63,69 | Zur niedrigen Lebenserwartung von Schriftstellern
„Gleichentags ist auch dein Brief angekommen mit deinen Überlegungen zur
Pensionierung österreichischer Autoren. Da wäre ich also - als
österreichischer Autor, und als Mensch, der sich nicht ungern im
Durchschnitt verbirgt - schon tot. Mal abgesehen davon, dass dies ein sehr
grosszügiger Beitrag an dieses Sozialwerk wäre (immer einzahlen, nie
beziehen), bin ich mir auch nicht so sicher, ob das ein grosses Unglück
wäre. Eine Empfindung, die ich keinesfalls weiter empfehle.“
Franz Dodel, 14/03/13
„Der Herr Bundeskanzler dankt für Ihr Schreiben vom 1. April 2013 und hat
sein Bürgerinnen- und Bürgerservice mit der weiteren Bearbeitung beauftragt.
Wir haben Ihr Schreiben mit Interesse gelesen und dürfen uns im Namen des
Herrn Bundeskanzlers für Ihr Interesse und Ihr Engagement an einem der
gesellschaftspolitisch wichtigsten Themen – der Pensionspolitik – bedanken.
Jedoch müssen wir Ihnen an gleicher Stelle mitteilen, dass ob der –
prozentuell gesehen – verschwindend geringen Anzahl an Autoren in Österreich
deren unterdurchschnittliche Lebenserwartung kaum ins sozialökonomische
Gewicht fallen würde.“
i.V. Putz, 05/04/13
In letzter Zeit häufen sich Tode von Freunden, unter ihnen vor allem
Schriftsteller und Künstler. Da ich seit langem Mitglied der Grazer
Autorinnen Autorenversammlung bin, machte ich mir die Mühe anhand der Liste
ihrer verstorbenen Mitglieder die durchschnittliche Lebenserwartung von
Autoren und Autorinnen auszurechnen. Diese liegt im Augenblick bei 63,69
Jahren, also deutlich unter jener der Gesamtbevölkerung, die bei Männern
75,5, bei Frauen 81,5 Jahre beträgt. Meine Statistik kennt gewisse
Unschärfen. Ich habe dazu alle Todesfälle von Mitgliedern herangezogen.
Während wir es hier mit einem Zeitraum von 29 Jahren zu tun haben, wird die
durchschnittliche Lebenserwartung üblicherweise nach den Sterbestatistiken
eines Jahres berechnet. Dann lässt sich die durchschnittliche
Lebenserwartung einzelner Berufsgruppen nur bedingt mit jener der
Gesamtbevölkerung vergleichen, fehlen doch etwa Jugendliche, die bei
Verkehrsunfällen zu Tode kamen. Wirklich vergleichen lassen sich nur
Berufsgruppen. Man muss also Statistiken heranziehen, die Auskunft über die
durchschnittliche Lebenserwartung von Bäckern, Automechanikern,
Krankenschwestern oder Beamten geben.
Sterbestatistiken belegen nach wie vor erhebliche soziale Unterschiede.
Arbeiter sterben früher als Angestellte und selbständig Erwerbstätige.
Besonders hoch ist das Risiko frühzeitiger Sterblichkeit bei Hilfsarbeitern.
Das Risiko eines frühzeitigen Todes ist besonders bei Gerüstbauern und
Dachdeckern hoch, während Universitätsprofessoren eine auffallend hohe
Lebenserwartung haben, ganz zu schweigen von buddhistischen Mönchen.
Erstaunlicherweise liegt die Lebenserwartung von Krankenschwestern unter
jener von Kaminkehrern, aber deutlich über jener von Schriftstellern. Dass
die durchschnittliche Lebenserwartung von Sportlern niedrig ist (dabei wird
uns immer eingetrichtert, Sport sei gesund), lässt sich durch das hohe
Verletzungsrisiko im Leistungssport erklären. Sportler und Schriftsteller
lassen sich schon allein deshalb nicht vergleichen, da Sportunfälle mit
tödlichem Ausgang zumeist in ein Alter fallen, in dem selten jemand als
Autor oder Autorin wahrgenommen wird.
Die niedrige Lebenserwartung von Schriftstellern erstaunt, können sie doch
weder von einem Dach fallen oder in ihrer Arbeit an einer Stichverletzung
verbluten. Im Gegenteil, sie scheinen die sicherste Tätigkeit der Welt
auszuüben. Sie sitzen an einem Schreibtisch, legen sich ins Bett, haben sie
gerade Lust, ein Buch zu lesen. Sie können ihre Zeit frei einteilen. Sie
werden, so sie freiberuflich arbeiten, von keinen Vorgesetzten drangsaliert.
Sie können sogar aufstehen, wann es ihnen beliebt und den Tag gemütlich in
einem Cafè mit dem Lesen einer Zeitung beginnen.
Man ist geneigt, die niedrige Lebenserwartung von Schriftstellern unter
„tragischer Literaturgeschichte“, also unter biographischen Katastrophen
abzulegen. Trotz aller individuellen Dispositionen lässt sich das Problem
nicht privatisieren. Schreiben ist per se eine Tätigkeit, die nicht nur
Konflikte zum Inhalt hat, sondern von Konflikten begleitet wird. Schreiben,
also das Antizipieren der Welt ist nicht gerade mehrheitsfähig. Es wird
nicht belohnt. Mit Schreiben verdient man in der Regel nicht sehr viel, vor
allem dann nicht, wenn man um ein gewisses Niveau bemüht ist, oft genug nur
kleine Gruppen ansprechen kann. Selbst dann, wenn eine Zeitung den Abdruck
eines Textes zusagt, heißt das noch lange nicht, dass dieser auch abgedruckt
wird. Wird er nicht gedruckt, dann sieht man auch kein Geld. Man hat also
umsonst gearbeitet. Beklagen darf man sich nicht, sonst bringt man in dieser
Zeitung keinen einzigen Text mehr unter. Nicht unerwähnt sei, dass es in den
letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden ist, Texte unterzubringen.
Früher einmal wichtige Zeitungen gibt es nicht mehr oder so nicht mehr. Man
denke an die Weltwoche oder die Frankfurter Rundschau. Noch existierende
Feuilletons sind wesentlich dünner geworden. Schreiben wird oft als
Liebhaberei, als Privatangelegenheit abgetan. Man könne doch jederzeit eine
andere Arbeit suchen. Aber dabei wird vergessen, dass die so erbrachten
Leistungen keineswegs wertlos sind, was die indirekte Nutzung durch
Werbeagenturen und so weiter und so fort nur zu gut belegt.
Viele Autoren und Autorinnen leben in prekären Verhältnissen. Andauernde
Prekariate lassen sich etwa am Zahnstatus oder an bestimmten
Krankheitsbildern wie Erschöpfungszuständen oder Panikattacken ablesen, auch
an der Lebenserwartung. Die Einkommenssituation von Schriftstellern ist
allgemein schlecht. Unter allen Spartenförderungen von Bund und Ländern
rangiert die Literaturförderung an letzter Stelle. Den wenigsten gelingt es,
ihre Einkommensverhältnisse mit ihren Lebens- und Arbeitsverhältnissen auch
nur einigermaßen in Einklang zu bringen. Gerhard Ruiss von der
IG-Autor/inn/en: „Forcieren sie ihre literarische Tätigkeit, verarmen sie,
forcieren sie ihre Brotbeschäftigungen, werden ihre literarischen
Tätigkeiten zu Begleiterscheinungen ihres sonstigen Lebens, ob als ganz
privates Hobby oder steuerrechtlich so eingestufte ‚Liebhaberei’.“
Überraschend an meiner Statistik ist die atypische Streuung. Todesfälle
finden gehäuft zwischen dem 40. und 45., dem 56. und 67., dem 76. und 85.
Lebensjahr. In zwei Zeitfenstern sind deutlich weniger Sterbefälle zu
verzeichnen. Dass so viele zwischen dem 56. und 67. Lebensjahr sterben,
dürfte ursächlich mit prekären Lebensbedingungen und ihren
Begleiterscheinungen zusammenhängen. Wer es dagegen bis zum 67. Lebensjahr
geschafft hat, der hat gute Chancen, noch zehn oder mehr Jahre zu leben.
Dennoch, die durchschnittliche Lebenserwartung österreichischer Autoren und
Autorinnen ist mit 63,69 Jahren erschreckend niedrig.
An die gegenwärtige Pensionsdebatte denkend, möchte man sagen, werdet alle
Autoren und die Pensionsfrage ist gelöst. Liegt die durchschnittliche
Lebenserwartung wie in unserem Beispiel unter dem gesetzlich festgelegten
Pensionseintrittsalter von 65 Jahren, dann kann die Finanzierung der
Pensionen kein großes Problem sein. Dies ist freilich weder möglich, noch zu
befürchten.
Bernhard Kathan, 2013