August Strindberg: Der Verstand der Tiere und der Pflanzen




Der Irrtum, der Instinkt der Tiere sei etwas ganz anderes, Unfreies, Unbewegliches, im Vergleich zum Urteilsvermögen des Menschen, ist in unserem, dem naturwissenschaftlichen Zeitalter erheblich zerstreut worden. Beobachter hatten unter anderem bemerkt, daß Bienen, die ins heiße Australien gebracht wurden, wo das Wachs schmolz und es Blumen das ganze Jahr über gab, im Laufe von einer paar Jahren aufhörten, Honig zu sammeln, also fähig waren, eine Überlegung etwa folgendermaßen anzustellen: Hier wird es nicht Winter, also braucht kein Honig gesammelt zu werden. Mit der Entdeckung aber, daß der Mensch auch ein Tier sei und die seelischen Fähigkeiten der Tiere nur als in höherem Grad entwickelte besäße, ging eine übereilte Überschätzung der Intelligenz der Tiere einher, und die unkorrekte Schlußfolgerung: "Mensch und Tier sind in allen Fällen gleich, da sie sich in einigen gleichen" erfuhr eine unangenehme Verbreitung. Man las Bücher gebildeter Männer, in denen zum Beispiel der Hund neben oder über den Menschen gestellt wurde.

Als ich zum erstenmal dem größten Käfer Skandinaviens, dem Hirschkäfer, auf einem Fußweg begegnete, blieb ich stehen, froh darüber, diese ungewöhnliche Bekanntschaft machen zu dürfen, und da höchstderselbe keine Anzeichen von Furcht zeigte, konnte ich ihn ungestört betrachten und er mich. Um die Kraft seiner entwickelten Oberkiefer zu ermitteln, hielt ich dem Feind den Stock hin. Anstatt zu fliehen, was intelligenter gewesen wäre, als schlecht gegen einen Überlegenen zu fechten, setzt sich der arme Kleine aufs Hinterteil und beißt in die Zwinge. Dieses Zeichen mangelnden Urteilsvermögens ließ mich an der berühmten Auffassungsgabe einer so hoch stehenden Tierart wie dem Hirschkäfer zweifeln, und ich huldigte damals noch einem älteren Vorurteil, das dem Schnellkäfer (elater), Spinnen und einigen anderen die Fähigkeit zuschrieb, sich totzustellen, um dem Feind zu entschlüpfen. Wer einen Schnellkäfer in die Hand genommen hat, hat gesehen, wie dieser Käfer auf den Rücken zu kommen versucht und seine sechs Beine einzieht, als wäre er am Ende. Aber während der Sieger dabei ist, den Heuchler zu betrachten, läßt der eine kleine Federmechanik aufschnappen, die zwischen Brust und Bauch einrastet, und schnellt so ein paar Ellen weg. Das kann ganz listig sein, wenn er einen Maulwurf oder Vogel düpieren will, obwohl ich an seiner Stelle lieber zu den Flügeln greifen würde, aber mit einem solchen Streich zu versuchen, Menschenhänden zu entkommen, wirkt weniger überlegt. Deshalb geschah es mit unverstellter Freude, daß ich kürzlich eine Enthüllung über den Schnellkäfer las, von dem es nunmehr heißt, er besitze nicht die Fähigkeit, den Tod zu simulieren, sondern sei, so die bestimmte Behauptung, gelähmt vor Furcht und liege wirklich scheintot da. Ganz so wie das Huhn, von dem man seit Athanasius Kircherus' Zeiten annahm, es bilde sich ein, der Kreidestrich auf dem Schnabel sei ein Band, von dem es festgehalten werde. Das Experiment, das in unserer Zeit von ungläubigeren Geistern wiederholt wurde, hat an den Tag gebracht, daß das Huhn auch ohne den Kreidestrich liegenbleibt, also vermutlich vor Furcht gelähmt ist.

Auf der einen Seite also eine Überschätzung und auf der anderen eine Unterschätzung, so daß dem Schnellkäfer keine Fähigkeit der Verstellung zuerkannt und das Huhn nicht als so leicht zu übertölpeln betrachtet werden kann.

Das Denkvermögen der Tiere muß je nach Entwicklungsstand des Tieres ziemlich vorsichtig eingeschätzt werden. Und wenn ich auf der anderen Seite den Pflanzen etwas mehr Verstand zuschreiben würde, als man akzeptieren möchte, bin ich versucht, den der Tiere hingegen ein bißchen reduzieren zu wollen. Im Laufe einer mehrjährigen Beschäftigung mit Gurkenzucht unter Glas habe ich mich gefragt, was die Pflanze mit ihren Ranken wollte, da sie den Boden entlangkroch und sich im windgeschützten Bereich hielt. Um dieses und anderes mehr zu erforschen, setzte ich einen Gurkenkern in einen Sechs-Zoll-Topf und versah die Pflanze mit einem Spalier, als sie zu steigen begann. Die männlichen Blüten kamen in sechs Blattwinkeln, und die Gurke wurde zum Schmuck für das Fenster, mit ihrem saftig grünen Laubwerk und ihren großen, goldgelben Blüten. Im siebten Blattwinkel brach nun eine weibliche Blüte hervor und ihr gegenüber eine Ranke, offensichtlich, um die Frucht zu stützen, das war klar, und ich hatte früher beim Wein die Ranke nur in dem Glied hervorbrechen sehen, wo eine Traube kam oder hätte kommen sollen, aber mißriet. Die Ranke ist ein verkrüppeltes Blatt, bei dem ausschließlich der Mittelnerv in Wuchs geblieben ist. Und bei einem Bauern in Bayern hatte ich die Gurken die Johannisbeerbüsche suchen sehen, wo sie hinaufrankten und Früchte trugen. Auch erinnerte ich mich, in der Schweiz eine Zaunrübe in wildem Zustand gesehen zu haben, wie sie eilends den Weißdornbüschen folgte. Der Züchter hat offenbar versucht, die Gurkenpflanze unten am Boden zu halten, um von der Erdwärme zu profitieren, und man sieht deutlich, daß die Gurke ihre Frucht über dem Boden tragen will, da der Gärtner sich aufgefordert fühlt, mit Ziegelscherben und dergleichen die Frucht vor Fäulnis zu schützen.

Nun, meine Ranke wuchs ein paar Tage geradeaus, denn sie hatte zwischen dem lotrechten Stock und der waagerechten Rahe zu wählen. Sie schien darauf zu warten, wohin die Gurke den Schwerpunkt verlegen würde. Und wenn ich auch der Ranke keine freiwillige Bewegung zuzuerkennen wage, wenn ich ab und zu nach dem Gießen merkte, wie sie sich bewegte und aufrichtete, was nur an hygroskopischen Verhältnissen liegen konnte (in Analogie zur Getreidegranne beim Bauernbarometer), so möchte ich doch glauben, daß eine Art Absicht, unbewußt vielleicht, darin lag, als sie an der linken Rahe festmachte, während gleichzeitig die Gurke auf der entgegengesetzten Seite hervorbrach, also sich an der geeignetsten Stelle stützte. Nun pflegen die Gurkenfrüchte am Boden in einer langgestreckten, schmalen, schlangenähnlichen Formation entlangzulaufen. Meine Gurke aber schien eine Ahnung zu haben, daß der schmächtige Stamm an seinem schmalen Schaft eine fußlange Schlangengurke, zu welcher Spielart sie gehörte, nicht würde tragen können. Und nun wächst sie, unter Mithilfe von Jauche, doch anstatt daß sich, den Gesetzen der Schwerkraft entsprechend, die Nahrungsflüssigkeiten am unteren Ende gehalten hätten (wie bei der Birne), sammelte sich die ganze Nahrung im oberen Teil, und der Schaft stärkte sich selbst, wurde ungewöhnlich dick, und zugleich hielt sich die Frucht eher rund als länglich, bis sie reifte und abgeschnitten wurde. Die Ranke, jetzt überflüssig, welkte in ein paar Tagen. Erkennt man nicht in alledem Urteil und Schlußfolgerung, obwohl wir zugeben müssen, daß die Pflanze kein Individuum ist, sondern ein Koloniewesen wie die Koralle?

Daß Kletterpflanzen nicht sklavisch festgelegten, ein für allemal unerschütterlichen Zwangsgesetzen folgen, weiß man vom Anpassungsvermögen der Winden an die Verhältnisse. Die Winde rankt sich immer nach links um ihre Stütze, und rollt man sie zusammen, geht sie weiterhin nach links. Haben aber zwei Winden keine Stütze, so wickeln sie sich umeinander, und dann geht die eine nach rechts, ganz gegen ihre "Natur". Das ist ja nahezu freies Denken, Reflexion, oder wie?

Wenn ich jetzt mit einem kühnen Sprung wieder zu den Tieren übergehe und mich direkt auf das als am klügsten geltende stürze, oder den Hund, kann ich nicht umhin, zuallererst einige Worte über die eigenartige Menschenspezies zu sagen, die Hundeliebhaber genannt wird. Muß dabei zunächst mein kynisches Glaubensbekenntnis ablegen und gestehen, daß ich zu den Indifferenten gehöre, mit starker Neigung zum Hundehaß, geerbt oder erworben oder beides. Nach allem, was ich habe zusammenbringen können, ist der ausgeprägte Hundeliebhaber, sofern er nicht Jäger, Schafhirt ist oder sonst einen sichtbaren Nutzen von seinem Köter hat, ein kleiner Despot, der immer an seine Oberhoheit erinnert sein und jede zweite Stunde am Tag Sklavengehorsam erleben möchte. Und wenn er unter Menschen den Kampf um ein Stück Macht nicht hat bestehen können, kauft er einen Hund, mit dem er sich selbst bald identifiziert, ob aus angeborener Sympathie oder Verwechslung. Und die Rechte, seinen Nächsten zu behelligen, die ihm das Gesetz versagt, überträgt er auf seinen Stellvertreter. Selbst darf er nicht schmutzig, naß und stinkend eine öffentliche Gaststätte betreten, seinen Hund aber läßt er unter dem Tisch eines unschuldigen Mitmenschen Platz nehmen. Und wenn jetzt dieser Hund in eine Auseinandersetzung mit einem zweiten gerät und die beiden eine Keilerei zwischen den Stuhlbeinen des Unschuldigen veranstalten, hält der Eigentümer dies für höchst angebracht. Wenn jetzt der belästigte Gast mit einer Bewegung des Fußes seine menschlichen Rechte verteidigen will, wird sich der Tierfreundliche sofort auf die Seite des Verbrechers stellen, sich in die Heiligkeitskutte der Tierliebe hüllen und den, dem Unrecht geschah, beschimpfen.

Hast du einmal gesehen, wie Kinder eine Straße oder Landstraße entlangspazieren, und da kommt ein Tierfreund mit einem früheren Wolf, groß wie ein Kalb und Zähne wie Dreizollnägel, beachte dann das breite Lächeln des edlen Tierfreundes, wenn er sieht, wie sich die kleinen Kinder in Todesangst schreiend an die Häuserreihen oder die Bäume der Landstraße drücken, und wenn der Mann mit dem großen Herzen danach die Kinder wegen ihrer Dummheit schilt, die darin bestand, die potentielle Gefahr sehr richtig einzuschätzen, dann kommen dir böse Gedanken über den Mann. Mir ging das so! Ich habe durch solche und ähnliche Szenen größere Furcht vor Hundefreunden als vor Hunden bekommen, und wenn ich einen fanatischen Hundefreund mit seinem großen Herzen prahlen höre, frage ich mich immer: Was will der Mann verbergen?

Indessen ist es diese verdächtige Menschengruppe, die den Hundekult in Gang gebracht hat, und da es nun gleichermaßen leicht sein kann, unverschuldet in guten wie in schlechten Ruf zu geraten, hat der Hund von seinen amants all die höchsten seelischen und körperlichen Fertigkeiten zuerteilt bekommen, von denen ein Teil wirklich nicht vorhanden ist, ein anderer Teil nur in geringerem Grad. Es gibt demzufolge Leute, die glauben, der Hund könne ausgezeichnet sehen, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Der Hund ist nämlich in wildem Zustand ein Nachttier, das sich Höhlen in den Boden gräbt wie der Fuchs. So passierte es mir, daß die Hunde meines Hauswirts, die ich im Laufe von drei Monaten gefüttert und wie Menschen behandelt hatte, mich ebenfalls gut kennenlernten und sich freuten, wenn ich kam. Wenn ich aber den Hut wechselte, oder den Rock, war es vorbei mit der Bekanntschaft, und bevor sie an mir hatten riechen können, tobten sie wütend. Und ich sah gleichzeitig so begabte Tiere wie einen Pudel und einen Pinscher ihren eigenen Herrn anfallen, den sie aus fünfundzwanzig Ellen Entfernung nicht wiedererkennen konnten. Ich glaube daher, der Hundefreund schmeichelt sich, wenn er glaubt, die Freundschaft des Hundes sei persönlich gemeint. Der Herr des Hundes erscheint dem Hund wahrscheinlich als eine Kontur von dem und dem Farbton, die den und den Geruch hat. Daß der Hund auf Bettler und Personen, die etwas tragen, losgeht, dürfte daran liegen, daß der getragene Gegenstand die Kontur des Körpers entstellt, und nicht daran, daß der Hund glaubt, etwas sei gestohlen worden. Ich wurde nämlich von meinen nassauernden Freunden immer angegriffen, sobald ich den Mantel über dem Arm trug.

Wenn der Herr mit Rührung in die klugen Augen seines Hundes blickt, um Sympathie und so viel anderes Gutes herauszulesen, ist dies wohl ein schöner Irrtum, und mit der gepriesenen Treue scheint es nicht besser bestellt zu sein, als daß ein Hofhund, der ohne Souper gelassen wird, von jedem beliebigen Dieb zu bestechen ist, weshalb auch Hundebesitzern geraten wird, ihren Hund nicht hungrig schlafen gehen zu lassen.

Der Hund ist ein armseliger Feigling. Begegne ihm allein außerhalb des Hofes seines Herrn, und er wird immer weichen, aber sobald er daheim ist, oder in der Gesellschaft seines Herrn oder eines anderen Hundes, ist er hochmütig und grausam. Er fürchtet sich im Dunkeln außerordentlich, und ich habe einen großen Hund vor Angst heulen hören, als man vor ihm Indianertänze aufführte. Manche Hunde weichen dem Stock, die meisten immer, wenn man Steine wirft, denn das können sie nicht, und vor dem Unerklärlichen in der Physik des Steinewerfens hegt der Hund abergläubische Ehrfurcht.

Hunde, die in Gegenwart ihres Herrn beißen, sind fast immer aufgehetzt, und deshalb sollte in solchen Fällen der Stock auf dem Rücken des Verantwortenden tanzen und nicht auf dem des Verursachenden.

Das Gehör des Hundes ist ziemlich gut, aber nicht hervorragend. Er hört auf weite Entfernung, aber nicht so weit wie der Mensch, und er kann die Distanz nicht beurteilen, weswegen man auch Kettenhunde stundenlang gegen Genossen anschlagen hört, die in der Nacht in einem anderen Dorf bellen und schließlich ihr eigenes Echo anbellen.

Der Geruchssinn ist der am stärksten entwickelte. Jedoch kann man nicht sagen, daß er feiner entwickelt wäre als beim Menschen. Stärker quantitativ insofern, als er Geruchswahrnehmungen vermittelt, die wir nicht erfassen können, aber nicht qualitativ, da die Nase des Hundes ihn nicht gegen ungesunde Stoffe schützt und weil ihm der Genuß der Wohlgerüche unbekannt sein dürfte. So wie man sich ja, obgleich der Vogel weiter hört als der Mensch, bei ihm nicht ein feineres Ohr als unseres vorstellen darf, das Sprachlaute und musikalische Harmonien erfassen kann.

Deswegen zu meinen, der Hund sei höher begabt als der Mensch oder gleichbegabt mit ihm, weil ersterer ein Rebhuhn oder seinen Herrn wittern kann, ist ein Beweis niedrigentwickelter Urteilszentren.

In Städten, wo es Polizei, Straßenreinigung, Feuerwehr und Bordsteine gibt, ist der Hund ein Überbleibsel der Barbarei und sollte verboten werden wie das Schwein. Wer Gesellschaft haben möchte, hat Menschen für den Umgang, und wer so niedrig steht, daß er mehr mit Tieren sympathisiert, der sollte kein Stimmrecht in kommunalen Angelegenheiten haben, am wenigsten in der Hundefrage.

Der Fuchs etwa ist ein recht listiges Tier, aber bei weitem nicht so begabt, wie schalkhafte Jäger ihn haben machen dürfen, sofern ich berechtigt bin, das von meiner Fuchsbekanntschaft des vergangenen Sommers aus zu beurteilen. Mein Morgenspaziergang führte durch den Buchenwald entlang der Einfriedung, die die Äcker und Felder begrenzte. Eines Morgens hörte ich es in den Büschen rascheln, und gleich darauf hüpfte, was ich für einen Hasenhintern hielt, über die torfbelegte Steinmauer. Mir erschien zwar das Hasenfell ziemlich rot, doch das war nun einerlei nachdem sowohl Kronjagd als auch Schonzeit war.

Am Morgen darauf an derselben Stelle raschelte es erneut, und jetzt sah ich den Fuchs selbst, den Schwanz zwischen die Hinterbeine eingezogen und, das hinkende Hüpfen des Hasens nachahmend, über die Einfriedung schlüpfen. Dies war ja recht pfiffig.

Eine Woche später kam ich einen anderen Weg, und durch Nadelwald; der Fußweg zwischen den jungen Kiefern mündete plötzlich auf eine kleine, neubepflanzte Lichtung, und dort, in Revolverdistanz, zwischen ellenhohen Tannenkindern, lief der Fuchs und stöberte nach Mäusen. Ich war zu weit vorgetreten, um zurückgehen oder mich verstecken zu können, und ich blieb daher jäh stehen, mitten im offenen Gelände und mitten im Sonnenschein, um zu beobachten. Der Fuchs bleibt jäh stehen, hebt den Kopf und starrt mich an. Ich blieb vollkommen bewegungslos und guckte ihn an. Nach einer Minute ungefähr, in der er mich genug betrachtet hatte, schien er beruhigt und setzte seine stille Untersuchung der Büsche fort. Ich folgte ihm nun, mit jeweils einem einzigen großen Schritt, und blieb nach jeder Bewegung völlig still. Er blickte jedesmal auf, ließ sich aber täuschen und nahm die Arbeit wieder auf. Auf diese Weise war ich ihm schließlich so nahe, daß ich ihn mit einem Stein treffen zu können meinte. Blitzschnell bückte ich mich, blieb in der Hocke sitzen, bis ich den Stein in der Hand hatte, erhob mich ebenso schnell und stand bereit, die originelle Fuchsjagd mit Steinewerfen zu beginnen. Ich kam jedoch nur dazu, den Arm zu heben, und der Genosse war verschwunden.

War ich einem blinden und tauben Fuchs begegnet? fragte ich mich, und als ich später den Forstmeister fragte, äußerte er die Ansicht, daß der Fuchs, da sein Pelz im Sommer keinen Wert hat, sehr unverschämt auftritt, gleichsam als wisse er, daß er geschützt ist, Dies glaubte ich nicht, sondern schlug versuchsweise vor, daß der Fuchs in der Zeit, in der er Junge habe, rücksichtsloser sei als sonst, daß aber sein unverfrorenes Auftreten mir gegenüber nicht in Kühnheit begründet war, sondern allein in mangelndem Gesichts- und Gehörsinn. Meine Meinungen in dieser Richtung schienen sich zu bestätigen, als ich später öfters auf das Tier traf und er mich ziemlich nahekommen ließ und sich erst davonmachte, wenn ich mich bewegte.

Gleichzeitig machte ich dieselbe Entdeckung bei den scheuen Rehen, denen ich mich mitten auf der offenen Landstraße bei vollem Sonnenlicht auf gute Büchsendistanz nähern konnte, wenn ich mich nur in dem Augenblick, in dem das Tier aufblickte, nicht bewegte.

Aus alledem, zusammengenommen mit den Beobachtungen an Hund und Hase, möchte ich glauben, daß der Gesichtssinn der Säugetiere sehr schwach ist.

Schlechter als der der Fische nach deren Verhältnissen und viel schlechter als der des Raubvogels. Sir Lubbock, der bekannte englische Forscher, hat zwar bei Bienen Farbensinn beobachtet, doch das kann möglicherweise auf einer Verwechslung beruhen. Denn wenn die Biene sofort zur Blüte hingezogen wird, die lichtreicher ist als das grüne Blatt, dann braucht dies nur eine Unterscheidung von Lichtstärke anzudeuten, nicht von Farbe. Hier möchte ich eine Mutmaßung einschieben, vielleicht eine Spur für den Biologen, hinsichtlich der Augen der Insekten. Fliegen, Bienen und Wespen haben bekanntlich Augen, die aus ungeheuer vielen (bis 60 000) sechseckigen Facetten bestehen, jede von ihnen mit einer Linse, welche als die Stäbchen zu betrachten sind, die sich bei den höheren Tieren am Grund des Auges in der Netzhaut wiederfinden.

Physiologen sind auch der Ansicht, daß die Insekten ihre Welt im Mosaik sehen, und ich habe einmal die Freihandhypothese aufgestellt, daß Bienen und Wespen, wenn sie ihre Waben schaffen sollen, subjektiv aus der Tiefe ihres Bewußtseins verfahren und die Zellen nach der Form des Auges bauen. Die Bienenwabe wäre demnach ein Bild des Facettenauges, und damit könnte das Gerede von der größten Zweckmäßigkeit der Wabe entfallen. Dies mögen nun die Gelehrten erforschen.

Und ich kehre inzwischen zurück zu meinem Fuchs!

Eines Sonntagmorgens verschwand ein Pfau von dem Hof, wo ich wohnte; wenn ich aber hinzufüge, daß dies im Sonnenschein geschah, zwischen neun und zehn Uhr, während die Bewohner des Hauses im Garten waren und sechs Hunde frei herumliefen, dann finde ich es weniger wohlüberlegt als vielmehr dummdreist, wenn der Diebstahl von dem Fuchs begangen wurde.

Kurze Zeit später verschwanden nachts ein Truthahn und eine Ente, und nunmehr beschloß man, Wache zu halten.

In einem großen Käfig aus HoIzlatten war eine brütende Truthenne eingesperrt, dazu ein Pfauenmännchen. Ich wachte um drei Uhr nachts auf, weil der Pfau seine unheimlichen Schreie ausstieß, sprang aus dem Bett und öffnete das Fenster. Es war noch ziemlich dunkel, Dämmerlicht, und ich hörte, wie es im großen Hühnerkäfig flatterte. Mein Gedanke fiel sofort auf den Fuchs, und ich hämmerte auf den Boden, um die Wirtsleute zu wecken, rief durch das Fenster hinunter, ohne von einem anderen gehört zu werden als dem Dieb, der sich jedoch nicht schrecken ließ, denn die wilde Jagd ging noch ein paar Minuten weiter, wobei ich nervöses Schlagen und Zucken von Flügeln, Wimmern und schwache, erstickte Schreie hörte, die damit endeten, daß der Fuchs mit einem grauen Gegenstand im Maul herausgekrochen kam, und dieser war, wie später festgestellt wurde, die Truthenne.

Ich kann weder finden, daß Scharfsinn aus diesem ganzen Vorgehen spräche, noch der geringste Sinn für Taktik. Denn der Einbruch erfolgte an der am wenigsten geschützten Seite des Käfigs, die dort mit Schußwaffen vom Fenster aus bestrichen werden konnte, und außerdem in einen Hof hineinzustürmen, der von sechs Hunden bewacht wurde, von denen zwei frei herumliefen, deutet, scheint mir, auf großen Mangel an Nachdenken hin. Und an Ort und Stelle zu bleiben, lange, nachdem ich Alarm geschlagen hatte, das eigene Leben für eine Truthenne riskierend, spricht nicht für ein scharfes Urteil.

Mag der Fuchs, der den Kopf in ein Fuchseisen stecken und sich mit dem Gewehr erschießen lassen kann, seinen wohlverdienten Ruf als ein sehr listiges Tier behalten, aber mehr nicht, und ich bin sicher, daß der Mensch nichts von ihm zu lernen hat, ebensowenig wie von der faulen Ameise, die sechs Monate des Jahres verschläft.

Den Tieren mag ein gewisser Grad von freiem Beobachtungsvermögen und Nachdenken zuerkannt werden, ihr Urteil aber und jedes Messen von Werten und Zeitmaß, die Beurteilung von Ursache und Wirkung, sind sehr niedrig entwickelt. Eine Hausschwalbe, deren Nest abstürzte, nachdem die Eier gelegt waren, baute jetzt im Sommer ein neues Nest, neben das alte. Dies aber brauchte seine Zeit, ebenso wie das neue Eierlegen, so daß der Sommer auf sein Ende zuging, als die Jungen schlüpften. Die Folge war die, daß die Eltern, als die Zugzeit kam, ihre Jungen zurückließen, um sie im bevorstehenden Winter erfrieren zu lassen. Dies beweist die Unfähigkeit, den Zeitwert zu messen, wie auch Mangel an Verstand bei der Wahl der Wohnung. Und der Fall soll nicht ungewöhnlich sein - das Abstürzen der Nester und das Zurücklassen der Jungen. Möglich ist, daß es solche Sitzenbleiber sind, die man im Schlamm von Seen gefunden hat, was Anlaß war für die Fabel von der Schwalbe auf dem Seegrund. Wenn ich eine Schwalbe mit ihrem kleinen Raubvogelkopf sehe, denke ich an den ägyptischen Gott Horus. Und wenn ich ihre schwarzblauen Flügel, die weiße Brust und die rotbraune Kehle betrachte, sehe ich Fellah und das sonnenverbrannte Pyramidenland mit den starken, aber feinen Farbgegensätzen. Die Schwalbe ist ja Ägypter, der nur vier Monate im Jahr oben im Norden seine Sommerfrische nimmt, wahrscheinlich weil der Sommer im Nilland nicht so reich an geflügelten Insekten ist, wie er während der Brutzeit sein müßte. Könnte es nun nicht möglich sein, daß bei den zurückgebliebenen, zu spät geborenen Jungen eine ererbte Erinnerung an Nilschlamm und Papyruspflanzen den Afrikaner in den Stunden des herannahenden Todes verlockt, in unseren Schilfen und ihrem Schlammboden den letzten Schutz vor der Winterkälte zu suchen? Denken wir an die Katze, die, wenn Sie alt wird und fühlt, wie der Tod sich nähert, den warmen Herd verläßt und hinausgeht und sich eine Höhle sucht, die vielleicht an den hohlen Baum erinnern soll, wo Wildkatze und Luchs ihr Leben gelebt haben. Erinnern wir uns an den entflogenen Kanarienvogel, der sich sofort einen Baum sucht, obwohl er, als Stadtgeborener, nie einen Baum gesehen hat. Beachten wir den Pfau, der zahm den ganzen Tag am Boden läuft, nachts aber auf einem Dach oder etwas anderem Hohen sitzen will, und vergessen wir nicht die Schlafstange des Huhns, die nichts anderes ist als der unentbehrliche Nachtzweig des Auerhahns!

Aber mag auch diese meine Erklärung der Fabel von der Schwalbe nicht haltbar sein, könnte man sich den Ablauf nicht folgendermaßen denken. Die letzten fliegenden Insekten sind vielleicht die Mücken im Schilf. Deshalb halten sich die Schwalben ganz unten bei den Schilfbänken auf. Entdecken dort nach und nach mit den jetzt kommenden Frostnächten, daß das Wasser wärmer ist als die Luft. Dann kommen mehrere Grad Kälte, und das wärmere Element fängt an zu locken - ich überlasse es dem gelehrten Leser, sich ausführlich die Fortsetzung und den Schluß zu phantasieren.

Genug davon, die Tiere haben sowohl freies Urteil als auch Instinkt oder ererbte Erinnerung, in Übereinstimmung mit uns, denn es ist Instinkt, wenn das Kind vor einer Schlange, die es nie gesehen hat, erschrickt. Und wir dürfen uns daher entschließen, in Zukunft Vorstellungen, dem Menschen fehle der Instinkt und dem Tier der Verstand, aufzugeben. Suum cuique, jedem das Seine!

Nachtrag:
Die Welt der Tierschützer, ganz gleich um welche Sekte es sich handelt, kennt keine Widersprüche. Zitiert wird alles, was sich in die eigenen Weltvorstellungen fügt. Was immer diese in Frage stellen könnte, wird ausgeblendet. Einwände anderer verkommen zum rhetorischen Zitat, welches seine gebetsmühlenartige Beantwortung kennt. Letzthin habe ich meine ganze Tierschutzliteratur in einem Altpapiercontainer entsorgt. Was für eine Erleichterung! Dass es kaum eine langweiligere Literatur gibt, verdankt sich vor allem dem Umstand, dass es ihr an Neugier und konkreten Beobachtungen mangelt. - Eine Tiergeschichte der letzten Wochen. Ganz gleich, ob ich hinter oder vor dem Haus beschäftigt war, stets suchte eine Amsel, und zwar über Wochen, meine Nähe. Ihre Fluchtdistanz war für eine Landamsel auffallend gering. Beim Mähen fürchtete ich manchmal, das kleine Tier mit meiner Sense zu verletzen. Reflexhaft vermuten wir angesichts eines solchen Verhaltens eine Beziehung, aus welchen Gründen auch immer. Auch ich neige dazu. Aber es überzeugt mich nicht. Vermutlich suchte die Amsel die Nähe eines Menschen, um vor Katzen oder Falken sicherer zu sein. Eines Morgens vermisste ich die Amsel. Etwas später fand ich ihre Federn zerstreut im Gras liegen. Das machte mich traurig. - Strindberg mochte sich in manchen Dingen geirrt haben, aber er war ein großartiger Beobachter. Das Lesen seiner Texte macht Vergnügen, und dies selbst dann, betrachtet man sie als Dokumente seiner Zeit.

B.K. 2014


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