Bankraub:
Zur neuen Portraitmalerei

Ohne visuelle Grenzen kein oder beinahe kein geistiges Vorstellungsvermögen mehr, ohne eine gewisse Blindheit  keine dauerhafte Erscheinung. 
Paul Virilio

   




Das HIDDEN MUSEUM zeigt Gesichter von Bankräubern. Wie die Konstituierung des Subjekts am Beginn der Neuzeit in der Portraitmalerei ihren Ausdruck fand, so konstituiert sich im kalten Auge der Überwachungskamera das neue Subjekt. Das technische Auge sucht nach Eindeutigem. Es tut dies mit Hilfe des Allgemeinen. Besonders offensichtlich wird dies beim Phantombild. Haare, Stirnhöhe, Mund und Augen existieren in wenigen Grundtypen. Werden allgemeine Informationen entsprechend zusammengefügt, ist das Ergebnis eine signifikante Person. Die Anfänge dieser Abbildungsform finden sich am Beginn der Neuzeit.  Dürer war der Ansicht, der Idealakt könne dadurch konstruiert werden, daß man den Kopf von einem Körper, die Brüste von einem anderen, die Schultern von einem dritten, die Beine von einem vierten, die Hände von einem fünften nehme. So lange sollten von verschiedenen Körpern einzelne Teile zusammengefügt werden, bis sich der ideale Körper, der den Menschen verherrlichen solle, ergebe. Das Motiv der zusammengesetzten Frau findet sich auch in der Literatur des sechzehnten Jahrhunderts; etwa bei Hans Sachs oder Robert Burton: "Laß sie ein Köpfchen aus Prag haben, Brüste aus Österreich, ein französisch Bäuchlein, einen Rücken aus Brabant, Hände aus England, Füße vom Rhein, einen Schweizer Hintern, spanischen Gang und italienische Kleider [...] - ein Fieberchen, ein Pustelchen, eine Wunde, eine Narbe, ein verlorenes Bein, Arm oder Auge, und alles ist dahin! Schwangerschaft, Alter, die tyrannische Zeit machen aus Venus eine Furie." Zur selben Zeit wurde in den Anatomischen Theatern mit Hilfe des Konkreten Allgemeines entworfen, nämlich das Modell des menschlichen Körpers. Bankräuber und jene, deren Körper zur Grundlage dieser Kartographie wurden, verbindet, daß es sich bei ihnen um Diebe handelt. In Rembrandts Anatomie des Dr. Nicolaes Tulp wird der Leichnam eines Diebes seziert, der aufgrund eines gestohlenen Mantels hingerichtet wurde. Der erste Mensch, der digital kartographiert wurde, hieß Joseph Paul Jagan. Er wurde nach seiner Hinrichtung sofort tiefgefroren, in Gelatine eingegossen und scheibchenweise zersägt. Wir haben es zwar mit Dieben und Mördern zu tun, sie liefern aber Modelle, die auf jeden Menschen zutreffen. Letztlich läuft es darauf hinaus, jeden Menschen einer umfassenden Identifizierung zu unterwerfen. Dies hat nicht nur mit den Fortschritten der Medizin zu tun, sondern damit, daß in einer Gesellschaft, in der jeder fremd ist, jeder auch wie ein Fremder behandelt werden muß. Vaterschaft? Jetzt reichen drei Haare oder eine Zahnbürste. Phantombilder und Überwachungskameras werden durch neue Techniken abgelöst werden, die letztlich jede Verkleidung sinnlos machen. Schon bald werden solche Zeitungsberichte nicht mehr zu lesen sein: Banküberfall in Harburg: Der Räuber wurde bei seinem "Coup" gefilmt - auch, als er noch unmaskiert war. Es ist 15.58 Uhr, als ein Unbekannter die Vereins- und Westbank an der Wisener Straße betritt. Im Vorraum guckt er sich um, blickt dabei ahnungslos direkt in die Kamera, die schon im Vorraum der Bank installiert ist. Erkannt hat der Mann sie als solche offenbar nicht, denn erst Sekunden später zieht er sich in aller Ruhe seinen Schal vor das Gesicht und betritt den Schalterraum. Diesmal wird er dabei von einer anderen Kamera beobachtet. Mit den Worten "Geld her! Überfall! Dies ist kein Spaß, schnell, schnell", bedroht er die Angestellten mit einer schwarzen Schußwaffe - die rechte Hand scheinbar lässig in der Jackentasche. Der 23 Jahre alte Angestellte hinter dem Tresen zögert nicht, händigt dem Räuber 2000 Mark in bar aus. Sekunden später ist alles vorbei: Ungehindert verlässt der Maskierte, dessen wahres Gesicht heute alle kennen, die Bank und entkommt auf der Wisener Straße in Richtung stadtauswärts. Während sie das hier lesen, wird der mann vermutlich gerade festgenommen. Jemand hat ihn erkannt und die Polizei alarmiert. Vielleicht sein Nachbar, sein Freund oder seine Frau. Aus gegebenem Anlaß wird das HIDDEN MUSEUM eine Kamera installieren, die, mit einem Bewegungssensor gekoppelt, Bilder von jenen aufnimmt, die durch die Scheibe in das Innere des Raumes blicken. Wir sind alle potentielle Bankräuber [wobei weiterhin offen bleiben wird, wer wen ausraubt]. Die so hergestellten Bilder werden an dieser Stelle zu sehen sein. Dauer der Ausstellung: 13.3. - 17.4. 2000. Öffnungszeiten sind keine anzugeben.


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