Angesichts der akrobatischen Leistungen, die heutige Komponisten oftmals
Musikern abverlangen, angesichts des enormen technischen Aufwands
elektroakustischer Musik seien Roland Albrechts subtile Soundarbeiten
empfohlen. Da führen Hühner nachts - halbwach, halbträumend -
Selbstgespräche. Die Eiersortiermaschine produziert obgleich aller Zufälle
ordentlich Musik. Die Klänge des Bahnhofs Zoo lassen an einen Science
Fictionfilm denken. Dann die fallenden Eicheln .... Musik ist heute zur
allgegenwärtigen Geräuschkulisse verkommen. Sie dient dazu, das nicht zu
hören, was um uns geschieht. Da tun Geräusche gut, die nicht der Musik
zuzuordnen sind, die keinen Komponisten kennen, und die dennoch höchst
musikalisch sind, gelingt es einem nur, sie in den seltsamsten
Verschränkungen zu hören, etwa den Gesang von Nachtigallen, die sich unter
einer vielbefahrenen Schnellbahnbrücke eingenistet haben. Niemand hat sich
dieses Zusammenspiel ausgedacht - und doch ist es ein höchst verrücktes,
inhaltlich aber stringentes Zusammenspiel. Genausowenig wie man einen Hund
erfinden oder konstruieren muss, ist er doch vorhanden, muss solche Musik
gemacht werden. Sie ist eben da. Sie findet sich in Fabriken, Schlachthöfen,
in Geflügelzuchtbetrieben wie an vielen anderen Orten. Roland Albrecht ist
weder Komponist, noch Elektroakustiker. Seine Aufnahmen bedürfen bestenfalls
einer minimalen Tonabmischung. Er schneidet nicht einmal, lässt man den
Beginn und das Ende der einzelnen Arbeiten außer Acht. Die Aufnahmen dauern
in der Regel 60min. Die Montage findet sich bei Roland Albrecht bestenfalls
dort, wo sich seine Aufnahmen plötzlich an völlig anderen Orten zu hören
sind, die letzten Atemzüge des Bahnhofs Zoo etwa an einer Bushaltestelle
eines kleinen Ortes, an dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, einmal, um ein
Schulkind mitzunehmen, dann, um eben dieses Kind stunden später wieder
aussteigen zu lassen. Es wäre einmal spannend, die nächtlichen Plaudereien
seiner Hühner einmal während eines Essens zu hören, welches einem gut
zubereiteten Huhn gilt. Hühner gelten als dumm, besonders Hühner aus
heutigen Betrieben. Und dennoch, auch diese Hühner, die ihre Anlagen nicht
zu entfalten vermögen, führen Selbstgespräche in erstaunlichen Modulationen,
hören, was andere zu sagen haben, antworten. Im Gegensatz zu uns Menschen
sind sie in ihrem traurigen Schicksal nicht allein. Vielleicht gilt dies
auch für Fruchtfliegen, Regenwürmer, die Wurzeln von Pflanzen, die sich
unterirdisch nahe kommen. Aber was wissen wir schon davon! Vielleicht wird
Roland Albrecht auch in solche Bereiche vordringen, die zweifellos von einer
besonderen Musikalität sind. Man denke sich einmal all die Artikulationen
von Regenwürmern in der ganzen Kakophonie konkurrierender Pflanzenwurzeln!
Freilich, als Geräuschkulisse werden sich solche Aufnahmen nie eignen.
Bernhard Kathan
[ Museum der unerhörten Dinge ]