Dichterzimmer




Das Depot des Gedächtnisses ist gerade auf Reproduktion nicht angelegt. Eben dem Abruf eines Vorgangs widersetzt es sich. Auf Anstoß, auf bloß partielle Kongruenz, aus dem blauen Absurden liefert es freiwillig Fakten, Zahlen, Fremdsprache, abgetrennte Gesten [...]. Das Stück Vergangenheit, Eigentum durch Abwesenheit, bleibt versteckt in einem Geheimnis, verschlossen gegen Ali Babas Parole, abweisend, unnahbar, stumm und verlockend wie eine mächtige Katze hinter Fensterscheiben, sehr tief von unten gesehen wie mit Kinderaugen.
Uwe Johnson, Jahrestage


Das klassische Dichterzimmer verdankt sich einem autorenbezogenen Verständnis von Literatur, ist einem genieästhetischen Konzept von Kunst verpflichtet. Es trägt der Sehnsucht Rechnung, der Literatur und ihren Schöpfern vermittelt durch Orte ihres Wirkens näher zu rücken, in ihre Haut zu schlüpfen, ihre Gesten und Blicke nachzuvollziehen, zu wiederholen, den Schöpfungsakt zu verstehen. Wohnungen erscheinen in diesem Zusammenhang als Orte der Repräsentation, in denen sich schriftstellerisches Selbstverständnis artikuliert, als Verlängerungen des Körpers, nach außen gestülptes Denken, als Spiegel des jeweiligen Werkes, sind Orte der Inszenierung. Posen des Autors, der Autorin werden wiederholt, tradiert. Der Denkerstuhl vor ein Fenster gerückt. Auf einem Tischchen arrangierte Rauchutensilien. Im Zentrum, häufig, der Schreibtisch als Ort des schöpferischen Aktes. Objekte, die auf das Schreiben und Denken verweisen: Federkiel, Füller oder Schreibmaschine. Die Brille. Beschriebenes Papier. Darüber hinaus Gebrauchsgegenstände, im besten Fall von deutlichen Gebrauchs- und Lebensspuren gezeichnet. Zerknitterte Pölster, eine abgewetzte Couch, darauf, wie gerade hingeworfen, ein Überwurf. Kleiderbügel und Nachttopf dort, wo es an Objekten fehlt. Dem Tod assoziierte Dinge. Totenmaske, Totenhemd.

Jene Wohnung in der Rue Auguste Comte in Paris, in der Simone Weil mit ihren Eltern lebte, viele ihrer Texte schrieb, Trotzki und anderen begegnete, ist heute nicht mehr zugänglich. Sie wurde 1998 verkauft. John Berger verdanken wir einen Text über Simone Weils Zimmer in dieser Wohnung. John Berger beginnt mit einer Beschreibung des Schreibtisches: "Er mißt, glaube ich, 80 x 200 cm. Mehr oder weniger die Größe der Fläche, auf der man schläft, wenn man Liegewagen fährt. Nicht aus Eiche, sondern wohl aus Birnenholz, das eine wärmere Farbe hat. Darauf steht eine Tischlampe, ebenfalls aus Holz, annähernd Bauhaus-Design, vielleicht aus den zwanziger Jahren, als die Familie die Wohnung bezog. Eine bescheidene, funktionelle Lampe, die nahezu handgefertigt aussieht, doch beharrlich in ihrer Verheißung von Modernität - eine Verheißung, an die ihre Besitzerin keinen Moment lang geglaubt hat. Der Tisch steht in dem Zimmer, in dem sie gearbeitet und geschlafen hat, wenn sie zu Hause war. In ihrem Wanderleben muß sie an diesem Tisch mehr als an irgendeinem anderen gelesen und geschrieben haben."

John Berger, zweifellos ein genauer Beobachter, liest die Räume jenen Bildern entsprechend, die er von Simone Weil hat. In "ihrem" Zimmer stehend, denkt er, wie es für die junge Simone Weil gewesen sein muss, hörte sie während des Schreibens ihren Vater (er war Arzt) Patienten begrüßen oder verabschieden. Dass der Ort nicht mehr derselbe ist, macht bereits das Haustor deutlich: "Auf der Straße unten, über dem Eingang zu dem Wohnhaus (heute muß man einen Tür-Code eintippen, um hineinzukommen), ist eine Tafel angebracht, auf der steht: Simone Weil, Philosophin, lebte hier zwischen 1926 und 1942." John Berger blickt auch aus dem Fenster, hinunter auf den Jardin du Luxembourg: "Du stehst am Fenster, du machst es auf, du lehnst dich gegen das Geländer des Balkons, auf dem nicht mehr als vier Tauben landen könnten, und du fliegst in deiner Vorstellung über Dächer und Geschichte. Es ist genau die richtige Höhe für Flüge der Einbildungskraft: die Höhe, in der Vögel zum anderen Ende der Stadt fliegen, zu den Mauern, wo die Gegenwart endet und eine andere Epoche beginnt. In keiner anderen Stadt der Welt sind derlei Flüge so elegant." Um die Bedeutung des Parks in Simone Weils Leben wusste John Berger nicht. Möglicherweise ist sie als junges Mädchen hier einem Exhibitionisten begegnet. Den Jardin du Luxembourg verband sie mit ihrem Widerwillen, Gegenstand des Verlangens zu sein.

Wir wissen nicht, was mit den Einrichtungsgegenständen nach dem Verkauf der Wohnung geschah, was mit dem Schreibtisch und der hölzernen Schreibtischlampe. Möglicherweise befinden sich diese Objekte heute in einem musealen Depot, um damit zu gegebener Zeit eine Ausstellung zu bestücken oder gar ein Simone Weil-Zimmer einzurichten. Würde letzteres geschehen, dann hätten wir es nicht nur mit einer Dislokation, sondern mit einer Rekonstruktion, besser Konstruktion zu tun. Stellvertretend dafür sei die rekonstruierte Wohnung Franz Grillparzers genannt.

Die Grillparzer-Wohnung befindet sich in einem frei stehenden Kubus im zweiten Stock des Wien-Museums am Karlsplatz. Durch einen Eingang, daneben ein historischer Glockenzug, gelangt man in ein dunkles Vorzimmer. Vor eine Tür gerückt eine Vitrine mit allerlei Erinnerungsstücken. Darunter Brille, Federkiel, Zigarrentasche, Tabakdose Moliéres, Siegelring Friedrich Schillers. Weiter in einen schmalen Raum, Bücherschränke säumen die Längswände. Eine geöffnete Tür gibt den Blick frei in einen größeren Wohnraum. Durch die Horizontkammern zweier Fenster fällt künstliches Tageslicht auf das Mobiliar. Ein Flügel, ein Schreibpult, ein Bett, eine Sitzecke. Ein lederner Lehnsessel. Die Dielenbretter sind blank gescheuert. Wieder ein Schrank vor eine Tür geschoben. Absperrungen aus Plexiglas hindern den Eintretenden sich in die Tiefe des Raumes zu bewegen.

Hier also hat Franz Grillparzer gelebt. In diesem ledernen Lehnsessel pflegte er, ein Buch am Schoß, in Lektüre vertieft, seine Besucher zu empfangen, in ihm ist er auch gestorben. Grillparzer - dies verschweigen die Zimmer, die eigentlich nur Ausschnitt eines größeren Wohnambientes sind - hat nicht allein gelebt. Mit ihm lebten Katharina, Josepha und Anna Fröhlich sowie die Haushälterin Susanna Kirsch und Katze. 1849 war der Dichter als Untermieter Anna Fröhlichs in die Spiegelgasse 21 eingezogen und ist dort bis zu seinem Tod geblieben. Die Fröhlich-Schwestern hatte Grillparzer schon als junger Mann kennengelernt und stand mit ihnen auf sehr vertrautem Fuß. Mit Katharina Fröhlich, die als Grillparzers "ewige Braut" in die Literaturgeschichte eingegangen ist, hatte sich der Dichter 1821 verlobt, sich dann aber nie dazu entschließen können sie zu heiraten. "Ich habe schon deshalb nicht heiraten können, weil ich den Gedanken nicht ertragen hätte, daß es einen Menschen gibt, der das Recht hat, wann immer es ihn beliebt, in mein Zimmer zu kommen". Am 11. Jänner 1844 notiert er in seinem Tagebuch: "*** hat mir heute [...] meinen kranken Fuß verbunden, ein Hemde geflickt und einen Zahn ausgerissen. Letzterer war freilich schon wacklich."

Aus bürgerlichem, aber verarmten Hause stammend, waren die Fröhlich-Schwestern früh darauf angewiesen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Lediglich Barbara Fröhlich, die vierte Schwester, eine Malerin, hat geheiratet. Musikalisch gut ausgebildet, künstlerisch begabt, waren die Schwestern begehrte Musikerinnen und Musiklehrerinnen. Josepha brach eine viel versprechende Bühnenkarriere ab. Sie gaben Konzerte, fungierten als Vermittlerinnen. Das Fröhlichsche Haus war ein Mittelpunkt der Wiener Musikkultur. Katharina, der eine große Begabung im schauspielerischen Bereich nachgesagt wird, verzichtete, Grillparzer zu Liebe, auf eine Karriere im öffentlichen Leben. Eine eigenwillige Wohngemeinschaft, in der Grillparzer mit den Schwestern lebte. Diese führten den Haushalt, übernahmen geschäftliche Angelegenheiten und Botendienste für den Dichter. Sie waren seine Krankenwärterinnen, seine Empfangsdamen. Gemeinsam wurde musiziert, Karten gespielt, gegessen. Als Grillparzer 1863 im Römerbad stürzte und sich dabei verletzte, reisten Katti und Peppi ihm nach, um ihn zu pflegen, während Anna in Wien die Stellung hielt, den besorgten Wienern über den Zustand des Dichters Bericht erstattete und mit ihren Schwestern diesbezüglich eine rege Korrespondenz führte. Bereits zu Lebzeiten des Dichters sahen sie sich als dessen Denkmalpflegerinnen. Doch auch er sorgte sich um die Frauen, unterstützte sie immer wieder in beruflichen Angelegenheiten und hinterließ ihnen schließlich seinen gesamten Nachlass.

Im Mai 1878 wandte sich Katharina Fröhlich, sie war damals achtundsiebzig Jahre alt, mit dem Wunsch an den Bürgermeister von Wien, nach ihrem Tod die gesamte in ihrer Hand liegende Erbschaft Grillparzers, also sämtliche Handschriften, seine Handbibliothek, seine Briefschaften und Dokumente sowie seinen gesamten Hausrat der Stadt Wien zu stiften. Sie knüpfte ihr Angebot an die Bedingung, "daß dieser gesamte Nachlaß des Dichters ungetheilt in einem entsprechenden Raume des neuen Rathauses, welcher den Namen ‚Grillparzerzimmer' führen möge, aufgestellt, verwahrt und der Besichtigung der Besucher in entsprechender Weise zugänglich gemacht werde." Man begann, vermutlich unter der Aufsicht der Schwestern, den Besitz Grillparzers zu inventarisieren. 1884, nach dem Tod der der Schwestern, wurden die Habseligkeiten Grillparzers im neu errichteten Rathaus deponiert. Über Jahrzehnte waren sie im Rathaus in den so genannten Grillparzerzimmern ausgestellt und bildeten später den Mittelpunkt dreier Gedächtnisausstellungen. Während des Zweiten Weltkrieges ausgelagert, wurde das Grillparzerzimmer 1960 rekonstruiert und originalgetreu im neuen Museum der Stadt Wien am Karlsplatz aufgebaut. Als man 1900 das Haus in der Spiegelgasse abriss, wurden die Wohnräume vermessen und gezeichnet. Wandverkleidungen und Böden wurden abgetragen, inventarisiert und deponiert. Bei der Rekonstruktion der Räume achtete man akribisch auf jedes noch so kleine Detail. Sie sollten in jenem Zustand zu sehen sein, in dem sie sich im Todesjahr des Dichters befanden. Bauliche Unregelmäßigkeiten wurden nachgebildet, die Dielenbretter sollten in der richtigen Reihenfolge liegen, Gebrauchsspuren, die man Grillparzer zuordnete, sollten gewahrt bleiben, während die Lebensspuren der Schwestern aus der Erzählung gelöscht wurden. Da und dort war während der Kriegsjahre manches verloren gegangen. Da das Unternehmen aber keine Leerstellen zuließ, musste das eine oder andere Versatzstück aus dem Wohnbereich der Hausgenossinnen herhalten und sich unauffällig in den Gesamtkomplex fügen.

Der Ort ist als Gedenkstätte gedacht. Eng geknüpft an die Vorstellung von einem Dichtergenie wird von der auratischen Aufladung seiner Gegenstände ausgegangen. Es herrscht eine dichte bedeutungsgeladene Atmosphäre. Der Blick soll nicht auf das konkrete Objekt gerichtet werden, sondern ein diffuser Gesamteindruck soll den Betrachter überwältigen, in Andacht versetzen. Das Ganze trägt kultische Züge. Dabei wird das Dichterleben selbst zum Kunstwerk stilisiert. Das Ambiente muss in sich geschlossen, lückenlos und stimmig sein. Dabei wird selektiv vorgegangen, es wird ausgeschieden, ausgewählt, betont, gelöscht, der Vorgang der Selektion selbst jedoch bleibt im Verborgenen. Es wird nach Übereinstimmungen gesucht zwischen Lebenszeugnissen und Werk. Man sieht, dass "die Stuben ordentlich gehalten wurden", sie sind "ein schönes Zeugnis für die Bedürfnislosigkeit eines großen Geistes". Die Bibliothek des Dichters legt Zeugenschaft darüber ab, "wie bald sich der Geschmack des Jünglings geläutert hatte". Die Bücher sind "durchwegs sauber erhalten, frei von Randbemerkungen und Verunstaltungen durch Unterstreichungen einzelner Stellen". Politische, soziale und historische Kontexte müssen zu Gunsten des in sich geschlossenen Gesamtbildes ausgeblendet werden, das Ambiente muss von Banalem und Alltäglichen gereinigt sein. Heute wäre die Errichtung einer derartigen Kultstätte undenkbar, würde doch die Konstruiertheit der Inszenierungen nur zu offensichtlich. Die Inszenierung des Dichterbildes zeugt weniger vom konkreten Leben des Künstlers als den Bedürfnissen einer Gesellschaft zum Zeitpunkt der Inszenierung.

Diese Technik des bürgerlichen Erinnerns führt geradewegs zurück in die Zeit Grillparzers. Erinnerungsstücke, Portraits, Freundschaftsgaben, Reiseandenken zierten die Stuben des 18. und 19. Jahrhunderts und zeugten von bürgerlicher Emanzipation sowie lebensgeschichtlicher Selbstvergewisserung. Dichter, die dieses Lebensgefühl besonders artikulierten, wurden im 19. Jahrhundert als Kultfiguren verehrt. Man pilgerte zu Dichtergräbern, Dichtergeburts- und Sterbeorten, Kultstätten also, die inzwischen auch den öffentlichen Raum besetzten, und sammelte "Reliquien". Grillparzer begab sich 1826 auf eine - wenn auch ironisch gebrochen - "echt katholische Reliquien - Andacht", will heißen, er reiste nach Weimar, um der Enge des restaurativen Klimas in Wien zu entkommen, sich durch die Begegnung mit Goethe neue schöpferische Kraft zu holen. Auf seiner Reise besuchte er nicht nur die Literaten seiner Zeit, er suchte auch "literarisch berühmt gewordene Örtlichkeiten" auf und besichtigte diesbezügliche "Merkwürdigkeiten". In Berlin trieb es ihn in die "Weinhandlung zu Lutter und Wegner, wo sonst der phantastische Hoffmann seine Abende zubrachte." In Weimar beeindruckte ihn Schillers Wohnhaus, vor allem ein in dessen Studierstube das Lesen lernender Knabe, den er sich, umgeben von der auratischen Atmosphäre, als künftigen Schiller phantasierte. Dass er Goethe nicht genug beeindruckt hat, um in dessen Schriften erwähnt zu werden, beschäftigte ihn, hatte er so doch einen wichtigen Meilenstein der imaginierten Dichterbiographie verfehlt.

Liest man Zeugnisse von Zeitgenossen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Grillparzer die von ihm bewohnten Räume als Teil seiner Selbstinszenierung verstand. Grillparzer im Lehnstuhl, beinah immer lesend, den Blick zur Tür gerichtet. Das Fenster kulissenhaft im Rücken, den Schreibtisch im Blickfeld - bedeutungstragendes Zeichen in der eigenen Lebenserzählung. Der biographischen Selbstsetzung bedarf es immer auch eines Zuhörers. Eines Zuhörers, der die Zeichen richtig zu deuten weiß. In den Fröhlich-Schwestern fand Grillparzer wohl auch ideale Komplizinnen in der Fortschreibung des eigenen Lebens. Schon zu seinen Lebzeiten prägten die Schwestern das Dichterbild. Sie bewirteten die Bewunderer und Gäste Grillparzers und warteten ihnen im Nebenzimmer mit Anekdoten und Charakterbeschreibungen auf. Wie mochte Katti wohl das Ende des Armen Spielmann verstanden haben, in dem die imaginäre Geliebte des Künstlers dem eben verstorbenen ein Denkmal setzt, "die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem Spiegel und einem Kruzifix gegenüber an der Wand"?

Dichtergedenkstätten wirken heute muffig, verstaubt, und das, obwohl sie in einem permanenten Idealzustand gehalten werden. Sie harren aus wie jemand, der Besuch erwartet und alles darauf richtet, das Zimmer genau in jenem Zustand zu erhalten, in dem es sich den Blicken der Eintretenden präsentieren soll. Eine Art Inszenierung, aber der Bewohner fehlt. Lediglich die Putzfrau wird es hin und wieder entstauben, manchmal müssen Glühbirnen ausgetauscht werden, damit das Tageslicht nicht verlischt. Das Bett ist seit Jahren kalt. Die Dinge, alle funktionstüchtig, haben ihre Funktion verloren. Es geht ihnen jedes Leben ab. Eifersüchtig wacht das Zimmer über seine Geschlossenheit, schützt sich vor Eindringlingen von außen. Vor Verschmutzung, vor Bewegung im Arrangement. Unmöglich einen Gegenstand zu verschieben. Alles ist fixiert auf einen eingefrorenen Augenblick, ähnlich einer Fotografie. Der Blick durch das Fenster ist blind, die Türen lassen sich nicht öffnen. Die Lüsternheit durchs Guckloch zu blicken, in die Privatheit eines fremden Lebens vor- und einzudringen, Neugierde und Schaulust sind in der zeitlichen Distanz schal geworden. Was können wir diesem Leben noch abringen? Wie mögen die Zeitgenossen Grillparzers das Zimmer im Rathaus erlebt haben, als man die Dinge noch berühren durfte, die Zeichen noch in Beziehung zu setzen wusste?

Die Fröhlich-Schwestern werden im Widerspruch zu den historischen Tatsachen in der rekonstruierten Grillparzerwohnung nur beiläufig erwähnt. Im Rahmen der Intervention "Männerwelten Frauenzimmer", einem Ausstellungsprojekt, in dem die Dauerausstellung des Wien Museums von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch 2005 auf ihre verborgenen und sichtbaren Geschlechterdiskurse hin befragt wurde, war auch die Grillparzerwohnung Gegenstand einer diesbezüglichen Intervention. Die Fröhlich Schwestern, die abgesehen von einem Verweis auf Katharina Fröhlich als Stifterin unsichtbar geblieben waren, wurden zumindest vorübergehend wieder eingeführt. Dies geschah zum einen mit Hilfe von Objekten der Fröhlich-Schwestern, die aus dem Depot geholt wurden und sich in die geschlossene Objektwelt des Dichters mischten, zum anderen durch zwei Klanginstallationen, die auf Textmontagen von Briefen Grillparzers wie der Fröhlich-Schwestern basierten.

Die Problematik von Dichterzimmern liegt weniger in den Dichterzimmern selbst als in der Behauptung von Authentizität. Tatsächlich haben wir es stets, und zwar in jedem Museum, mit Konstrukten zu tun. Im zeitlichen Abstand fällt das nur allzu schnell auf, insbesondere dadurch, dass solche Räume häufig nur noch Langeweile auszulösen vermögen. Das gilt neben vielen anderen Beispielen auch für das Christine Lavant-Zimmer, welches im Robert Musil Literaturmuseum in Klagenfurt zu sehen ist (Siehe die beiden Abbildungen). Da kann man nur sagen, sehr ordentlich. Mögen auch alle Gegenstände original sein, so wie es dieses Zimmer behauptet, hat Christine Lavant nicht gelebt. Wir haben es einzig mit Artefakten zu tun, die einer Übersetzungsleistung bedürfen. Man muss sich mit Verwerfungen und Brüchen beschäftigen, nicht zuletzt mit jenen der Präsentation.

Iris Kathan, 2010






Spiegelgasse 21 - 11'40"
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© Text: Bernhard Kathan
© Musik: Günther Zechberger
| spiegelgasse21 |

Sie, Du; ganz wirr durcheinander geworfen - 11'30"
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© Text: Bernhard Kathan
© Musik: Günther Zechberger
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