Von der Sense zum Hydromäher
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„Mein verstorbener Onkel Isidor mähte das Gras rund ums Bienenhaus, um den
Ziehbrunnen bis hin zum Hausgarten, die Narzissenwiese mit so sicherem Auge,
daß mir diese Ästhetik heute noch ein Vorbild ist. Je nach Nähe und
Wichtigkeit der Ansicht, nach den praktischen Bedürfnissen war alles mit der
Sense durchgestaltet bis hinaus in die Felder. Der Onkel war ansonsten ein
eher grober Klotz, er führte Hof und Gesinde mit harter Hand, und in seinem
Beruf als Bergmann war sein Ruf nahe am Leuteschinder, doch mit der Sense in
der Hand wurde er zum Künstler. […] Damals wurde in Voitsberg die Firma
Pumpen Bauer immens erfolgreich, die alte Mistlacke verschwand, es wurde
gemauert, ein Pumpenhaus erbaut und ein neues ‚Häusl‘. Und durch die Firma
Bauer konnte man dann, dank beweglicher, auslegbarer Rohre, die Gülle auf
die Felder bringen. Ein Schulfreund von mir bereiste als Techniker und
Vertreter dieses Betriebes die halbe Welt, vom mittleren Osten bis in die
Mongolei, von Afrika bis Südamerika – alles in Sachen Jauche und
Bewässerung. Jedenfalls war es uns Kindern eine Freude, wenn wir dem Onkel
beim Düngen der Felder helfen durften. Eingedenk dieser Vergangenheit habe
ich natürlich sofort gesehen, daß der Landmann (auf dem alten Foto) den
Schlauch fest zwischen den Beinen hält – zur machtvollen Demonstration
seines starken Strahls.“
Wolfgang Straßnig, 17/08/2017
Der Abstand, der heutige Bergbauern von ihren Eltern oder Großeltern trennt,
ist um ein Vielfaches größer als jener Abstand, der die Bergbauern der
1950er Jahre vom Mittelalter trennte. Sie standen diesem um vieles näher als
unserer Zeit. Gemäht wurde noch mit der Hand, das Heu musste eingetragen,
der Mist ausgetragen werden. Schlitten bildeten ein unentbehrliches
Werkzeug – was immer sich dafür eignete, wurde abwärts auf Schlitten
gezogen. Das fand seinen Ausdruck nicht zuletzt in Wegrechten, die damals
galten, heute aber ihre Funktion verloren haben. Immer noch wurde ein
dichtes Netz von Hohlwegen, die sich über lange Jahrhunderte an vielen
Stellen metertief ins Erdreich, bis auf den nackten Fels gegraben hatten,
benutzt. Inzwischen sind die meisten dieser Hohlwege verschwunden.
Die Mechanisierung der Landwirtschaft zählt zu den faszinierendsten Kapiteln
der Technikgeschichte. Im Alpenraum setzte sie freilich erst spät ein, sieht
man von wasserbetriebenen Mühlen, Sägen oder Winden ab. Der erste
entscheidende Mechanisierungsschub erfolgte im Zuge der Elektrifizierung.
Auf manchen Bergbauernhöfen fand sich ein Maschinenraum, in dem mit Hilfe
eines Elektromotors und einer Antriebswelle mit unterschiedlichen
Übersetzungen verschiedene Geräte angetrieben wurden, Seilzüge, Fräsen oder
Häckselmaschinen. Diese Anordnung kennen wir aus Werkstätten und Fabriken
des neunzehnten Jahrhunderts. Auch wenn es sich dabei um einen großen
technischen Fortschritt handelte, die meisten Arbeiten der Bauern ließen
sich so nicht mechanisieren. Die ersten geländetauglichen Motormäher
tauchten erst in den 1950er Jahren auf.
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Heute gibt es Hydromäher, die sich selbst in steilstem Gelände verwenden
lassen: „Der Brielmaier Motormäher ist der universelle Hangspezialist. Mit
dem patentierten Stachelwalzen System ist ein bodenschonender und stabiler
Einsatz am Hang mit bis zu 45° Steillage möglich. Modernste elektronische
Steuerung macht die Bedienung sicher und kinderleicht. Dies ermöglicht auch
eine Bedienung per Funksteuerung. Mit dem neuen DUO 6 Motormäher – 6 m
Mähbalken – sind zudem auch große Flächenleistungen am Hang wie auch in der
Fläche mit bis zu 4 ha in der Stunde möglich.“ Motorsensen kommen
bestenfalls punktuell zum Einsatz. Es bedarf keiner Rechen oder Gabeln mehr,
um das Heu der Bergwiesen einzubringen. Mit tragbaren Gebläsen wird das Heu
befahrbaren Stellen zugetrieben. Es wirkt wie aus einem billigen
Science-Fiction-Film, sieht man etwa zwei mit solchen Gebläsen geschulterte
Frauen in leichtester Kleidung mit gleichbleibenden Schwenkbewegungen das
Heu hangabwärts treiben. Der Helm, den sie tragen, dient nicht nur als
Ohrenschutz. Er ist mit einer Antenne bestückt, um auch bei dieser Tätigkeit
die gewünschte Musik aus dem Netz zu holen. Ohne Bergschuhe geht es noch
nicht.
Bauern gelten als konservativ, rückständig, oder – um es freundlicher zu
sagen – im Traditionellen verhaftet. Ja, ich erinnere mich noch an Beispiele
aus den 1950er Jahren, die dies zu bestätigen scheinen. Es gab Bauern, die
weiterhin den exakt aufgeschichteten Miststock mit einem paddelartigen Brett
festklatschten, in dem irrtümlichen Glauben, so ginge weniger Düngerwert
verloren. Ich erinnere mich an Bauern, die sich der Erschließung ihrer
Grundstücke widersetzten, weil sie fürchteten, so einige Quadratmeter
bewirtschaftbarer Fläche zu verlieren, wohl auch in der Meinung, mit dem
Einachsschlepper, mit dem sich, wenn auch unter Gefahr, Hohlwege befahren
ließen, sei die Technisierung der Landwirtschaft an ihrem Endpunkt
angelangt. In einer Landwirtschaftszeitung der 1950er Jahre ist unter der
Abbildung eines Einachsers mit Triebachsanhänger zu lesen: „Dank direkter
Kraftübertragung auf die Anhängerachse kann die kleine und leichte
Zugmaschine erstaunliche Leistungen vollbringen. Die als Arbeits-, Zug- und
Antriebsmaschinen vielseitig verwendbaren Motormäher und Einachstraktoren
ermöglichen den Bergbauern die Mechanisierung sogar am Hang.“
Betrachtet man aber die Entwicklungen der Landwirtschaft in den letzten
Jahrzehnten, dann lässt sich feststellen, dass Bergbauern, sofern sie die
Landwirtschaft nicht aufgaben, jeden Innovationsschub nachvollzogen haben,
den sie sich leisten konnten. Dies verdankt sich maßgeblich ihrer
subsistenzwirtschaftlichen Vergangenheit, vermochten doch ihre Vorfahren nur
dank vielfältigster Adaptionsleistungen zu überleben oder ihre
Lebensbedingungen zu verbessern. In der Vergangenheit galten
Anpassungsleistungen vor allem klimatischen oder geographischen Bedingungen.
Technische Innovationen gab es auch früher. Technik war den in
Subsistenzwirtschaft lebenden Bauern alles andere als fremd. Zumindest im
19. oder frühen 20. Jahrhundert übten die meisten von ihnen einen Nebenberuf
aus, sei es als Schuhmacher, Zimmerer, Schreiner, Küfer oder Schmied. Da
sich solche „Dienstleistungen“ nur im unmittelbaren Umfeld anbieten ließen,
konnte von solchen Nebentätigkeiten zwar niemand leben, aber ihnen
verdankten sich viele handwerkliche Fähigkeiten. Technisches Wissen war im
Alltag vielfach gefordert.
Während langer Wintermonate spielten handwerkliche Nebenbeschäftigungen
vielerorts eine wichtige Rolle. Es konnten Holzgefäße, Körbe, Leitern oder
anderes hergestellt werden, was sich eben auf Märkten verkaufen ließ. Im
Laterns, einem erst spät erschlossenen Seitental des Rheintales, bildete die
Küblerei über Jahrhunderte hinweg eine wichtige Erwerbsquelle.
Holzverarbeitung lag auf der Hand, nicht zuletzt deshalb, weil sich Fichten
wegen fehlender Transportmöglichkeiten nicht ins Tal schaffen ließen.
Ursprünglich dürften die hier hergestellten Holzgefäße auf nahegelegenen
Märkten verkauft worden sein. Um 1900 wurde auf Initiative eines Pfarrers
eine Genossenschaft gegründet. Fortan wurden Großhändler beliefert.
Es finden sich Beispiele für innovativere Produkte als Holzgefäße. In dem
auf etwa 1500 Metern gelegenen St. Antönien wurden keramische Produkte
hergestellt, die durch ihre Qualität, Funktionalität und Schönheit
bestechen. Peter Lötscher (1750–1818), auf den diese Tradition zurückgeht,
war Sohn eines Bauern und Zimmermanns, stammte also aus einer Familie, in
der der Vater bereits einem handwerklichen Nebenerwerb nachging. Aufgrund
schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse im Elternhaus war er in
niederländischen Diensten, wo er Erfahrungen als Hafner sammeln konnte und
mit Glasur-, Keramik- und Porzellanrezepturen vertraut wurde. Das Beispiel
macht deutlich, dass Bergbauern, je karger die Verhältnisse waren, ganz im
Gegensatz zu all den Stereotypen alles andere als ein Leben in der
Einschicht führten, immer wieder gezwungen waren, sich zeitweise andernorts
zu verdingen. Erfahrungen und Beobachtungen, die sie dort machten, etwa in
Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden, wirkten auf das
bäuerlich-dörfliche Leben zurück. Über mehrere Generationen setzten
Nachfahren von Lötscher die Herstellung keramischer Produkte wie
Gebrauchsgeschirr oder Kachelofenfliesen fort, wobei die Formen- und
Dekorsprache des Geschirrs aus St. Antönien dem sich ändernden Geschmack wie
auch der zunehmenden Konkurrenz größerer Betriebe angepasst wurde. Hinzu
kamen Tier- und Soldatenfiguren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden vor
allem gepresste und gebrannte Wasserleitungsrohre hergestellt. Dies ist
insofern von Bedeutung, als es sich hier um ein serielles Produkt handelte.
Diese Rohre, das HIDDEN MUSEUM hat zwei in seiner Sammlung, bestechen durch
ihre Funktionalität. Sie ließen sich einfach ineinander stecken und mit
Mörtel abdichten, wobei die gefäßartige Öffnung, in die jeweils das
nachfolgende Rohr gesteckt wurde, gewisse Winkelführungen erlaubte. Mit der
industriellen Fertigung eiserner Gussrohre und angesichts der besseren
Transportmöglichkeiten von Betrieben in Tallagen verloren
Wasserleitungsrohre aus St. Antönien ihre Bedeutung. 1898 wurde der Betrieb
eingestellt.
Ton wurde auch in anderen Gegenden verarbeitet. Im 19. Jahrhundert wurden in
Fraxern Dachziegel gebrannt. Biberschwanzziegel bedeuteten im Gegensatz zu
Holzschindeln, mit denen vormals die Dächer gedeckt worden waren, einen
großen Fortschritt. Noch in meiner Kindheit lagen auf den Dachböden Model
herum, die daran erinnerten. Der Lehm wurde in eine hölzerne Form
gestrichen. War diese gefüllt, zog man mit den Fingern der rechten Hand fünf
abwärts führende Rillen, dann am oberen Ende des Ziegels drei querführende.
Das HIDDEN MUSEUM ist zum Teil mit damals hier hergestellten
Biberschwanzziegeln gedeckt. Mögen diese Ziegel auch immer wieder kleinere
Fehler aufweisen, so sind sie doch von einer bemerkenswerten Festigkeit.
Immerhin erfüllen sie nun seit über 150 Jahren ihren Zweck. Dass Bauern im
Nebenerwerb Ziegel solcher Qualität herstellen konnten, zeugt von
technischem Verständnis. Übrigens sind auf vielen dieser Ziegel
Fingerabdrücke mit all ihren Linien deutlich zu erkennen. Mit etwas Mühe
ließe sich also eruieren, wie viele Menschen an dieser Ziegelproduktion
beteiligt waren. Das technische Können ist umso erstaunlicher, als die
Ziegel wegen fehlender Transportmöglichkeiten nur im engeren Umfeld verkauft
werden konnten. Ähnlich wie in St. Antönien wurde auch in Fraxern die
Ziegelproduktion um 1900 aufgegeben. Die Küblerei des Laternsertales hat
sich dagegen bis heute erhalten. Allerdings wird sie nur noch von einigen
älteren Männern betrieben und es ist abzusehen, dass auch dieses Handwerk
verschwinden wird. Für Krautstanden gibt es keinen Bedarf mehr, auch nicht
für Milchgefäße oder Butterfässer. Neu im Programm sind Urnen aus Holz.
Diese würden sich gut verkaufen.
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Noch in den 1950er Jahren verdankte sich manche Maschine dem Selbstbau
kleiner Bauern, wobei zumeist ein Schlosser oder Schmied zu Hilfe geholt
wurde. Dass dabei die Sicherheit kein großes Thema war, belegen zahllose
Unfälle, die sich damals mit landwirtschaftlichen Maschinen ereigneten. Es
ist eben nicht gleichgültig, ob das Gewinde einer Achse, an der ein
Kreissägeblatt befestigt ist, gegen die oder in der Bewegungsrichtung
gedreht ist. Ist Letzteres der Fall, kann sich die schwere Mutter lösen und
das Blatt aus der Maschine springen. Letzthin sah ich eine selbstgebaute
fahrbare Kreissäge aus dieser Zeit, die auch als Zugmaschine diente. Der
Motor, er kann sowohl die Kreissäge wie das Gefährt antreiben, ist unter dem
hochklappbaren Fahrersitz montiert. In dieser selbstgebauten Maschine
stecken erstaunlich viele Überlegungen. An ein Abdeckblech, um davor zu
schützen, dass sich ein Kleidungsstück im Keilriemenantrieb verfängt, wurde
allerdings nicht gedacht. In manchen Wallfahrtskirchen finden sich viele
Votivtafeln, die nicht nur entsprechende Unglücksfälle, sondern auch eine
gewisse Technikaffinität der kleinen Bauern dokumentieren.
Ich erinnere mich an einen Bauern, der in den frühen 1960er Jahren
wiederverwendbare Schalungselemente erfand, die es ermöglichten, Betonsilos
in Eigenarbeit zu bauen. Gewölbte Stahlbleche ließen sich entsprechend dem
Innen- und Außenradius einfach miteinander verschrauben und mit Beton füllen
und nach ein oder zwei Tagen höher setzen und erneut mit Beton füllen. Die
Grundüberlegung besticht nach wie vor. Allerdings ging bereits damals die
Zeit der Betonsilos ihrem Ende entgegen, so wie auch der damals aufkommende
Lieferbeton dieser Art des Bauens ein Ende setzte.
Auf einem unerschlossenen Südtiroler Bergbauernhof sah ich – das war wohl in
den 1970er Jahren – ein „Rennauto“, das sich Buben selbst gebaut hatten. Der
Hof stand an exponierter Stelle, an einer schmalen Kante, die geradezu
schwindelerregend abfiel. Die Buben konnten mit ihrem Vehikel gerade einmal
einige Meter hin und herfahren, aber an technischem Verständnis mangelte es
ihnen nicht. Ich bin mit einem pensionierten Schlosser befreundet. Obwohl er
als Kind kleiner Bauern nie eine höhere Schule besuchen konnte, hat er im
Laufe seines Berufslebens zahllose Maschinen entwickelt, die der
Rationalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen dienten.
Bezeichnenderweise dachte er nicht an wegrationalisierte Arbeitsplätze,
sondern daran, dass es doch ein großes Glück sei, müsse ein Mensch nicht
tagein tagaus dieselben Handgriffe machen, denn mochten sich die kleinen
Bauern auch als Tagelöhner verdingen, gegen monoton sich wiederholende
Handgriffe hatten sie eine tiefe Abneigung. Manche der von ihm entwickelten
Automaten (ohne Informatik und Sensortechnologie wären sie inzwischen
undenkbar) führen recht komplizierte Bewegungsabläufe aus. So lassen sich
etwa fehlerhafte Zwischenprodukte an sehr unterschiedlichen Stellen
automatisch aussortieren. Der Grundstein für die dazu benötigten Fähigkeiten
wurde in einer Kindheit gelegt, in der der Umgang mit Maschinen Teil des
alltäglichen Lebens war. Kurz vor seiner Pensionierung erzählte mir dieser
Freund entsetzt von einem Lehrling, für den Zange ein Fremdwort war. Dass
die in der Kindheit angelegten Begabungen nicht immer zum Erfolg führten,
dafür ließen sich allerdings auch genügend Beispiele nennen.
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Ich schreibe hier „kleine Bauern“. Das ist ungenau, gibt es doch sehr
unterschiedliche Ausformungen kleinbäuerlicher Lebensorganisation. Den
subsistenzwirtschaftlich lebenden Bauern standen etwa solche gegenüber, die
über Jahrhunderte von Großgrundbesitzern oder Feudalherren in einer das
Leben sichernden Abhängigkeit gehalten wurden. Da wie dort mochten die
Menschen in ähnlich ärmlichen Verhältnissen gelebt haben, aber das Leben in
subsistenzwirtschaftlichen Verhältnissen schreit geradezu nach der
Wahrnehmung aller Möglichkeiten, die hoffen lassen, die Lebensbedingungen zu
verbessern. Dies hat auf Dauer einen bestimmten Sozialcharakter zur Folge,
für den differente Adaptionsleistungen typisch sind. Dass sich das Rheintal
zu einer boomenden Technologieregion entwickelt hat, verdankt sich neben
seiner geographischen Lage, einer guten Infrastruktur und anderen Aspekten
nicht zuletzt außerschulischem Wissen und Fertigkeiten, die in
kleinbäuerlichen Verhältnissen aufgewachsene Arbeiter und Angestellte
mitbrachten: lösungsorientiertes Denken, eine Begabung zur Improvisation,
eine hohes materialkundliches und technisches Verständnis, Flexibilität,
nicht zuletzt die von Kind an trainierte Bereitschaft, sich dem Geforderten
unterzuordnen. Mögen sich der Subsistenzwirtschaft noch so erstaunliche
Lösungen und Adaptionsleistungen verdanken, das Leben in drückender Armut
will keinesfalls idealisiert sein. Nicht vergessen seien die Überzähligen,
die dazu verdammt waren, in ein Kloster zu gehen oder Fabrikarbeiter zu
werden.
Dass den von Bauern im Eigenbau hergestellten Maschinen keine große Zukunft
beschieden war, erstaunt nicht. Man sollte aber nicht vergessen, dass sich
auch viele von Ingenieuren entwickelte Maschinen in der Geschichte der
Mechanisierung der Landwirtschaft als Irrläufer erwiesen. Um 1940 suchte man
Mist in Jauche zu verwandeln und als Gülle auszubringen. Auf einer Aufnahme
aus dieser Zeit ist eine alte Frau zu sehen, die auf einem Misthaufen
stehend mit einer Gabel Mist in den Trichter eines mit einem Elektromotor
betriebenen Rührwerks schöpft. Der mit Wasser zu Jauche verquirlte Mist
wurde mittels einer ebenfalls mit einem Elektromotor angetriebenen Pumpe
durch Güllerohre auf ein Feld ausgebracht. Es bedurfte mindestens dreier
Personen. Aufwand und Wirkung standen also in keinem optimalen Verhältnis.
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Ich erinnere mich an ein frühes Modell einer Kübelmelkmaschine, die vor dem
Melken mit einer Art Bauchgurt der Kuh umgehängt werden sollte. Mochte
dieses Gerät in der Formgebung noch so futuristisch anmuten, es konnte sich
nicht behaupten. Das An-, Ab- und Umhängen der Maschine nahm zu viel Zeit in
Anspruch. Auch der einrädrige Balkenmäher, dessen Motor im Antriebsrad
eingebaut war, erwies sich als Irrläufer der Mechanisierung. Wer denkt heute
noch an Heuaufzüge, an Rührwerke, an Heutürme oder Warmbelüftungen, die vor
der Ölkrise versprachen, die Heuarbeit zu erleichtern? Viele
landwirtschaftliche Maschinen, die noch vor wenigen Jahrzehnten oder Jahren
vorgaben, die Arbeit zu erleichtern, rosten heute als verworfener
Fortschritt an Waldrändern oder auf Feldern vor sich hin, wo sie kleine
Brachen bilden, die von Tieren und Pflanzen besiedelt werden, die auf
landwirtschaftlichen Flächen nur noch selten zu finden sind. In immer
kürzeren Zyklen erweisen sich technische Innovationen als überholt.
Wir haben keine Ahnung, wie sich die Landwirtschaft bzw. die Rinderhaltung
im Alpenraum künftig entwickeln wird. Der Anteil von Milchallergikern und
Milchverweigerern wird zunehmen. Schon heute setzt die Lebensmittelindustrie
zunehmend auf Milchersatzprodukte. Es ist ungewiss, ob die Mutterkuhhaltung
eine Zukunft haben wird. Fleisch wird sich in absehbarer Zeit in
Laboranlagen produzieren lassen. Diesbezügliche Versuche sind
erfolgversprechend. Die Direktvermarktung von Fleisch und Milchprodukten
wird bestenfalls ein Nischendasein führen. Vor Jahren dachte ich noch,
Bauern im Alpenraum könnten hochwertige Milch und Milchprodukte produzieren,
wirkliche Heumilch, was nichts anderes hieße als Rinder ihren Anlagen
entsprechend zu halten, sie vor allem rindermagengerecht zu ernähren und
dafür eine wesentlich geringere Milchleistung in Kauf zu nehmen. Aber
diesbezüglich mangelt es den meisten Bauern an Vorstellungen.
Sollte die Rinderhaltung im Alpenraum noch eine Zukunft haben, dann wird
sich diese weltweit operierenden Konzernen der Agroindustrie und
Biotechnologie verdanken. Die Möglichkeit, Embryonen besonders
leistungsfähiger Kühe auf andere Kühe zu übertragen und von diesen austragen
zu lassen, hat einen Beschleunigungsschub in der Zucht bewirkt, kann doch so
eine einzelne Kuh wesentlich mehr Nachwuchs haben, als dies je zuvor der
Fall war. Durch Biotechnologie und Reproduktionsmedizin eröffnen sich völlig
neue Nutzungen des Rindes. Schon heute wird an Hybrid-Embryonen mit
menschlichem Erbgut und Eizellen von Kühen gearbeitet. Die
Stammzellenforschung erhofft sich dadurch Behandlungsmöglichkeiten von
zahlreichen Krankheiten. Vermutlich wird die Milch genetisch veränderter
Rinder künftig in der pharmazeutischen Industrie von Bedeutung sein. Es sind
transgene Kühe denkbar, die in Zukunft den menschlichen Nachwuchs austragen,
vielleicht im Alpenraum, bei reichlicher Bewegung und gesunder Luft. Bereits
vor hundert Jahren dachten Biologen, Retorten würden in absehbarer Zeit die
Frau von der Last der Schwangerschaft und den Schmerzen der Geburt befreien.
Retortenbabys wird es noch lange nicht geben. Einfacher ist es, Rinder mit
Hilfe der Gentechnik entsprechend umzubauen.
Zumindest hinsichtlich neuer Technologien der Bewirtschaftung, angefangen
von Landwirtschaftsmaschinen über Stallanlagen bis hin zur künstlichen
Besamung, ist auch die Landwirtschaft im Alpenraum Teil des industriellen
Produktionsprozesses geworden. Der Agrarmanager Martin Richenhagen: „Der
Bauernhof wird zur Fabrik, mit dem entscheidenden Unterschied, dass kein
Dach drauf ist ... Das Interesse an Farming 4.0 steigt auch, weil jetzt
Industrie 4.0 – die rasant zunehmende Digitalisierung in der Produktion –
zum großen Thema geworden ist. Dabei haben wir schon vor Jahren einen
fahrerlosen Schlepper vorgestellt. Aber erst seit es autonom fahrende Autos
gibt, schaut die Öffentlichkeit genauer hin. Übrigens haben wir gerade einen
Erfahrungsaustausch mit Audi vereinbart. [...] Alles, was unsere Systeme
leisten, um die Maschinen zu regulieren, einzustellen und zu optimieren,
finden die Landwirte prima. Die wollen ja nicht andauernd aussteigen. Lieber
sitzen sie in der klimatisierten Treckerkabine – links der Kühlschrank,
rechts das Bose-Soundsystem – und lesen auf dem iPad oder verschicken
E-Mails. […] Wir reden gerade mit Google. Und wir kooperieren bereits mit
Monsanto, Pioneer und BASF.“ Aufgrund ihrer kleinteiligen Struktur wie auch
anderer Gegebenheiten wird sich Farming 4.0 nur bedingt auf die
Landwirtschaft des Alpenraumes übertragen lassen. Aber warum sollten nicht
GPS-gesteuerte Roboter, krakenartige Gebilde, in der Bewirtschaftung von
wertvollen Magerwiesen zum Einsatz kommen, schließlich gibt es doch auch
schon Roboter zur Reinigung der Glasfassaden von Wolkenkratzern.
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Vor einigen Tagen ließ ich mir einen „Hydromäher“ erklären. Mag ich auch
nicht alles verstehen, ich finde solche Gespräche lohnend. Allerdings sollte
ich etwas mutiger sein. Im Nachhinein fällt mir immer wieder auf, was ich zu
fragen vergessen habe, so etwa nach den Anschaffungskosten oder dem
Stundenlohn, den heute ein Auftragsmäher erhält. Buchhaltung wäre ein Thema,
auch das Liebesleben. Letztes Jahr mähten zwei Burschen mit solchen
Hydromähern ein Nachbargrundstück, eine große, steile Wiese. Einer der
Burschen hatte seine Freundin dabei. Nur widerwillig lief er hinter dem
Motormäher her, ständig fluchend. Eigentlich sollte es nicht vorkommen, aber
sein Hydromäher starb immer wieder ab, verständlich, reagierte sich der
Bursche doch mit und an der Maschine ab, und sei es, dass er einer
Heckenrose oder einem zu tiefen Graben nicht auswich. Irgendwann ließ er den
Mäher stehen und legte sich mit der Freundin unter einen Nussbaum. Nun war
das Fluchen des anderen Mähers zu hören, und zwar aus der Dunkelheit, sah
man doch nur noch einen Lichtkegel, der sich über den Hang bewegte. Während
einer meiner Stallbesichtigungen hatte ich die Gelegenheit, einem jungen
Bauern zuzuschauen, der in steilem Gelände Gülle ausbrachte. Neben ihm in
der Kabine des allradbetriebenen Fahrzeugs saß seine Freundin. Sie schien
glücklich, stolz auf ihren Freund und seine Fahrkünste. Man sollte sich mehr
mit Brüchen befassen, Technik von ihren Rändern her beschreiben.
Für Bauern ist es kostengünstiger, das Mähen steiler Bergwiesen in Auftrag
zu geben, statt sich selbst einen Hydromäher anzuschaffen. Das gilt längst
auch für das Ausbringen der Jauche, das Wickeln von Silageballen und vieles
andere mehr. Ob Milch oder Fleisch, ohne Förderungen wäre all das undenkbar.
Die ehemals subsistenzwirtschaftlich lebenden Bauern sind längst in die
existenzsichernde Abhängigkeit von öffentlichen Förderungen geraten. Externe
Experten entscheiden über Bewirtschaftungsformen. Ohne Förderungen können
Bergbauern nicht überleben. Das ist klar. Aber die negativen
Begleiterscheinungen, etwa die Verödung allen kreativen Potenzials, sollten
nicht übersehen werden. Förderungen dienen nicht allein der
Einkommenssicherung, sie dienen neben agrarpolitischen Zielsetzungen vielen
anderen Interessen. Sie sind nicht in Stein gemeißelt. Die Umstellung auf
Mutterkuhhaltung wird inzwischen nicht mehr gefördert, dagegen, wie ich mir
von einem Bauern letzthin erklären ließ, die Umstellung auf seltene
Rinderrassen. Bauern haben also nach wie vor Adaptionsleistungen zu
erbringen. Gäbe es eine entsprechende Förderung, zweifellos würden die
meisten Bauern Altpapier an ihre Kühe verfüttern.
An dieser Stelle komme ich nicht umhin, Vladimir Kurtz (wie sein Vorname
bereits deutlich macht, hat er nichts mit Sebastian Kurz gemein), den
Chronisten des Niedergangs alpiner Landwirtschaft, zu zitieren: „Unter der
Hütte auf dem Grat liegen grosse, flache Heuwiesen. Dort bauert und heut der
Bauer Rubitschung, dessen Vorfahren aus der Mongolei eingewandert sind. 100
Hektaren soll er heuen, sagen die anderen Bauern. Und so ist auch sein
Maschinenpark. Dass die Bauern Maschinenfetischisten sind. Oder
Maschinenfaschisten. Der Traktor ist das wichtigere Lebewesen als die Kuh.
Der Unterschied hat sich verwischt. Noch hat er nicht bemerkt, dass sein
Traktor keine Milch gibt und er ihn nicht essen kann. Niemals wird er ihn
essen können. Eines Tages wird ein Indianer kommen und es ihm sagen. Es ist
auch so, dass man den Eindruck hat, die Traktoren würden mit den Bauern
herumfahren und nicht umgekehrt. Dass der Traktor am Morgen vorfährt, um den
Bauern abzuholen. Das letztendliche Ziel ist immer die Subvention. Und die
einzige mögliche Steigerung darin, in der Subvention, die Subvention. Nicht
zum Beispiel mehr Zeit um ... ja was zu tun?“
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Neben der Abhängigkeit von Förderungen wird die Abhängigkeit von
Agrokonzernen an Bedeutung gewinnen. Nur sie verfügen über die nötigen
Ressourcen, die alpine Landwirtschaft neu zu denken. Großkonzerne werden das
Leben der im Produktionsprozess auf der untersten Stufe stehenden Bauern
bestimmen. Bezüglich Technikgeschichte der Landwirtschaft ist die weit
verbreitete Begeisterung für alte Traktoren und andere Maschinen von
Interesse. Alte Traktoren werden aufwändig restauriert, um dann auf
einschlägigen Treffen vorgeführt zu werden. Schaut man sich ein solches an,
muss man an Viehschauen vergangener Jahrzehnte denken, nur dass hier statt
Rindern Traktoren in Reih und Glied stehen. Viele der Traktoren sind mit
(Plastik-)Blumen geschmückt, ähnlich Kühen beim Almabtrieb. Rinder als
Opfertiere wurden ähnlich geschmückt. Auch Bräute. Bei den restaurierten und
herausgeputzten Traktoren handelt es sich um fetischistisch besetzte
Objekte. Auffallend oft werden solche Traktoren mit Frauen ausgeführt. Über
den Vorderrädern einer antiquierten Heuraupe sah ich in einer schmalen, quer
montierten Kiste, die ursprünglich dem Transport von Rechen, Gabeln oder
anderen Werkzeugen diente, eine junge Frau liegen, ihren Kopf auf einen
Polster gestützt, während ihr Freund oder Mann das Fahrzeug lenkte. Die
Kiste ließ sich gleichermaßen mit Bett und Sarg assoziieren. Da stellte sich
mir folgende Frage: Wird so der Vergangenheit nachgetrauert oder wird sie
zitiert, um sich zu vergewissern, sie überwunden zu haben?
© Bernhard Kathan, 2017