Herodes und Mariamne: Sind Despoten der Liebe fähig?






"Ich gebe dieses Trauerspiel nicht anders, als mit Zittern heraus. So viele Werke, von welchen ich gesehen, daß sie auf der Schaubühne einen allgemeinen Beyfall gefunden, bey ihrer Durchlesung aber in Verachtung gerathen, machen, daß ich nicht unbillig besorge, des dürffte dieses mein Werk ein gleiches Schicksal treffen."
Voltaire in der Übersetzung von Scharfenstein in seiner Vorrede zu "Mariamne. Ein Trauerspiel" (1724)

"Wahr ist es, theatralische Geschöpfe können schon etwas klüger seyn, als die, welche man im Parterre sieht. Deswegen haben [die Dichter] noch kein Recht, mit Räthseln um sich zu werfen, die kaum ein Oedip auflösen könnte. Hoffentlich wird man mir dieß nicht vorwerfen: ich höre mich vielmehr schon so vieler Schwächen beschuldigen, die vielleicht darinnen; vielleicht nicht darinnen sind. [...] Indessen ist die arme Mariamne zu beklagen. Ihr Schicksal bringet es so mit sich, allezeit in die Hände eines Anfängers zu gerathen. Ihre Geschichte ist so tragisch, als schwerlich eine zu finden seyn wird; und ihr Herz verdiente den feinsten Pinsel, alle die Bewegungen zu entwerfen, die eine beleidigte Tugend nur empfinden kann. Ich habe gethan, was ich gekonnt habe; und darf ich mir gleich nicht schmäucheln, alles gethan zu haben, was vielleicht ein anderer gethan hätte: so habe ich doch auch manche Klippe vermieden, an denen andere gescheitert haben. Es ist kein Zweifel, daß nicht Fehler darinnen seyn sollten; allein man zeige mir erst eine vollkommene Tragödie!"
Christoph Otto Freiherr von Schönaich in seiner Vorrede zu "Mariamne und Herodes" (1754)

Herodes: "Die kommenden Geschlechter, ach die! Die hören von mir in der Geschichte, die lesen über mich in Büchern, die sehen mich dargestellt im Theater. Sieh ihre dummen Augen, wie sie an mir hängen, sieh, wie sie kritisch den Wortschwall des Verfassers belauern und das Brüllen der Schauspieler. Ja, ich kenne das ganze Spiel: Ein Dichter gebraucht meine Seelenqual, um sich einen Namen damit zu machen, ein Schauspieler meines Herzens Verzweiflung, um Applaus dafür zu bekommen. Und die Leute kaufen sich Plätze zu sechs Denar für die guten und drei für die schlechteren Plätze, um einen Abend totzuschlagen mit meines Lebens namenlosem Weh, und sie gehen danach wieder heim und trinken Sorbet und loben das Stück, wenn es schlecht war, und tadeln es, wenn es gut war, und plaudern über Geld und Liebe und täglichen Kleinkram."
Kaj Munk, "Ein Idealist" (1928)

I

Über Herodes und Mariamne berichtet der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius einmal in seinem "Bellum Judaicum", dann ausführlicher in seinen "Antiquitates". Der von den Römern als König eingesetzte Herodes nimmt die dem Königsgeschlecht der Hasmonäer entstammende Mariamne zur Frau, und zwar bevor es ihm mit römischer Hilfe gelingt, Jerusalem zu erobern. Kaum hat er sich als König behauptet, nur ein Jahr nach seiner Vermählung, lässt er Mariamnes Bruder, den Hohepriester Aristobul, töten. Als er sich zur Rechtfertigung in das Lager des Marc Anton begeben muss, gibt er seinem Schwager Joseph den Befehl, die eifersüchtig geliebte Mariamne im Fall seines Todes umzubringen. Mariamne erfährt von diesem Befehl und empfängt den Zurückkehrenden kalt. Angestachelt von seiner Schwester Salome argwöhnt Herodes ein unerlaubtes Verhältnis zwischen Mariamne und Joseph und lässt diesen hinrichten. Wenige Jahre später, als Herodes Mariamne eines versuchten Giftanschlags auf sein Leben verdächtigt, lässt er auch sie töten.

Der Stoff wurde oft bearbeitet. Es sind mehr als vierzig Dramen dokumentiert. Das ursprüngliche Weihnachtsspiel mit der Betonung des Kindermords von Bethlehem verlagerte sich zunehmend in Richtung Liebes- und Ehedrama, wobei letzteres insbesondere für Friedrich Hebbels "Herodes und Mariamne" (1848) gilt. Während Josephus Flavius nur davon schreibt, wie sehr Herodes Mariamne geliebt habe, ihre Gegenliebe jedoch mit keinem Wort erwähnt, skizziert Hebbel sie als eine ihren Gatten liebende Frau. Bei Josephus Flavius macht sie Herodes heftigste Vorwürfe wegen der Morde an ihrem Bruder Aristobul und ihrem Großvater Hyrkan, bei Hebbel hingegen zeigt sie Verständnis für diese Taten. Als Herodes sich in das Lager des Marc Anton begeben muss, verlangt er bei Hebbel - ebenfalls im Widerspruch zum Quellenmaterial - von Mariamne das Versprechen, sich zu töten, sollte er umkommen. Doch Mariamne will nicht zu etwas gezwungen werden, was sie sich selbst vorgenommen hat. Sie verweigert das Versprechen. Herodes gibt deshalb einem Vertrauten den Befehl, sie zu töten, sollte sie es nicht selbst tun. Als sie das erfährt, sieht sie ihre Liebe verraten. Als Herodes sich ihr nach seiner Rückkehr nähert, wirft sie ihm entgegen: "Zieh das Schwert! Reich mir den Giftpokal! Du bist der Tod! Der Tod umarmt und küsst mit Schwert und Gift! [...] Du willst im Tode meinen Henker machen? Du sollst mein Henker werden, doch im Leben! Du sollst das Weib, das du erblicktest, toeten Und erst im Tod mich sehen, wie ich bin!" Die in ihrer Liebe verletzte Mariamne sucht Herodes in seine Mörderrolle zu drängen. Herodes lässt sich allerdings nicht hinreißen, Mariamne selbst zu töten. Er überantwortet sie einem Gericht. Erst nach ihrer Hinrichtung wird sich Herodes ihrer Liebe bewusst.[1]

In Hebbels Ehetragödie ziehen sich Kommunikationsschwierigkeiten durch das ganze Stück, was nicht zuletzt in den vielen Regieanweisungen zum Ausdruck kommt. Mariamne "will reden", "wendet sich" ab, "(will reden, unterbricht sich aber) Nein! Nein!" Sie "bleibt stumm" oder "sie schweigt". In einem jüngeren Kommentar zum Stück las ich, es handle sich um eine "Tragödie der beredten Sprachlosigkeit, des falschen Worts im falschen Augenblick, der Sprache, die sich, wie Hofmannsthal es ausdrückt, vor die Dinge stellt". Dies gelte für beide Liebenden. Herodes sei nicht fähig, Mariamnes Liebe zu vertrauen, gerade seine Urangst, sie zu verlieren, führe diesen Verlust herbei. Sein maßloser Anspruch an die Liebe zerstöre sie. Mariamne hingegen könne Herodes nicht verzeihen. Sie könne die Schwäche des geliebten Partners nicht akzeptieren. In ihrer Forderung nach absolutem Vertrauen sei ihr Anspruch an die Liebe so hoch, dass er nicht erfüllt werden könne. Gerade dieses Übermaß an Liebe zerstöre die Liebe. Keiner der Liebenden sei in seiner maßlosen Liebe fähig sich hinzugeben, zu vertrauen und zu verzeihen.

Mariamnes Vermählung mit Herodes hatte nichts mit Liebe zu tun. Es ging, wie so oft bei solchen Heiraten, um einen Handel. Herodes suchte als Idumäer durch die Heirat mit Mariamne seine Herrschaft über Judäa zu legitimieren. Auf der anderen Seite hoffte ihr Großvater Hyrkan, der sich im innerhasmonäischen Nachfolgestreit auf Herodes' Seite schlug, diesen an sich zu binden. Herodes war zum Zeitpunkt der Vermählung 36 Jahre alt, also etwa zwanzig Jahre älter als Mariamne. Von einer Liebesheirat kann keinesfalls die Rede sein, wie auch nicht anzunehmen ist, dass sich zwischen den beiden zärtlichere Gefühle entwickelten. Ein wirklich erotisches Begehren ist kaum vorstellbar, zumal Herodes seine sexuellen Bedürfnisse mühelos auf andere Weise ausleben konnte. Herodes hoffte auf Nachkommen aus einem adeligen Geschlecht. Mariamne gebar ihm denn auch innerhalb der acht Jahre, die zwischen ihrer Vermählung und ihrem Tod lagen, fünf Kinder. Ein Liebesverhältnis ist schon allein deshalb nicht anzunehmen, da Herodes alles daran setzte, den Herrschaftsansprüchen der Hasmonäer ein für allemal ein Ende zu setzen. Den Auftakt bildete nach seiner Eroberung von Jerusalem die Tötung von Mariamnes Onkel Antigonos durch die Römer, die auf sein Betreiben hin geschah. Ein Jahr später ließ er ihren Bruder Aristobul ermorden, einige Jahre danach den greisen Hyrkan, dem Herodes einst bei Gastmahlen den ersten Platz einräumte und den er seinen Vater nannte, aus fadenscheinigen Gründen hinrichten. Auch Mariamnes Mutter fiel ihm zum Opfer, schließlich zwei seiner Söhne aus der Ehe mit Mariamne. Am Ende hatte er sich alle Hasmonäer vom Hals geschafft. Nicht zufällig ließ Herodes Mariamne in dem Augenblick töten, als Octavian seine Herrschaftsansprüche endgültig bestätigt hatte. Sie war überflüssig geworden. Aus Eifersucht geschah es nicht. An den Ehebruch glaubte Herodes so wenig wie an den ihr zur Last gelegten Versuch, ihn zu vergiften. Der mühsam erkämpfte und behauptete Thron sollte nicht an die Hasmonäer zurückfallen. Hätte ihn Marc Anton oder später Octavian tatsächlich hinrichten lassen, so wäre Mariamne wie ihre Urgroßmutter Salome Alexandra Königin geworden. Einzig deshalb dachte er daran, Mariamne im Falle seines Todes töten zu lassen. Herodes soll nach Mariamnes Tod unter dem Verlust entsetzlich gelitten und laut einer der Ausschmückungen befohlen haben, ihren Körper in Honig zu legen, um ihre Schönheit zu bewahren. Tatsächlich hatte Herodes bereits Ersatz für Mariamne gefunden. Gewiss trauerte er nicht um sie, wie er auch nie, so wie es Hebbel anklingen lässt, auf seine Krone verzichtet hätte, wäre es möglich gewesen, sie dadurch zu neuem Leben zu erwecken.

Mariamne wurde elitär erzogen und auf ihre Rolle im Herrschaftsgefüge vorbereitet. Zweifellos wusste sie um die von hasmonäischer Seite in sie gesetzten Erwartungen. Mariamne dürfte sich in die aus politischen Erwägungen arrangierte Ehe gefügt haben. Mochte sie die Herrschaftsform selbst auch nie in Frage gestellt haben, so muss sie Herodes doch stets als Emporkömmling betrachtet haben. Nur schwer kann man sie sich in blinder Liebe an ihrem Mann hängend vorstellen, zumal Herodes sie mehr oder weniger in Gefangenschaft hielt. Josephus Flavius erwähnt mehrfach Fluchtversuche. Warum hätte sie ihm in den Tod folgen sollen? Mariamne lässt sich nicht mit Eva Braun vergleichen, die an Hitler schrieb: "Geliebter, du weißt, ich habe es dir immer gesagt, dass ich sterbe, wenn dir etwas zustößt. Von unserer ersten Begegnung an habe ich mir geschworen, dir überall hin zu folgen, auch in den Tod. Du weißt, dass ich nur lebe für deine Liebe. Deine Eva." Ähnlich auch Clara Petacci, die im August 1944 an Mussolini schrieb: "... wenn dich retten für mich hieße sterben, so mögen sie mir das Leben nehmen." Mariamne hätte sich nicht selbst getötet, wäre Herodes durch Marc Anton oder Octavian umgekommen. Wozu auch?

Die Hebbelsche Ehetragödie sagt viel über das Frauenbild des Dramatikers, wenig dagegen über das tatsächliche Verhältnis von Herodes und Mariamne. Hebbels Mariamne ist zwischen dem Wunsch nach Selbstbestimmung und bedingungsloser Hingabe hin und her gerissen. Dem Stück mangelt es an psychologischer Plausibilität. In Einfamilienhäusern am Stadtrand mögen sich solche Liebesdramen abspielen, nicht aber in Ehen, die sich dynastischen Interessen verdanken. Natürlich muss das Geschehen auf einer Bühne nicht dem Leben gerecht werden, wie es auch unterhaltsam sein kann, etwas im wirklichen Leben Undenkbares in Szene zu setzen. Ich habe weder etwas gegen das Traumhafte, noch gegen das Absurde. Böte sich mir eine Gelegenheit, ich würde mit größtem Vergnügen Johann Christian Hallmanns barockes Spektakel "Die beleidigte Liebe oder die großmütige Mariamne" (1670) auf die Bühne bringen.[2] In diesem Stück treten etwa 120 Personen auf, so auch "sechs Eitelkeiten auffs herrlichste bekleidet" oder "sechs Todte mit benennten Werckzeugen nebst Pfeil und Bogen", während Chöre Flüssen und Bergen eine Stimme verleihen. Da geht es so bunt zu, dass man sich über mangelnde Plausibilität nicht beklagen kann. Herodes: "Stracks Beil und Hencker her!" Der Blutrichter: "Hier liegt mit einem Streiche Auffs Königes Befehl die Blut-beströhmte Leiche." Will man aber etwas über Macht und Herrschaft begreifen, dann sollte man doch eher auf dem Boden bleiben. Mochte Hebbel selbst diesbezüglich ein gewisses Unbehagen empfunden haben, so wusste er dieses doch zu umschiffen: "Für wen das von der Geschichte abweichende histor. Drama eine Sünde an der Geschichte ist, für den muss auch der Tisch eine Sünde am Baum sein." (Tagebucheintragung Nr. 4073)

Bemerkenswert ist nicht die "Liebesgeschichte", sondern das Herrschaftsverhältnis. Nicht Reue und Schmerz ob des Verlustes von Mariamne hatten bei Herodes eine Geistesverwirrung zur Folge, sondern die Macht, die er in all den Jahren angehäuft hatte. In den Bearbeitungen haben wir es zumeist mit einem eitlen, grausamen und heuchlerischen Charakter zu tun, der leicht und oft unbegründet in Wut gerät, auf schlechte Nachrichten mit Klagen und Verzweiflung reagiert, wie etwa bereits in der "Tragedia" des Hans Sachs über den "Wütrich König Herodes wie er sein drey Sön und sein Gmahel umbbracht" (1552). Calderón machte Herodes zum "größten Scheusal der Welt" (1636). Bei Hallmann wird Herodes mit folgenden Bezeichnungen charakterisiert: "Blut-Hund, tück'scher, verfluchter, erboster Hund, verdammter Fuchs, Crocodil, ergrimmter Leopard, unmenschliches, blut-dürst'ges Tygerthier, Wüttrich, verfluchtester Tyranne, Tyranne sonder gleich, Tod-Schläger, Lügen-Freind, Patron verfluchter Laster, blut-dürst'ger Ubelthäter, Henckers-Knecht, höchst-ungerechter Plager, gifft'ger Erden-Wurm, Seuche dieser Zeit, Scheusaal dieser Erden" etc.

Als in dieser Tradition stehend sei Rudolph Neumeisters Trauerspiel "Herodes der Große und die letzten Maccabäer" (1853) genannt. Hier verliert Herodes jede Kontrolle über sich, als ihm Mariamne gesteht, von Joseph den Tötungsbefehl erfahren zu haben. In seiner Raserei tötet er zuerst diesen, dann Mariamne, nachdem sie ihm entgegenschleudert: "Stich zu! Erwürg' auch mich, Erwürger meines Bruders!"[3] Stich zu! Nicht erst im Hebbelschen Drama reizt Mariamne den Herodes. Das findet sich lange zuvor, so etwa in Christoph Otto Freiherr von Schönaichs Drama "Mariamne und Herodes" (1754). Mariamne: "So hebe bey mir an; Bey mir, die dich doch nicht mehr lieben will und kann."[4]

Sieht man von einem Entwurf Franz Grillparzers (1821/22) ab, in dem Mariamnes Kühle die Leidenschaft des Herodes bis zum Wahnsinn steigert (man denke an Grillparzers "ewige Braut" Katharina Fröhlich), so ist Mariamne in den meisten Bearbeitungen unschuldig wie ein Lamm, "rein und unbefleckt", wie es Hebbel ihr in den Mund legt. Die ihr zugeordnete Farbe ist weiß. Ihre Glieder können denn auch mit Elfenbein, ihre Brüste mit zarten weißen Lilien verglichen werden, wobei die Lilie das Geschlecht bezeichnen kann, das "fruchtbar Paradieß". So avanciert zu sie einer Vorläuferin der Jungfrau Maria. Auch wird auf den kommenden Erlöser angespielt, wenn sie ihren Tod, obwohl sie ihn (auf der Bühne, nicht im wirklichen Leben) leicht abwenden könnte, auf sich nimmt wie ein "Opfertier". Bei Hebbel wäscht sich Herodes wie Pilatus seine Hände in Unschuld, als er sie dem Gericht überantwortet: "Ich muss mich waschen, waschen." Die bei Josephus Flavius nicht näher erwähnte Urteilsvollstreckung findet auf Golgatha statt. Nach Mariamnes Hinrichtung wird Herodes mit den Worten berichtet: "Es ist vollbracht!", also mit denselben Worten, die laut Johannes 19,30 Jesus ausruft, bevor er stirbt. Mariamne kann auch mit der Figur Johannes des Täufers verschmelzen, etwa dann, wenn ihr abgeschlagenes Haupt in einer Schüssel aufgetragen wird.

In die Opferrolle fügt sich Mariamne allerdings erst kurz vor dem Ende. Während des Spannungsaufbaus muss sie Herodes heftige Vorwürfe machen oder ihn zurückweisen.[5] Prominent wird zumeist Mariamnes Gang zur Hinrichtung in Szene gesetzt. Mariamnes letzte Worte bei Hallmann: "Wir küssen Block und Beil! Gehab dich Erden wol!"[6] Wenn auch ausführlicher, so doch nicht viel anders Voltaire in seinem Trauerspiel "Mariamne" (1724): "Die Wächter schleppten sie von dieser Gegend fort; Sie gieng gedultig nach, sprach wider dich kein Wort. Ließ keinen Hochmuth sehn und keine Furcht sich rühren; Die sanfte Majestät war an der Stirn zu spüren. Die Unschuld, Scham und Zucht, die in dem Herzen war, Verherrlichte zugleich ihr schönstes Augen=Paar. Ihr Unglück selbst erhob den Glanz der Purpur=Wangen. [...] Und eh sie auf der Bühn den letzten Streich emfieng, Hub sie mit Freudigkeit beweglich und behende Zu dem gerechten Gott die schwergewordnen Hände. `Ach! sprach sie, unbeglückt = doch grausamer Gemahl, Da Mariamne stirbt, beweint sie deine Quaal. Es sterbe nur mit mir dein ungerechtes Wesen. Regier und leb beglückt, dein Glück sey auserlesen. Schau meine Söhn und Volk mit Huld und Gnade an. So weiß ich, daß ich nun ganz ruhig sterben kann.' Indem sie dieses sprach, both sie in stiller Eile Das wunderschöne Haupt dem scharfen Henkerbeile, Das sonst bey aller Welt Bewunderung erweckt." In der Folge überfällt Herodes Reue und Sehnsucht, weshalb er sich mit einem Messer zu töten sucht: "Ach Mariamne komm! Komm, Liebste, straffe mich. Zerreisse dieses Herz, es lodert noch für dich."[7] Solchem Kitsch möchte man manches entgegenstellen, warum nicht das Gedicht "Totenmaske einer zu spät Erkannten" von Christine Busta: "Sie hat sich verbraucht, / ohne zu wissen, ob man sie brauchte. / Zwischen Verschwendung und Versagen / soviel mißbrauchte Bedürftigkeit. // Wieviel Abweisung und Zerklüftung / in der Wehrlosigkeit dieser Wange, / wieviel Stolz und Verletzlichkeit / in der strengen Entblößung der Stirn, / wieviel Einsicht unter verschlossenen Lidern. // Wieviel kindliche Trauer / im letzten zaghaften Lächeln des Mundes, / der keinen verriet."

Im Bestiarium von Autokraten, Diktatoren und Despoten hat Herodes seinen festen Platz. Wie andere ließ er Weggefährten oder Personen aus seinem engsten Umfeld aus dem Weg räumen, drohten sie ihm gefährlich zu werden. Morde an Angehörigen finden sich bei ihm wie bei anderen. Wie andere umgab sich Herodes mit willfährigen Höflingen. Während seiner Herrschaft etablierte sich ein Spitzelwesen. Wer immer ihm ablehnend gegenüberstand, dem drohten Folter und Tod. Despoten neigen zur Eitelkeit und kaschieren eigene Schwächen. Herodes ließ seine Haare schwarz färben, als sie ergrauten. Tito täuschte Haarfülle mit Hilfe eines Toupets vor. Um größer zu erscheinen, als er mit seinen 165 cm war, benutzte Stalin Schuheinlagen. Als er sich vom Leningrader Künstler Scharapow porträtieren ließ, missfielen ihm dessen Skizzen, da sie seinen deformierten Arm zeigten. Stalin ließ er ihn liquidieren. Ceausescu ließ Dichter Lobpreisungen schreiben, sich als "Genie der Karpaten", "Sohn der Sonne", "Titan der Titanen" oder einfach "irdischen Gott" feiern. Auch Herodes hatte seinen Hofschriftsteller. Dieser verfasste eine ihm genehme Biographie, nach der er von Vorfahren abstamme, die im babylonischen Exil gewesen seien. Die Trauer, die Herodes nach Aristobuls Ermordung zur Schau stellte, sei als anderes Beispiel aus der Schnittmenge genannt. Stalin hat nicht wenige nach ihrem Tod geehrt, obwohl er sie liquidieren ließ. Als Lenins Witwe Krupskaja 1939 starb, fand sich Stalin unter den Urnenträgern. Tags darauf ließ er ihre Wohnung durchsuchen und ihre Papiere beschlagnahmen. Die Liste solcher Überschneidungen ließe sich lange fortführen.

Ist man um eine gewisse historische Genauigkeit bemüht, dann lässt sich Herodes nicht einfach auf einen blutrünstigen Tyrannen reduzieren. Was seine Grausamkeit betrifft, fiel er unter den Herrschern der damaligen Zeit alles andere als aus der Rolle. Ohne auf die auf Matthäus zurückgehende Legende vom Kindermord in Bethlehem - die nur insofern einen wahren Kern hat, als Herodes tatsächlich drei seiner Söhne, aus Angst, sie könnten ihn stürzen, töten ließ - hätten wir ein völlig anderes Bild von ihm. Dass er, um seine Herrschaft zu sichern, nach der Eroberung Jerusalems, die ihm ohne Hilfe der Römer nie gelungen wäre, seine tatsächlichen oder potenziellen Gegner ermorden ließ, entsprach realpolitischem Kalkül.[8] Nach der Eroberung Jerusalems brachte Herodes als erstes den königlichen Schatz in seinen Besitz, wie er auch die Reichen ausplündern ließ. Damit nicht jemand Gold oder andere Kostbarkeiten aus der Stadt schaffen konnte, wurden die Leichen der Getöteten untersucht. Wie der Besitz der besiegten Hasmonäer fiel das Eigentum tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner, die er hinrichten oder umbringen ließ, darunter viele wohlhabende Juden, an ihn. Es ist anzunehmen, dass ihm nicht wenige ihres Vermögens wegen zum Opfer fielen. Die geforderten Tributzahlungen wollten ebenso finanziert sein wie all seine Großprojekte oder Schenkungen, mit denen er sich eine gewisse Loyalität zu sichern trachtete.

Seiner idumäischen Herkunft wegen konnte die jüdische Bevölkerung Herodes nicht als ihren König betrachten. Mochte er auch die jüdischen Gesetze befolgen, für sie war er kein wirklicher Jude, zumal seine Mutter als Nabatäerin einem arabischen Geschlecht entstammte. In seinem Herrschaftsgebiet lebten neben Juden Idumäer, Nabatäer, Samariter, Griechen, Römer und andere. All diese Völkerschaften galt es einzubinden. Herodes ließ also nicht nur den Tempel in Jerusalem, sondern auch der griechisch-römischen Götterwelt geweihte Tempel errichten. Rom gegenüber hatte er sich absolut loyal zu verhalten, was in den ersten Jahren seiner Herrschaft alles andere als einfach war, tobte doch in Rom ein Machtkampf, dessen Ausgang nicht absehbar war. Aber im richtigen Augenblick wusste er sich auf die siegreiche Seite zu schlagen. Dass es ihm gelang, sich über drei Jahrzehnte zu behaupten, spricht für sein großes politisches Geschick. Und zu diesem Geschick zählt auch, dass er die Bevölkerung, die er auspresste, in Notzeiten, etwa während einer Hungersnot oder nach einem schweren Erdbeben, unterstützte, dabei auch auf das königliche Vermögen zurückgriff, um in Ägypten Getreide anzukaufen. Nicht zuletzt seine rege Bautätigkeit weist Herodes durchaus als Realpolitiker aus. Er dachte nicht nur an Festungsanlagen und Paläste, die der Sicherung seiner Macht oder repräsentativen Zwecken dienten. Gerade der Neubau des Tempels in Jerusalem macht deutlich, dass Herodes weiter dachte. Er hoffte, unter der jüdischen Bevölkerung, die ihn als Vasallen der verhassten Römer sah, mehr Zuspruch zu erlangen, indem er sich in eine Traditionslinie mit Königen wie David und Salomo stellte.

Herodes konnte Augustus dafür gewinnen, den in der Diaspora lebenden Juden, die oft der Willkür ausgesetzt waren, im Römischen Reich gewisse Sonderrechte zu gewähren, um es ihnen zu erleichtern, als Untertanen Roms ihrem Glauben treu zu bleiben. Dass er neben den Tempel in Jerusalem eine Burg setzen ließ, macht allerdings das weiterhin gespannte Verhältnis deutlich. Wer die Burg in seiner Hand hatte, der hatte die Kontrolle über den Tempel und somit über die ganze Stadt. Dem Tempel kam aber gleichzeitig eine wirtschaftliche Funktion zu, kamen doch tausende Juden aus Judäa und Galiläa regelmäßig in das Heiligtum, wie auch in der Diaspora lebende Juden bemüht waren, zumindest einmal im Leben den Tempel aufzusuchen. Ein Teil der jährlich zu entrichtenden Tempelsteuer floss unmittelbar in die Taschen des Königs. Herodes hatte also auch ökonomische Interessen im Auge. Solche Projekte dürfte er als Investitionen betrachtet haben. Dies gilt insbesondere für die Hafenanlage Caesarea Maritima, die er zu einem der modernsten und wichtigsten Häfen der damaligen Zeit, mit Werften und Docks, ausbauen ließ. Um Caesarea im Fernhandel Bedeutung zu verleihen, ließ er Tempel, ein Theater, eine Bahn für Pferde- und Wagenrennen sowie ein Amphitheater für Gladiatorenkämpfe errichten. So wurde die Hafenstadt zum Tor zur römisch-griechischen Welt, und das sowohl in ökonomischer als auch in kultureller Hinsicht. Herodes setzte auf einen florierenden Handel und daraus zu lukrierende Abgaben. Was sich aus der Bevölkerung pressen ließ, hätte neben den Tributzahlungen an Rom, Kriegsverpflichtungen mitgedacht, bestenfalls die bescheidene Hofhaltung eines Klientelkönigs ermöglicht. Da das von ihm beherrschte Territorium keine Expansion erlaubte - dadurch wäre er augenblicklich in Konflikt mit den Römern geraten, was ihm die Verfolgung und Bestrafung einiger Räuber auf fremdem Gebiet nur zu deutlich machte -, musste er an andere Möglichkeiten der Abschöpfung denken. Das war freilich nur an Passagepunkten möglich, etwa dann, wenn jemand den Tempel betreten wollte. Wirkliche Kontrolle hatte er über die städtischen Zentren und ihr Umfeld, über die Handelswege nur mit Einschränkungen, was häufige Überfälle von Räubern belegen.

Manche sprechen auf Herodes bezogen von einer "mehr als dreißigjährigen Friedenszeit". Das scheint mir übertrieben. Zwar trat nach langen Jahren des Bürgerkriegs Ruhe und Ordnung ein, aber auch nur dank eines Spitzelwesens und der Verfolgung aller, die Herodes gefährlich werden hätten können. Es mochte einen gewissen Wohlstand gegeben haben. Zu den gewaltigen Bauten muss man sich zahllose Fronarbeiter und Sklaven hinzudenken. Für das Herodeion ließ er eigens einen Berg aufschütten. Aber selbst Josephus Flavius, der Herodes eher ablehnend gegenüberstand, kam nicht umhin, seine Verdienste zu würdigen.

Herodes' Raffgier lässt sich wie vieles andere, mag es uns gefallen oder nicht, unter Machtpolitik einordnen. Der entscheidende Punkt ist an anderer Stelle zu sehen, nämlich in der absoluten Macht und den sie begleitenden Erscheinungen. Wie andere Despoten entwickelte Herodes zunehmend ein krankhaftes Misstrauen. Und sprach einer offen zu ihm, dann betrachtete er dies als Angriff auf seine Person. Um es mit Maxim Gorki zu sagen, sein Ego begann wie ein Sarkom zu wuchern. Schließlich konnte er seinem engsten Umfeld nicht mehr trauen. In seinen letzten Lebensjahren lebte Herodes in ständiger Furcht vor Verrat und Anschlägen auf sein Leben, was nicht zuletzt die Hinrichtung dreier seiner Söhne zur Folge hatte. In seinem tiefen Misstrauen änderte er mehrfach sein Testament. Die Grausamkeit, die er gegen Ende seines Lebens entwickelte, hatte nur noch wenig mit Machterhalt zu tun. Den Befehl zur Ermordung von Antipater, seinem Sohn aus erster Ehe, gab Herodes, als er selbst bereits schwer von Krankheit gezeichnet war, wenige Tage vor seinem Tod. Da er sich sicher war, dass niemand unter den Juden ihm nachtrauern würde, befahl er, die vornehmsten Juden zusammenzurufen und sie unmittelbar nach seinem Tod niederzumetzeln, um so für angemessene Trauer unter den Juden zu sorgen.

Grenzenlose Macht erlaubt es, niederste Triebregungen auszuagieren. Von Stalin sind diesbezüglich besonders illustre Beispiele überliefert. So rollte er an einem Neujahrsabend Papier zu kleinen Hülsen, stülpte sie seinem Privatsekretär Poskrebyschew statt Neujahrskerzen über die Finger und zündete sie an. Poskrebyschew wand sich vor Schmerzen, wagte aber nicht, die Röllchen abzustreifen. Als dessen Frau, sie war weitläufig mit Trotzki verschwägert, 1939 verhaftet wurde, beließ Stalin seinen Sekretär auf seinem Posten, auch dann noch, als sie zwei Jahre später unter dem Vorwand der Spionage erschossen wurde. Selbst eifrigste seiner Parteigänger, die in seinem Auftrag unerbittlich "Säuberungen" durchführten, Listen abarbeiteten, die oft nicht einmal Namen kannten, konnten ihm selbst zum Opfer fallen, also verhaftet und erschossen werden, und sei es "wegen Ausrottung von Kadern". Zwar konnte Stalin sich auch fürsorglich zeigen, doch hielt ihn dies nicht davon ab, denjenigen, dem er die Suppe höchstpersönlich in den Teller geschöpft oder um dessen Behandlung in einem Krankenhaus er sich gekümmert hatte, kurz danach verhaften und erschießen zu lassen. 1946 ließ er sich vom jüdischen Schauspieler Solomon Michailowitsch Michoels den "König Lear" vorspielen. Stalin bedankte sich bei ihm und lobte seine Kunst. Zwei Jahre später ließ er Michoels durch einen inszenierten Autounfall ermorden. Andere sollen es sein, die den eigenen Schmerz erleben; den eigenen Tod vor Augen, sollen andere sterben. Man denke an Hitlers Tötungsbefehle und schaurige Vernichtungsphantasien, die er vor dem absehbaren Ende entwickelte.

Als Herodes Mariamne töten ließ, war er von pragmatischen Überlegungen geleitet. Erst Jahre nach ihrem Tod begann er, grausam zu wüten. Trotz aller Höflinge, die ihn umgaben, trotz aller Frauen, die er sich nahm, litt er an Einsamkeit. Die Welt, die man ihm zutrug, hatte mit der allgemeinen Wirklichkeit nur noch wenig zu tun. Wie andere Despoten suchte er der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit durch den Tod zahlloser anderer zu begegnen. Darin ist das eigentliche Drama aller Despoten zu sehen. Schaut man sich die lange Geschichte der Päpste oder der Habsburger an, dann muss man mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass trotz aller Exzentriker, die sich darin finden, keiner von ihnen auch nur annähernd Züge entwickelt hat, die wir von Herodes oder anderen Despoten kennen, dies nicht, weil sie über einen besseren Charakter verfügt hätten, sondern weil sie sich in institutionell verankerten Regulativen bewegten. Das verhinderte ein Ausufern der Macht. Unbestreitbar bedarf es gewisser Dispositionen, um sich als Autokrat, Despot, Tyrann oder Führer zu behaupten. Unzählige Bücher sind zur Psychopathologie von Despoten und Tyrannen geschrieben worden. Auch Herodes wurde psychopathologisch gedeutet. Aber was ist damit gewonnen? Entscheidender sind die Mechanismen der Macht, und zu diesen Mechanismen zählt eben auch, dass unumschränkte Macht bestimmte Charakterzüge erst voll zur Blüte bringt.

Wenn eine der Bearbeitungen des Stoffs aus dem Rahmen fällt, dann jene des dänischen Pfarrers Kaj Munk mit dem Titel "Ein Idealist" (1928). Er hält zwar an der Liebesgeschichte fest, deutet diese aber auf völlig andere Weise, da er den Willen zur Macht ins Zentrum rückt. Kaj Munk, der in späten Jahren entschieden gegen den Nationalsozialismus auftrat und schließlich auf Himmlers Befehl von der SS ermordet wurde, war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als er das Stück schrieb, noch ein Bewunderer von Führerfiguren wie Hitler und Mussolini. Dementsprechend verkörpert Herodes bei ihm rücksichtslose Willenskraft. Herodes opfert sein Glück, und somit Mariamne, der Idee, für die er lebt, nämlich unangetastet als König der Juden zu sterben. Dabei scheut er kein Mittel, weder Mord noch Verrat, Verstellung oder Komödienspiel. Da Mariamne, die Verkörperung des Guten und der Unschuld, seiner Idee im Wege steht, muss sie sterben. Sie muss sterben, obwohl sie ihn immer noch liebt, mag er ihr noch so viel Leid zugefügt haben. Sie liebt ihn der Kinder wegen: "Alles Böse, das Herodes mir und meinem Geschlecht zugefügt hat, ist in dem Augenblick vergessen, da ich seine Züge in dem Antlitz des Kindes, das an meiner Brust liegt, wahrnehme. Und wenn er dann zu mir hereinkommt, müde von seinen königlichen Geschäften, ein wenig dasteht und schaut und einem der Jungen die Hand über den Kopf gleiten lässt und mir zulacht, da liebe ich ihn wie in der ersten Nacht unserer Liebe." Mag auch das ganze Volk um Gnade flehen und Herodes selbst von ihrer Unschuld überzeugt sein, so lässt er sie doch enthaupten. Später wird er nicht müde, diesen Mord als seinen größten Sieg zu bezeichnen. Und es ist ein Sieg über sich selbst, da er all das, wofür Mariamne steht, in sich selbst abtöten musste. Nur so kann er sein Mitgefühl ersticken. Aber so einfach gelingt es ihm nicht.[9] Um sich ihrer zu entledigen, muss er sie, bevor er sie dem Henker überantwortet, prügeln, demütigen, bloßstellen, sie vor anderen nackt ausziehen lassen, an ihr Alter erinnern. Nachdem er Mariamne halbtot geprügelt hat, lässt er sich von einem Vertrauten geißeln: "... ich entblöße meinen Rücken, nimm die Peitsche und schlag' ... schlag' doch zu, schlag' zu! Bist du kein Mann, kannst du nicht schlagen? Fester! Ah, das tut gut, tut gut. ... Mariamne!" In Munks Bearbeitung ist es nur konsequent, wenn Herodes in jeder Geliebten Mariamne sieht, die er aufs neue zu töten sucht. Am Ende bleibt ihm ein Mädchen, ein Kind noch, das er entführen ließ. Und wie Mariamne muss er dieses Kind während eines Festmahls erniedrigen.[10]

Munks Stück hebt sich von allen anderen Bearbeitungen des Stoffs nicht zuletzt durch den Facettenreichtum der herodschen Rede ab. Herodes kann schweigen, philosophieren, sich verstellen und doch die Wahrheit sprechen. Am Ende des Stücks lässt Munk einen irrlichternden Herodes monologisieren, der, den Tod vor Augen, die Möglichkeit hätte, sich von seiner Getriebenheit zu befreien. Von seinem Fenster aus sieht er eine Frau mit einem Kind. Er lässt sie zu sich rufen, da sie ihn an Mariamne erinnert. Herodes, der seit dem Mord an Mariamne alles Menschliche abgestreift hat, lässt sich von den Augen des Kindes erweichen. Es scheint ihn nicht zu stören, wenn das Kind mit seinem Zepter spielt. Er schenkt ihm sogar seinen Königsmantel, worauf ihm die junge Frau, Maria, dankt und beiläufig bemerkt, das Geschenk passe gut, denn das Kind sei der Messias, der neue König der Juden. Herodes wird sich dessen erst nach Marias Abgang bewusst. In ohnmächtiger Wut befiehlt er die Tötung des Kindes. Doch es hört ihn niemand mehr.

Herodes: "Halt, hörst du, stehen bleiben! ... Zu spät ... Menelaos, nein Ptolemäos! ... Hm, Nicolaus! ... Meine Leibwache! ... Ihr Sklaven ... lasst ihr mich im Stich? ... Ich selbst habe sie fortgeschickt. ... König der Juden ... er hat mich abgesetzt ... ich gab ihm meinen Mantel ... er nahm mein Zepter ... und ich küsste seine Hand. ... Gut nannte sie mich ... gut und liebevoll. ... Weh mir, sein Untertan war ich. ... Er war in meiner Macht ... und ich tötete ihn nicht ... denn ich konnte es nicht. ... Oh, bodenloses Entsetzen ... ich konnte es nicht. ... Selbst mein Herz hat ihm gehuldigt. Er ist größer als ich. ... Weh mir, ein Jude hat meine Krone genommen ... hat sie mir abgenommen ... hat sie selbst genommen. ... nein, nein, ich erkenne das nicht an. Ich wurde überlistet, das ist nicht gerecht. Ich erhebe Einspruch: nicht so, nicht so! Ich will hin zu meinem Thron. Ist da keiner, der mir hilft? Ich selbst habe sie fortgeschickt! ... Nein, jetzt nicht sterben, ich will jetzt nicht sterben. Mein Leben und meine Seele, meiner Liebsten Blut ... alles, alles wurde vergebens geopfert. ... Nicht jetzt sterben ... nur noch eine Weile leben ... ich muss erst ... oh, meine Kräfte schwinden. Ich will hin zu meinem Thron. ... Nicolaus ... Menahem ... gibt es niemanden unter den Lebenden, der mir hilft? Dann helft mir, ihr Toten, Hyrkan oder Joseph, selbst du, Kostabarus, ich nehme deine Hilfe an, ja ja, ich bitte dich darum. ... Da ist keiner, der antwortet. ... Ich bin allein mit Gott. ... So höre mich denn, du. ... Nun bete ich zu dir ... sieh, ich knie vor dir nieder. ... Zum ersten Mal beuge ich meine Knie vor jemandem. ... Erhöre mich nun! Ich demütige mich, ich bitte um Vergebung, vergib mir alles, was ich Böses getan habe, alle meine Sünden, meinen Kampf und meinen Trotz. Verlange alles von mir, lass mich büßen mit allem, was mir noch verblieben ist. Aber lass das Kind sterben, lass es eine Schlange beißen, lass es an einer Klippe zerschmettert werden, lass es bei einem Auflauf zerquetscht werden, lass es auf eine Lanze aufgespießt und an einem Baum aufgeknüpft werden. ... Lass mich als König sterben, gib mir meine Krone wieder, für die ich meine Seele geopfert habe. Nimm mich in Gnaden an, erbarme dich meiner, du mein Kaiser, mein Herr, du Gott Jakobs!"

II

Die Beschäftigung mit Herodes scheint reichlich unzeitgemäß. Anstelle von Bogenschützen werden heute Drohnen auf die Feinde angesetzt. Es bedarf keiner Läufer mehr, um Nachrichten zu übermitteln. Informationen sind zeitgleich an jedem beliebigen Ort der Welt abrufbar. Statt der überschaubaren Welt des Herodes haben wir es in Zeiten der Globalisierung mit Verflechtungen und Wechselwirkungen zu tun, die sich in ihrer Komplexität nicht mehr fassen lassen. Aber dann ergeben sich doch erstaunlich aktuelle Bezüge schon allein dadurch, als es auch heute nicht an Autokraten oder solchen, die es werden wollen, mangelt. Man denke an Trump, Putin, Assad, Bolsonaro, Duterte, Orban, Erdogan, Kim Jong-un und viele andere, die heute ihr Unwesen treiben. Wie Herodes lehnen auch sie alle Institutionen, denen im Machtgefüge die Funktion von Regulativen zukommt, ab. Herodes setzte alles daran, den Sanhedrin außer Kraft zu setzen, schließlich zu einem willfährigen Instrument zu machen, was einige der Urteile, die die Hinrichtung ihm missliebiger Personen zur Folge hatten, nur allzu deutlich zeigen. In vergleichbarer Weise suchen heutige Autokraten das Rechtswesen, Verfassungsgerichte, parlamentarische Entscheidungsprozesse, die unabhängige Presse, um nur einige Beispiele zu nennen, zu diskreditieren oder für eigene Interessen zu instrumentalisieren. Herodes umgab sich zunehmend nur noch mit Vertrauten, vornehmlich mit Mitgliedern der eigenen Familie. Auch dafür finden sich unter heutigen Autokraten Beispiele ohne Ende, man denke etwa an Trump und seinen Schwiegersohn Kushner.

III

Es war eine gute Übung, ausgehend von Josephus Flavius ein Theaterstück zu schreiben, über Herrschaft nachzudenken. Setzt man etwas in Szene, dann stellen sich viele Fragen. Und diese Fragen sind allgemeiner Natur. Ginge es nur um Herodes, es lohnte sich nicht. Man kann ihn als Prototyp autokratischer Herrschaft sehen. Die Beschäftigung mit verwandten Figuren lag auf der Hand. Üblicherweise wird die Betonung auf den Weg zur Macht gelegt. Will man etwas von Despoten verstehen, dann muss man sich mit ihrem Ende beschäftigen, mit ihrem Abgang, mit ihren letzten Stunden. Erst in ihrem Abgang zeigen sie ihr wahres Gesicht, vor allem dann, wenn sie gestürzt werden, die Welt nicht mehr verstehen und in Selbstmitleid verfallen. Man erinnere sich an den wirren und verwirrten Gaddafi, der sich in einer Betonröhre eines trockengelegten Kanals zu verstecken suchte, an Saddam Hussein, der, von einem Vertrauten verraten, in einem engen, gemauerten Erdloch vor einer ärmlichen Hütte entdeckt wurde, an Ceauşescu, der nicht glauben konnte, was um ihn geschah, es nicht verstehen konnte. Lange bevor er am 21. Dezember 1989 auf dem Balkon am Haus des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in Bukarest während seiner Rede ausgepfiffen wurde, lange bevor man ihn mit seiner Frau Elena gefesselt zur Erschießung abführte, hatte Ceauşescu den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren. Wie Herodes war er nur noch von Höflingen umgeben, die die Wirklichkeit so organisierten, wie er sie sehen wollte. Er schoss zwar auf den Bären, aber nicht seine Kugel traf, sondern die eines Scharfschützen, dessen Gewehr mit dem des Diktators synchronisiert war. Ceauşescu lebte in ständiger Furcht vor Verrat, traute nur noch sich selbst und Familienangehörigen, weshalb er die Geheimpolizei Securitate zu seiner Privatarmee ausbaute, das Land mit einem Spitzelwesen überzog und alle, die auch nur den Ansatz einer Systemkritik wagten, in psychiatrische Anstalten stecken oder einfach liquidieren ließ. Den alternden Herodes mag man sich ähnlich vorstellen, nur dass er eben nicht gestürzt wurde, sondern bis zu seinem Ende in seiner Wahnwelt leben konnte. Wie Herodes suchte auch Ceauşescu, das eigene Ende vor Augen, diesem durch die Tötung anderer zu begegnen. Da wie dort haben wir es mehr mit Affektabfuhr als mit machtpolitischem Kalkül zu tun.

Es wäre einfach gewesen, eine Vielzahl von Despoten mit der Figur des Herodes zu verschmelzen. Aber so wäre eine synthetische, letztlich leblose Figur entstanden, die auf der Bühne nur in einer Groteske mit viel Blut, Gräueltaten und absurden Reden, also in der Übersteigerung wie im Zeitraffer funktionieren würde. Nein, ich wollte nahe an der Figur des Herodes und somit auch jener der Mariamne bleiben. Nur an konkreten Figuren lassen sich Fragen durchspielen. Herodes hatte durchaus politisches Geschick, wie er auch weit über den eigenen Tellerrand hinausgesehen hat. Wir haben es also nicht, wie es Shakespeare Hamlet auf Herodes bezogen sagen lässt, mit einem laut krakeelenden Prahlhans zu tun.

Ein Historiendrama lag mir fern. Akteure, die wie in den Filmen "Ben Hur" (1959) oder "Blut über Jerusalem" (1959, in der Rolle der Mariamne Sylvia Lopez mit ausladenden Brüsten) verkleidet herumlaufen, das wäre lachhaft, noch lachhafter, wäre auf der Bühne der Blutrichter mit seinem Beilträger zu sehen. So ist denn in meiner Bearbeitung Herodes wie ein Demenzkranker in einer heutigen Pflegeeinrichtung gekleidet, während Mariamnes Kleidung an eine gut angezogene junge Frau denken lässt, die uns auf der Straße begegnen könnte. Gleichzeitig habe ich den beiden keine Worte in den Mund gelegt, die sich ihrer Erfahrung entzögen. Das ist gar nicht so einfach. Man finde einmal ein anderes Wort für "banal". Und natürlich können sie nicht von "Beziehung" sprechen. Die von mir verwendete Sprache mag zwar etwas antiquiert klingen, es wäre mir aber unerträglich, Worte wie "Siegertyp", "Karriere" oder "Pausetaste" zu verwenden oder gar das Vokabular der Me-too- Debatte zu bemühen. Es schien mir geboten, das Ganze sprachlich in einen Raum zu heben, der sich klar von unserem Alltag, unserer Sprache abhebt.

Dass auch meine Bearbeitung in manchen Punkten vom Quellenmaterial abweicht, ist, um noch einmal Hebbel zu bemühen, noch lange keine "Sünde an der Geschichte". Manches muss man verdichten, damit es zu einem Bild wird. Gewiss dachte Herodes nicht an Mariamnes Brüste, als er einen Berg aufschütten und darauf das Herodeion errichten ließ. Das Bild verdankt sich einzig einer Bemerkung des Josephus Flavius, wonach dieser Berg der Brust einer Frau gleiche. Es ist nicht überliefert, auf welche Art und Weise Mariamne hingerichtet wurde. In den Bearbeitungen wird sie zumeist enthauptet, stirbt sie einen blutigen Tod. In meinem Stück wird sie dagegen erdrosselt, was wohl eher der Fall gewesen sein dürfte, zumal Herodes auch seine Söhne nicht enthaupten, sondern erdrosseln ließ, verständlicherweise, hätte doch ein Blutakt unter der jüdischen Bevölkerung noch mehr Ablehnung zur Folge gehabt. Stirbt Mariamne in all den Bearbeitungen einen blutigen Tod, dann ist das vor allem der Bühnenwirkung geschuldet. Wird sie nun erdrosselt, dann verweist dies auf Aristobuls Ende, der ertränkt, also genaugenommen auch erstickt wurde, ebenso wie auf die von Josephus Flavius genau beschriebene Atemnot des siechen Herodes.

In meiner Bearbeitung begegnen sich Herodes und Mariamne nach ihrem Tod auf einer Bühne wieder, als lebende Tote, und zwar in dem körperlichen Zustand, in dem sich die beiden unmittelbar vor ihrem Tod befanden. Mariamne war 25, jung und gesund, Herodes starb mit 69 Jahren, von heftigsten Schmerzen geplagt und von Geschwüren zerfressen. Die Verlagerung der ganzen Geschichte in ein Leben nach dem Tod ist einmal der Erzähltechnik geschuldet, zumal alle Bearbeitungen des Stoffes an den vielen Personen und Handlungssträngen scheitern. Bei Josephus Flavius, um nur ein Beispiel zu nennen, befiehlt Herodes gleich zweimal die Tötung der Mariamne, sollte er nicht zurückkehren. In manchen Bearbeitungen fällt der Vorhang bereits nach Mariamnes Hinrichtung, wodurch vieles verloren geht. Will man es nicht bei der Liebesgeschichte belassen, sondern die Geschichte als Lehrstück in Sachen Despotie verstehen, dann muss man sie weiter fassen, vor allem die Betonung auf das Ende des Despoten legen. Wenn ich dennoch die Liebesgeschichte, die keine war, aufgreife, dann hat dies mit jenem Wendepunkt im Leben des Herodes zu tun, den Mariamnes Ermordung markiert. Erst zu diesem Zeitpunkt war sich Herodes seiner Macht gewiss. Gleichzeitig beraubte er sich durch ihre Ermordung des einzigen Widerparts in seinem Umfeld, der ihm irgendwo Halt zu geben vermochte, was es in einer Aufführung auch erlaubt, die beiden Figuren aufeinanderprallen zu lassen. Dann lässt sich das Beziehungsgeschehen als Mikrophysik der Macht betrachten, da Mariamne, in manchen der Bearbeitungen wird darauf angespielt, für Jerusalem, letztlich für das jüdische Volk steht.

Lasse ich Herodes und Mariamne als Tote auftreten, so ist dies nicht ganz neu. Bereits in Hallmanns Trauerspiel treten Tote auf, so "der Geist deß Königes David, der Geist Aristobuli III. Bruders der Mariamnen, welchen Herodes ersäuffen lassen, der Geist Josephi oder die Leiche Hyrcani". Da in Hallmanns Stück die Handlung bei Sonnenaufgang einsetzt und zu Mittag des folgenden Tages endet, musste er sich der Toten für die nötigen Vor- oder Rückblenden bedienen. Freilich bleiben all die von ihm bemühten Toten wächsern, sind sie doch bestenfalls in der Lage, Geschehen, Geschehenes oder Kommendes zu kommentieren. Da sie nicht handeln, nicht wirklich in Beziehung treten können, sprechen sie, wenn sie auf der Bühne erscheinen, gleichsam aus dem Off, so auch die tote Mariamne, mag Hallmann auch schreiben: "Jhr Purpur gläntzte niemals herrlicher als da jhn die Rubinen jhres unschuldig-verspritzten Blutes bestrahlten. Ja ich würde nicht jrren, wenn ich sagte, daß MARIAMNE mehr im Tode als im Leben gelebet." Interagieren können nur Lebende mit Lebenden, Tote mit Toten. Da bei Hallmann Herodes nicht als Toter auftritt, können ihm die Toten bestenfalls eine Mahnung oder Warnung als Traum eingeben. In meiner Bearbeitung treffen nur Tote aufeinander. Wechselseitig sind sie sich ausgesetzt, auf sich selbst zurückgeworfen. Sie könnten handeln, wären sie nicht Gefangene ihrer eigenen Geschichte.

Auch wenn ich bemüht war, dem Stoff und all dem, was wir inzwischen über Herodes wissen, gerecht zu werden, so bin auch ich nicht umhingekommen, viele der erwähnten Figuren wegzulassen oder zu verschmelzen. Dabei kamen mir die beiden lebenden Toten gelegen. Sieht man von den drei stummen Zwergwüchsigen ab, tauchen all die anderen Figuren, so sie überhaupt Erwähnung finden, nur in der Rede der beiden auf. Verständlicherweise liegt der vorherrschende Sprachgestus in Vorwürfen und Rechtfertigungen. Das ergibt keine Handlung, wie auch ein solches Sprechen, man denke ganz allgemein an Beziehungsdramen, keine wirkliche Chronologie kennt. Es kommt auch gar nicht so sehr auf die einzelnen Ereignisse an, die erwähnt werden. Entscheidender ist das, was unausgesprochen zwischen den einzelnen Sätzen liegt, also mitschwingt. Natürlich steht das in einem völligen Widerspruch zu all dem, was wir üblicherweise über den Aufbau eines Dramas denken. Es findet sich kein retardierendes Moment, nichts steuert auf einen Höhepunkt zu. Es kann keine Lösung geben.

Einzelereignisse mögen im Leben eines Despoten von Bedeutung sein, aber man sollte sich nicht, wie dies allgemein üblich ist (man denke an den Geschichtsunterricht oder an Artikel in Wikipedia), ausschließlich darauf konzentrieren. Entscheidender ist der Bodensatz, der sich allgemein erst im Abgang von Despoten zeigt. Gerade bei der Figur des Herodes hat es mich gereizt, nicht den prunkenden und selbstgewissen Herrscher am Höhepunkt seiner Macht zu zeigen, sondern ihn in seiner ganzen Machtlosigkeit, in seiner Einsamkeit und in seinem Elend auf die Bühne zu bringen. Das schien mir auch die einzige Möglichkeit, das Menschliche der Figur zum Ausdruck zu bringen, Herodes nicht nur als wüsten Despoten zu zeichnen. Dass wir es mit einem sehr ungleichen Paar zu tun haben, mit einem siechen alten Mann und einer jungen Frau in der Blüte ihres Lebens, mit Schuld und Unschuld, mag das Bild zwar verzerren, hat aber doch etwas Reizvolles. Übrigens hat sich Mariamnes Zeichnung erst allmählich ergeben. In den ersten Fassungen zeigte sie ausgeprägt sadistische Züge, haftete ihr in Kleidung und Verhalten etwas Dominahaftes an.

Und nicht zuletzt: Wie viel Leid und Gewalt ein Leben auch kennen mag, das Drama ist ihm fremd. Da nun das Publikum ein Drama erwartet, muss das Fehlen eines entsprechenden Aufbaus durch etwas anderes ersetzt werden, nämlich durch eine exakte Choreographie, sei es der Bewegungen wie auch aller Sprachgesten.

IV

So sehr ich heutige Autokraten im Sinn hatte, so sei doch festgehalten, dass all diese Figuren letztlich überholt sind, mögen sie auch für kurze Zeit sehr viel Macht anhäufen. Der Totalitarismus, der sich heute breitmacht, kennt keine Gesichter, nicht einmal Akteure. Herrschaft neuen Zuschnitts ist omnipräsent. Heute gibt es keinen Ort auf der Welt, der nicht Zollstation wäre, an dem nicht abgeschöpft, an dem nicht nach unserer Identität gefragt würde. Jedes Schlafzimmer muss man sich als Zollstation denken. Und selbst im tiefsten Urwald, wo nur das Geschrei von Papageien und Affen zu hören ist, haben wir Zölle zu entrichten. Und das Erstaunlichste an all dem: Wir sehen keine Zöllner. Das ist auch gar nicht möglich, denn der Zöllner steckt in uns. Wir haben es mit einem Kolonialismus nach innen zu tun. Ohne dass dies uns bewusst wird, sind wir in unseren eigenen Häusern nicht mehr die Herren. Nach Belieben dringen die ein, die uns mitreißen wollen in den schnellen Strudel. Da lohnt sich ein Blick in die Kolonialismusgeschichte: "Sie berühren alles, was ihre indiskrete Neugier weckt, und nehmen keine Rücksicht auf den Verdruss, den ihre Anwesenheit auslöst. Wenn man sie höflich empfängt, betrachten sie diese Art, sie zu behandeln, als Einladung wiederzukommen, und schließlich machen sie das Haus eines friedlichen Bürgers zu einer öffentlichen Einrichtung. Wenn man versucht, sie hinauszukomplimentieren, werden sie böse." Aber im Unterschied zu Japanern, die sich im neunzehnten Jahrhundert gegen die Kolonisierung ihres Landes wandten, schenken wir Worten wie "Willkommen" oder "Partner" Glauben, obwohl sie oft genau das Gegenteil ihrer eigentlichen Bedeutung zum Ausdruck bringen. Der heutige Mensch konsumiert seine Unterwerfung.

© Bernhard Kathan, 2020

Anmerkungen
Handschriftliche Randnotizen, eingelegte Notizblätter sowie Anmerkungen des Herausgebers. Letztere sind in eckige Klammern gesetzt.

[1] "Waere meine Krone Mit allen Sternen, die am Himmel flammen, Besetzt: fuer Mariamne gaebe ich Sie hin und, haett' ich ihn, den Erdball mit. Ja, koennte ich sie dadurch, dass ich selbst, Lebendig, wie ich bin, ins Grab mich legte, Erloesen aus dem ihrigen: ich taet's, Ich gruebe mich mit eignen Haenden ein!"

[2] "Der Geist deß Königes David verweiset dem schlummernden Herodes sein Blut-dürstiges Gemüte und verkündiget jhm die unaußbleibliche Rache GOttes. Der erschrockene Herodes lässt Mariamnen holen, welche, in dem sie den Beyschlaf verweigett und mit jhme wegen jhres unschuldig hingerichteten Bruders und Groß-Vaters eifert, vom wüttenden Könige weggestossen und zu entweichen gezwungen wird. Der Mund-Schencke überreichet dem rasenden Herodes den falschen Liebes-Tranck."

[3] Mariamne: "Noch immer stirbt auf Deinen Lippen nicht Der heil'ge Name `Liebe?' O entweihe Des Lebens Höchstes nicht, denn was die Erde, Der Himmel und die Elemente all' Von Seligkeit umfassen, das ist Liebe, Ja selbst im Tode wacht die Liebe noch, Doch Deine Seele brütete den Mord." Herodes (stürzt in höchster Leidenschaft auf Mariamne zu und zieht, während er sie mit der Linken faßt, mit der Rechten das Schwerdt.): "Ha! Tod und Hölle! Welcher Bube hat Dir das gesagt?" Mariamne: "Ich bebe nicht zurück? Stich zu! Erwürg' auch mich, Erwürger meines Bruders!" Herodes (im höchsten Affect): "Zuvor Gericht an ihm! (stößt sie zurück) Das fordert Rache! Verräther, die Vergeltung naht! (er stürmt, indem er mit dem Schwerte eine Bewegung macht, als ob er Jemanden durchbohre, fort.)" Mariamne: "Mein Gott - Was that ich? (eilt ihm nach.) König!" (Als sie eben in der Thür steht, hört man von außen den durchdringenden Schrei von Josephus Stimme.) Josephus (von außen): "Weh mir!" Mariamne (schaudert vor dem Anblick, weicht zurück, und ruft, ihre Augen mit beiden Händen verbergend, entsetzt aus): "O Entsetzen! O unerhörte Gräu'lthat! (indem sie von Neuem mit den Worten) Nein, es haben Die Sinne mich getäuscht -" (nach der Thür eilt, tritt Herodes ihr mit blutigem Schwert entgegen.) Herodes (mit erhobenem Degen): "Ich bin gerächt! Das ist das Blut des tückischen Verräthers! Du willst nicht lieben mich, so sollst du zittern!" Mariamne (mit Hoheit, geringschätzig): "Vor Deinem Schwert?!" Herodes (sich noch mäßigend, aber in furchtbarer Wuth): "Weib höhne nicht! Der König Judäas steht vor dir!" (Er zittert.) Mariamne: "Du drohst als König? Dann spricht die stolze Maccabäerin Zum jetzt entlarvten blut'gen Brudermörder: Pfui - Idumäer - ich verachte Dich." Herodes (im höchsten Affect): "Das war Dein letztes Wort!" (Er ersticht sie.) Mariamne: "Und diese - That - Heißt wieder - Mord (sinkt in einen Lehnstuhl.) Vergieb mir - Mutter - ach! - Erlöse Herr!" Herodes (entsetzt über seine That): "Verwünscht! (beugt sich über sie.) Es traf ihr Herz!"

[4] "Beginne deine Wuth an deiner Frau zu weiden; Es kann das Kind Hirkans sonst keinen Mörder leiden. Ich fühle, wie die Brust dem Stahl' entgegen springt; Ich fühle, wie sie dir ihr Herz entgegen bringt, Mein Henker, mein Gemahl! Von der Hand will ich sterben: Sie soll sich noch den Ruhm von meinem Mord' erwerben. Und wirst du dieses Herz, durch dich, durchbohret sehn, Das weiter nichts gethan, als deine Wuth zu schmähn; Und wirst du mir das Glück von meinem Hause gönnen: So thus, nur hüte dich, mich lasterhaft zu nennen. [...] Herr! mache! daß dein Dolch dieß keusche Herz zerschneide!, Das, wahrlich! außer dir, sonst keinen Schandfleck leidet. [...] Durchstoße mich, Gemahl! [...] Stoß zu! Stoß zu! Tyrann! mein Herz hört auf zu schlagen: Es scheint dich ja itzund, warum du schonst? zu fragen. Bin ich doch schon gewohnt, Blut um dich her zu sehn; Und du erschrickst auch nicht, damit bespritzt zu gehn. Kein Tag, an dem du mich in deinen Arm gedrücket, Den mörderischen Arm, der nun den Dolch gezücket; Kein Tag, an dem dein Mund von Schmäucheleyn erklang, An dem der Heuchler Schwarm in meine Zimmer drang, Ließ mir von deiner Hand so viele Wollust hoffen; Als ich in deiner Wuth, die mich bedroht, getroffen. Drum sey einmal recht hold; verschieb mein Glück nicht mir: Wo nicht, so find ich auch den Tod auch hier von dir."

[5] Bei Hallmann liest sich das so: Herodes: "Mariamne! ach! komm' näher was zu mir! Komm näher was zu mir! Erquicke meine Seele Mit deinem Purpur Mund! Hier ist die sanffte Höle. Hier ist das Paradieß, die Rosen-volle Bahn, Wo deine Göttligkeit mich satt vergnügen kan! [...] laßt uns der Wollust pflegen!" Mariamne: "Ein traurig Hertz laßt sich zur Liebe nicht bewegen. [...] Soll ich dem Wüttrich nun anjtzt zu willen seyn, Der mir und meinem Stamm den blut'gen Grabe-Stein Stets henckrisch richtet auff? Soll ich in dessen Armen Mich küssend schlössen ein, der sich nicht läßt erbarmen, Noch Alters, noch Geschlechts? [...] Denn wer sein Eh-Gemahl nur henckert, martert, plaget, Dem wird Mund / Brust und Schoß mit höchstem recht versaget."

[6] "Die Königin erscheinet vor Gericht, höret jhr Urtheil an und verantwortet sich mit grosser Vernunfft. ... Worauff Mariamne, nachdem sie sich mit jhren Kindern, auch mit allen beweglich gesegnet, den Schnee-weissen Nacken dem Hencker darbittet, und die tugendhaffte Seele auf dem Richt-Block großmütig außbläset."

[7] Bei Josephus Flavius sucht sich Herodes auch mit einem Messer zu töten, allerdings nicht Mariamnes wegen, sondern der Schmerzen wegen, die ihm in seinem Siechtum unerträglich wurden.

[8] [n Friedrich Rückerts Drama "Herodes der Große" (1844) befiehlt er nach der Eroberung Jerusalems Kostobar: "Hier, mein Bruder, nimm, auf diesem Papiere findst du fünfundvierzig Namen Von Pharisäern, eifrigsten Anhängern Des Gegenkönigs und erbittertsten Bestreitern unsrer königlichen Ehre. Erwürg' in ihren Häusern sie, und nimm Das Gold, das sie verachten und verbergen! Aus ihren heil'gen Händen soll's in die Unheiligen der Römer, unsrer threuen Schutzfreunde wandern, deren Freundschaft wir Nicht wohlfeil, aber nie zu theuer kaufen. Stell an den Thüren Wachen auf, und laß Ununtersucht nichts aus dem Hause tragen, Und seien's Särge, daß nicht unsre Feinde Sich unterm Schein von Leichen uns entziehn, Und uns die Todten auferstehn."

[9] Nach Josephs Hinrichtung entlädt sich sein Zorn an Mariamne: Herodes: "Willst du wohl schweigen, du Lügnerin! Willst du hier stehen und dich von einer Sache hinweglügen, du Buhlerin? Niemals ist mir eine Wahrheit so offen in die Hände gefallen. ... Diese Peitsche habe ich für meinen schwarzen Hengst gebraucht, damit er wie ein Blitz dahinsausen sollte, um mich in die Arme einer Metze zu bringen! ... Sie ist viel zu gut für den Rücken einer Hure!" Mariamne: "Herodes! Du rührst mich nicht an! Das wagst du nicht!" Herodes: "Und was hast du gewagt, du Hündin? Bin ich Herodes, oder bin ich es nicht? Soll ich das alles ertragen? Niemals hat ein Mann eine Frau so leidenschaftlich geliebt ... ganz und gar, überschwänglich und tief ... wie ich dich ... und du buhlst mit einem halbverfaulten Stück Aas. Kannst du mir deinen Giftstachel in die Seele treiben, kann ich deinen Leib mit der Geißel peitschen! [...] Ich werde dir die Seele aus dem Leibe peitschen, eine zu schöne Seele in dem Leib einer Hure, peitschen ... so ... und so ... und so! [...] Hast du genug, du da unten? Antworte mir, wenn du nicht tot bist. Wenn du tot bist, hast du es verdient. Mariamne!"

[10] "Ha, kommst du da, schöne Jungfrau, du, die noch nichts von einem Manne weiß? Komm in die Arme deines Königs. Ich will dich an mich drücken. Die ganze Nacht will ich mich dir zuwenden mit meiner Liebe Sehnsucht und meines Hasses Glut. [...] Ich fange keine Taube in den Bergen, um sie wieder fliegen zu lassen. Ha, du windest dich wie ein Aal zwischen meinen Händen. Du bist so lebendig, so glatt, so jung. Wie tut es dem Toten so gut, dem Leben so nah zu kommen. Denn ich muss ja leben, in meinem toten Leben am Leben bleiben. Mein Thron verlangt das. Dieser verfaulende Leib muss aufgerichtet bleiben, damit der Königsmantel daran hängen kann. [...] Du willst hin zum Fenster und dich hinabstürzen? [...] Wehr dich nicht, gib deinen Kampf auf! Mit dem Toten kann keiner kämpfen. Aber der Tote will leben ... und woraus saugt er seine Nahrung? Die Erinnerung an das Andenken füttert ihn. So ernenne ich dich zu einer Erinnerung und sauge mir Leben aus dir ... deiner heißen Brust, worin das Blut strömt und aus der Milch rinnen wird. Ich schlage meine Zähne hinein, ich sauge, ich sauge, ich möchte davon essen. ... So bist du jetzt Mariamne. Die ganze Nacht will ich dich umarmen, bis du tot bist, tot, tot! Denn es gibt keine anderen Frauen mehr, die es wert sind sie zu umarmen und umzubringen. Und sie, die einzige, kann ich nicht mehr umarmen und umbringen."
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