rinderjauche bespritzen.

Bernhard Kathan, 2008


Dank an:
Fam. Wegmann in Ziegelberg bei Bad-Grönenbach (Melkstand)
Roland Albrecht (Aufnahme Melkstandgeräusche)

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