Serbe 3009 ist auch mitbeteiligt
Einige Anmerkungen zur Ästhetik von Mahnmalen




Bild: Bernhard Kathan


Donnerstag, den I.V.1941 Am Morgen an diesem Tage ist der Bruder zum Militär eingerückt nach Husum in Deutschland. Vormittags bin ich Hirschgeweihe suchen gegangen. Nachmittags habe ich auf dem Maplons gebuschelt. Sonntag, den 18.V.1941 Nichts besonderes. Sonntag, den 1.VI.1941 Heute ist der schönste Tag. Der Himmel ist ganz klar. Darum sind der Gauleiter Hofer und Soldaten mit dem Auto nach F. gefahren. Dann schauen sie die Baracken an. Samstag, den 21.VI.1941 Es ist Sommeranfang. Ich habe allein an der Schaufel gemäht. Am Ziel haben wir etwas Heu eingetan. Mittwoch, 2.VII.1941 Um 4 Uhr sind sechzig gefangen Serben gekommen. Heute haben wir fünfzehn Päcke hinauf getragen. Es war wunderschön. Donnerstag, 3.VII.1941 Heute sind nachmittags um 4 Uhr wieder 80 Serben gekommen. Der Koch ist der Thomas S. und die Köchin ist Agathe N. Heu haben wir eingetan. Dienstag, den 8.VII.1941 Vormittags habe ich den Apfelbaum von der Schaufel heimgenommen wo er umgehauen wurde. Nachmittags habe ich auf dem Maplons Heinzen zusammengetan. Dienstag, den 15.VII.1941 Den ganzen Tag habe ich im Rieger gemäht. Montag, den 29.IX.1941 Vormittags habe ich die Wengenbirnen am Vergitz gepflückt. Mittwoch, den 1.X.1941 Vormittag haben wir gemostet. Nachmittags um 3 Uhr haben wir unser Vieh vom Maiensäß geholt. Freitag, den 3.X.1941 Den ganzen Tag haben wir mit dem Ochs vom Andreas geeggt auf dem Maplons und dort hat man Weizen gesät. Samstag, den 4.X.1941 Vormittags haben der Serbe Michael und ich gemostet. Nachmittags haben wir am Kapf und an Vergitz Kartoffel gegraben und Obst aufgelesen. Montag, den 6.X.1941 Den ganzen Tag haben der Michael und wir an Bucha Kartoffel gegraben. Das Wetter war teilweise gut. Dienstag, den 7.X.1941 Vor Vormittag bis zum Mittag haben der Serbe Kaspar und ich den ganzen Gemeindeteil rasch abgemäht. Nachmittag haben wir Gras in Blachen angefaßt und mit Wägen heimgeführt. Mittwoch, den 8.X.1941 Den ganzen Kapf haben wir heute abgemäht und alles siliert. Der Kaspar hat uns wieder geholfen. Donnerstag, den 9.X.1941 Vormittags hatten Schmälzelbirnen geschüttelt. Hernach an Bucha mit dem Kaspar Kartoffel gegraben und mit dem Schlitten bis zum Rieger am Wege. Freitag; den 10.X.1941 Vormittags haben der Kaspar und ich Streue auf dem Maplons gemäht. Samstag, den 11.X.1941 Nachmittags haben der Kaspar und ich auf dem Teil Obst aufgelesen und dann auf dem Maplons allerhand getan. Es war regnerisches Wetter. Montag, den 13.X.1941 Vormittags hatten wir 16 Säcke Thomasmehl bei der Maria W. geholt. Hernach haben der Kaspar und ich am Ziel und an der Saala um jeden Kirschenbaum eingelöchert. Dazu haben wir fünf Säcke Kunstdünger für beide Wiesen mit hinunter genommen. Mittwoch, den 15.X.1941 Nach dem Mittagsmahl haben der Kaspar und ich unter der Wand des Hauses Holz im Scheiterschopf versorgt und allerhand geräumt. Donnerstag, den 16.X.1941 Vormittags haben ein anderer Serbe und ich an Vergitz gespatet, nachmittags auf dem Teil einen Steig Äpfel gepflückt, dann auf dem Maplons vier Steigkisten Dörrbirnen gefüllt und dann mit dem Schlitten zum Stall des Teiles und dort eingestellt. Freitag, den 17.X.1941 Vormittags haben der Serbe, die Barbara und ich mit dem Brückenwagen von Doblers beim Stall des Teils die Steigkisten Obst geholt. Nachmittags haben wir auf dem Gemeindeteil Kartoffeln gegraben und am Abend mit dem Brückenwagen heim genommen. Mittwoch, den 22.X.1941 Vormittags habe ich und der Serbe mit dem Brückenwagen Kisten und Säcke mit Holzäpfeln herunter geholt. Nachmittags haben wir auf dem Maplons Danzingeräpfel gepflückt. Im ganzen 6 Steigen. An diesem Abend haben wir das letzte Mal das Vieh gehütet. Samstag, den 25.X.1941 Nachmittag haben der Serbe und ich am Maplons zweimal vier Steigen Danzingeräpfel mit dem Schlitten zum Brandweg hinunter. Dienstag, den 11.XI.1941 Vormittags Kalk abgeholt vom Auto. Nachmittags wieder am Maplons Schnee weggeschöpft und Birnen geschüttelt. Samstag, den 15.XI.1941 Nachmittags haben wir mit zwei Serben das frühe Obst gemalen und Fässer gefüllt. Mittwoch, den 19.XI.1941 Heute hatten wir einen Serben Nr. 2289 zum Mosten und zum Kalk säen. Gesät ist schon etwas am Kapf, an Vergitz, am Ziel und an der Saale. Samstag, den 22.XI.1941 Den ganzen Tag habe ich im Steigwald Holz getragen. Bis vier Uhr war ich fertig. Heute hatten wir zwei Serben Nr. 2289 und 3009 um am Kapf zu spaten. Hernach die gesägten Dachkerner von der Säge herauf getragen. Samstag, den 29.XI.1941 Vormittags haben der Serbe 3009 und ich auf dem Vergitz gespatet. Dienstag, den 2.XII.1941 Von Morgen an bis zum Abend haben wir auf dem Maplons gedüngt. Serbe 3009 war auch mitbeteiligt. Mittwoch, den 3.XII.1941 Von Morgen an bis zum Nachmittag 4 Uhr waren wir fertig mit düngen. Zum Düngen hatten wir einen anderen Serben Nr. 2147. Dienstag, 9.XII.1941 Den ganzen Tag habe ich in der Alpe Steigwald Holz bis auf Alesina gefahren. Vor dem Heimfahren habe ich das Schochenholz bis auf Gabinter gefahren und abgeladen. Samstag, den 20.XII.1941 Vormittags habe ich in Arken den Weg gebahnt. Hernach vier Bündel Reiß gefaßt und nach dem Mittagessen 3 Serben Kasimir 3007, Miloje 2049, 2041. Nach dem Nachtessen haben die Serben den Silodeckel heraufgezogen. Montag, den 22.XII.1941 Heute war ich an der Straße beschäftigt beim Steine fahren zum Rolieren. Dienstag, den 23.XII.1941 Heute war ich wieder an der Straße beschäftigt. Samstag, den 3.I.1942 Vormittags habe ich aus Moos das Schochenholz geholt. Nachmittags habe ich und Kasimir das fertige Holz auf Kapieters geholt. Hernach haben wir am Rieger zwei Bürden Heu geholt. Freitag, den 9.I.1942 Heute das erste Mal habe ich für Akkord Steine gefahren. 10 Mal. Sonntag, den 11.I.1942 Heute hat es 18 Grad Kälte. Samstag, den 21.II.1942 Nachmittags haben ein Serbe und ich Holz gesägt. Es war sehr schönes Wetter. Sonntag, den 8.III.1942 Heute hat es wieder teilweise geschneit und ziemlich wieder kalt. Um 8 Uhr abends findet im Schulhaus Kino [statt]. - Ende

II

Blicke ich aus dem Küchenfenster einer Bekannten, dann fällt mein Blick auf eine Shopping-Landschaft mit all den Supermärkten und Möbelhäusern, die sich in Österreich in jedem größeren Ort finden. Nichts erinnert mehr daran, dass sich hier während der NS-Zeit ein Kriegsgefangenenlager befand, 3700 sowjetische Kriegsgefangene umkamen. Wer immer sich mit der NS-Zeit beschäftigt, ist in nahezu jedem Ort mit Zwangsarbeit oder Euthanasie konfrontiert. Lange Zeit wurden die Verbrechen der NS-Zeit mit Auschwitz und anderen Vernichtungslagern assoziiert. Heute wissen wir, dass diese ihr Kapillarsystem kannten, ihre Verästelungen bis hinein in die kleinsten Gemeinden.

Das 1968 in der Vorarlberger Gemeinde Silbertal errichtete Kriegerdenkmal geriet 2007 in die öffentliche Kritik, als bekannt wurde, dass unter den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges auch Josef Vallaster genannt wurde, der ab April 1940 im Rahmen der Aktion T4 in der NS-Tötungsanstalt Hartheim an der Ermordung Behinderter beteiligt war. Später beaufsichtigte er im Vernichtungslager Sobibór die Vergasung und Verbrennung zumeist jüdischer Menschen aus ganz Europa. Die Zahl der in Sobibór Ermordeten wird auf 150.000 bis 250.000 Menschen geschätzt. Vallaster wurde 1943 bei einem Häftlingsaufstand getötet. Die Gemeinde reagierte zunächst ablehnend, entschied sich dann aber für die Einrichtung einer Geschichtswerkstatt, schlussendlich für die Entfernung des Kriegerdenkmals und die Errichtung eines Mahnmals. Dieses Mahnmal bemüht Heilkräuter und Steinplatten. Bei den Steinplatten fällt einem das Holocaustmahnmal in Berlin ein, nur dass wir es nun mit einer Miniaturisierung zu tun haben. Die Bepflanzung lässt an Dorfverschönerung denken. Ursprünglich war von "Bergblumen" die Rede. Ich erinnere mich deshalb daran, dachte ich doch an die Probleme, die mit dem Anpflanzen etwa des Gelben Enzians verbunden sein können. Die "Heilkräuter" sollen die "die Wunden des Krieges" symbolisieren. Hartheim wie Sobibór lassen sich keinesfalls unter "Wunden des Krieges" subsumieren, ging es doch da wie dort um eine systematisch betriebene Vernichtung von Menschen. Wenngleich die damit verbundenen Auseinandersetzungen wie die Arbeit der Geschichtswerkstatt Anerkennung verdienen, das Mahnmal wirkt wie ein Versuch, etwas eben Aufgebrochenes zu plombieren und endlich zur Ruhe zu bringen.

An vergleichbaren Beispielen mangelt es nicht. Auf dem Landhausplatz in Innsbruck erinnert ein Mahnmal an die Opfer der "Reichskristallnacht", während der in Innsbruck besonders brutal gegen jüdische Mitbürger vorgegangen wurde. Ein Mahnmal war seit langem gefordert worden. Die Lösung war dann denkbar einfach, sicher auch kostengünstig. Schüler wurden zu einem Wettbewerb geladen. Die Jury entschied sich für den Entwurf eines damals 19jährigen Schülers. Auf einem kupfernen Sockel ruht in einer mit Kristallscherben gefüllten Schale ein siebenarmiger Menoraleuchter. In der Schalenumfassung wird namentlich an jene vier Personen erinnert, die während der Pogromnacht in Innsbruck umgebracht wurden. Die Scherben sollen "die zerbrochenen Herzen der ermordeten Juden und ihrer Angehörigen" symbolisieren.

Ob Heilkräuter oder Kristallscherben, Mahnmale dieser Art tendieren zur banalen Symbolisierung. Gewünscht war hier wie andernorts eine allgemeinverständliche Kunst, die auf Vertrautes setzt und Zustimmung findet, zumindest nicht abgelehnt werden kann. Dem Schüler, der den Wettbewerb für das Mahnmal auf dem Innsbrucker Landhausplatz gewonnen hat, ist kein Vorwurf zu machen, wohl aber Politikern, die sich mit Hilfe eines Schülerwettbewerbs um die Auseinandersetzung mit einer unangenehm nachwirkenden Vergangenheit gedrückt haben. Im Zuge der Neugestaltung des Landhausplatzes wurde das Mahnmal nicht nur besser positioniert, es wurde auch überarbeitet. Die Kristallscherben in ihrer ursprünglichen Form sind verschwunden. Solche Mahnmale sind nicht weit von Kitsch entfernt. Birgit R. Erdle spricht in einem 1987 erschienenen Essay über Kitsch von einem tiefgreifenden Vergessen, welches sich im Sprechen, nicht im Schweigen vollziehe und das Vergessen als Erinnern tarne. Das Mahnmal in Silbertal macht zwar, wie bereits erwähnt, deutlich, dass es sich bei Josef Vallaster nicht um ein Opfer, sondern um einen Täter handelt, aber es bleibt problematisch, wird wie bei diesem korrigierten Kriegerdenkmal in einem Aufwaschen an die Gefallenen des Ortes, einen umgekommenen Flüchtling, an Opfer der NS-Euthanasie, der Zwangsarbeit und des Holocaust erinnert. Ähnlich fragliche Eingemeindungen finden sich dort, wo auf "Heldenfriedhöfen" oder Kriegerdenkmälern Euthanasieopfern gedacht wird. Letztere teilen mit den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges nur zwei Gemeinsamkeiten. Ihr Tod fiel in dieselbe Zeit, diese wie jene liegen nicht hier bestattet. Euthanasieopfer waren vor allem eines nicht, nämlich Helden. Sie wurden gewaltsam abtransportiert und getötet.

Gedenkstätten und Mahnmale sind stets Ausdruck ihrer Zeit, ganz gleich ob sie nach dem Krieg oder in der jüngeren Vergangenheit errichtet wurden. Die meisten Mahnmale wirken bereits nach kürzester Zeit verstaubt. In der zeitlichen Distanz wird deutlich, wie sehr sie der Rezeption der jeweiligen Generation unterliegen. Man kann sich heute durchaus die Frage stellen, wie heute errichtete Mahnmale, die eine ganz andere Zeichensprache kennen, in wenigen Jahren oder Jahrzehnten betrachtet werden. Vermutlich werden die meisten von ihnen ähnlich verstaubt wirken wie die meisten Denkmäler der 1950er Jahre.

Der in Innsbruck lebende Künstler Franz Wassermann war sich in seinem komplex angelegten Projekt "Das temporäre Denkmal" dessen bewusst. Dieses galt jenen 380 Opfern der Euthanasie, die in den Jahren 1940 bis 1942 von der damaligen "Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke in Hall in Tirol" nach Hartheim deportiert und dort ermordet wurden. Teil des Projektes war es, in allen Gemeinden, aus denen die Opfer laut Aktenlage stammten, einen Antrag zu stellen, Straßen nach den Opfern zu benennen. Etwa die Hälfte der 193 angeschriebenen Heimatgemeinden reagierte nicht auf das eingegangene Schreiben. Abgesehen von wenigen Gemeinden waren die Reaktionen durchwegs ablehnend. In absehbarer Zeit würden keine weiteren Straßen benannt, man werde die Sache in Evidenz halten, die Straßen der Gemeinde würden nicht oder ausschließlich mit Flurnamen benannt, man habe davon Abstand genommen, weil Angehörige den Namen des Opfers nicht genannt haben wollten, die genannte Person scheine nicht im Geburtenbuch auf. Andere argumentierten damit, dass bereits ein Kriegerdenkmal bestehe. Ausgebliebene Antworten wie Ablehnungen sind so als Teil der Arbeit zu verstehen. Prozesse und Auseinandersetzungen sind wichtiger als wie immer gestaltete Erinnerungszeichen. Diesbezüglich sind inzwischen eine Reihe anderer Arbeiten zu nennen, so etwa ein Schülerprojekt, welches sich mit dem KZ-Nebenlager Bretstein beschäftigte, oder das von Helmut und Johanna Kandl realisierte "Wächterhaus", welches an die Opfer in Aflenz bei Leibnitz erinnert, einem Außenlager des KZ Mauthausen.

Werden Mahnmale errichtet, so geht es nicht selten um den Beweis moralisch-politischer Korrektheit, um das Bemühen, endlich einen "Schlussstrich" unter die Geschichte zu ziehen. Erinnern lässt sich nicht einfach abschließen. Künstlerische Projekte, die diesem Umstand Rechnung tragen, überzeugen mehr als Lösungen, die vorgeben, es ließe sich etwas abschließen, sei nur eine Skulptur aufgestellt und vielleicht noch mit Blumenarrangements behübscht. Insbesondere Jochen Gerz hat in vielen seiner Arbeiten diese Akzentverschiebung deutlich gemacht: "Die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmäler." Dies gilt insbesondere für Tatiana Lecomtes Projekt "Postkarten können wir eine pro Person schreiben", welches an jene ungarischen Juden und Jüdinnen und Gefangenen aus der Tschechoslowakei, Rumänien, Russland und Griechenland erinnert, die 1944 und 1945 in St. Pölten-Viehofen Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Viele kamen dabei zu Tode. An das Lager, in dem die ehemaligen "Ostarbeiter" untergebracht waren, erinnert heute fast nichts mehr. Auf einem Grundstück in Privatbesitz finden sich noch einige Ruinenreste, der größte Teil des Areals ist unter einem Badesee verschwunden. Tatiana Lecomte schickte 20.000 handschriftlich adressierte Postkarten mit Abbildungen heutiger Ansichten des ehemaligen Geländes, von denen manche mühelos auch als Urlaubspostkarten durchgehen könnten, an Haushalte der Gegend. Auf der Rückseite, auch handschriftlich, ist der Satz zu lesen: "Ich bin gesund, es geht mir gut", also jener Satz, den Insassen von Lagern des Dritten Reiches, sofern sie überhaupt schreiben durften, beim Verschicken auf Briefen oder Karten notieren mussten.

Man sollte Mahnmale nicht leichtfertig errichten, ist doch damit eine Verpflichtung den Opfern gegenüber verbunden. Dieser Verpflichtung wird man nur durch eine genaue inhaltliche Auseinandersetzung gerecht. Da empfehlen sich Autoren wie Jirí Weil oder Heimrad Bäcker, die sich angesichts der unvorstellbaren Gewalt, die Menschen angetan wurde, zutiefst bewusst waren, dass dies mit den Mitteln der Sprache oder der Kunst nur bedingt gelingen kann.

III

Im Nachlass meiner Eltern fanden sich zwei Tagebücher von Walter Kathan, des jüngsten Bruders meines Vaters. Walter war taubstumm, 1941 16 Jahre alt. Heft eins bezieht sich auf die Zeit zwischen dem 1. Mai 1941 und dem 22. Juli 1941, Heft zwei auf die Zeit zwischen dem 28. September 1941 und dem 8. März 1943. Bedauerlicherweise sind nur diese beiden Hefte erhalten geblieben. Mit dem Tagebuchschreiben begann Walter genau an jenem Tag, als mein Vater, also sein älterer Bruder und Hoferbe, einrücken musste. Es beginnt mit dem Satz: "An diesem Tage ist der Bruder zum Militär eingerückt nach Deutschland in Husum." Wie bei anderen bäuerlichen Tagebüchern haben wir es nahezu ausschließlich mit Auflistungen geleisteter Arbeit zu tun. Täglich sich wiederholende Tätigkeiten wie die Stallarbeit bleiben unerwähnt. Bei den erwähnten Tätigkeiten sind durchwegs die Orte angegeben, an denen sie verrichtet wurden. Eigene Empfindungen, Wünsche, Ängste oder auch Vorstellungen bleiben unerwähnt. Obwohl ihnen etwas Kindliches anhaftet und die einzelnen Eintragungen zumeist sehr kurz und oft formelhaft sind, so geben sie doch einen guten Einblick in die Lebensorganisation des Tagebuchschreibers. Beiläufig geht es in diesem Tagebuch auch um Zwangsarbeit, die nahezu ausschließlich dann Erwähnung findet, tangiert sie die eigene Arbeit, ist etwa ein "Serbe" beim Holztragen "mitbeschäftigt". Wie bei allen Tagebüchern haben wir es gleichermaßen mit verlässlichen wie unverlässlichen Dokumenten zu tun. Zweifellos belegen sie, dass Zwangsarbeiter nicht nur zum Straßenbau, sondern zu unterschiedlichsten Arbeiten bei Bauern herangezogen wurden, auch, dass Zwangsarbeit als "normal" wahrgenommen wurde. Wird erwähnt, dass Gauleiter am 1. Juni 1941 mit Gefolge angereist kam, um die Baracken zu besichtigen, dann ist daran nicht zu zweifeln, auch nicht, was die Tage der Ankunft der Zwangsarbeiter wie deren Anzahl betrifft. Zweifellos haben drei "Serben", so wie im Tagebuch angeführt, am 20.12.1941 im Stallgebäude des Hauses Nr. 29 nach dem Nachtessen den Silodeckel heraufgezogen. Wie die Zwangsarbeit im Detail organisiert war, darüber erfahren wir freilich nichts. Die angeführten Vornamen sind unzuverlässig, zumeist scheinen sie "eingedeutscht". An den angeführten Häftlingsnummern dagegen ist nicht zu zweifeln, auch nicht an der Selbstverständlichkeit, mit der sie genannt werden. Manches wird nur implizit erwähnt. Notiert Walter etwa am 8. Juli 1941, er habe "den Apfelbaum von der Schaufel heimgenommen wo er umgehauen wurde", dann lässt sich das, kennt man die Flurnamen und den Straßenverlauf, eindeutig mit der von Zwangsarbeitern errichteten Straße in Verbindung bringen. Wie man im Zusammenhang eines Transportes von Kunstdünger beiläufig erfährt, war die Straße bereits am 6. Jänner 1942 durchgehend befahrbar. Dies kann auch einige Wochen früher der Fall gewesen sein. Zwangsarbeit fand nicht im Verborgenen statt. Umso erstaunlicher ist, dass sich diese nicht im kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen hat, und dies trotz des Umstandes, dass die Spuren bis heute nicht zu übersehen sind. Dass dem so ist, verdankt sich allgemein vielfältigsten Überschreibunsleistungen. Die Nachnutzung des Lagergeländes in St. Pölten-Viehofen als Freizeitlandschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Die Vergangenheit wurde in einem Badesee zum Verschwinden gebracht. Man muss sich, geht es um Erinnerungsarbeit, also auch mit Überschreibungen beschäftigen.

IV

An dieser Stelle ist an Johannes E. Trojer (1935 - 1991) zu erinnern. Er zählt zu den ersten, die sich systematisch mit der Geschichte der NS-Zeit im unmittelbaren dörflichen Umfeld beschäftigt haben. Seine erst nach seinem Tod veröffentlichte Studie "Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und Widerstand in Osttirol" ist nicht nur als Pionierleistung zu sehen, sie besticht vor allem durch ihre atmosphärische Dichte. Neben systematischer Datenerhebung etwa zu Opfern der NS-Diktatur finden sich darin zahlreiche Mikrostudien zum NS-Alltag.

Zutiefst davon überzeugt, dass nur jene Vergangenheit gefährlich werden kann, "die verdrängt und unterschlagen wird", betrachtete Trojer die NS-Zeit keineswegs als historisch abgeschlossenes Ereignis. Er beschäftigte sich gleichermaßen mit der Vorgeschichte wie mit den Nachwirkungen, mit dem Verdrängen und Überschreiben all dessen, was damals geschah: "Wir sind eine geschichtslose Generation von Söhnen und Enkeln, die mit den Leitbildern der Väter und Großväter nicht mehr viel anfangen kann, weil jene mit jenen in Katastrophen gelandet sind. Aber wir haben noch nicht die Kraft, neue Werthaltungen durchzusetzen gegen die Patriarchen. Wir sind Hinterbliebene, denen nach zwei großen Konkursen nichts geblieben ist als ein Erbe, das ihnen zur Last fällt." In seinen diesbezüglichen Texten schieben sich wiederholt unterschiedliche Zeitebenen ineinander, etwa dann, wenn er in einer Festschrift zum Jahr 1809 über damalige Verstecke schreibt und nebenbei erwähnt, dass dort auch "ein mutiger Bursch den Kriegswinter 1944/45" überstanden habe, ohne entdeckt zu werden. Ohne es direkt auszusprechen, erinnerte er so auch an die Deserteure der NS-Zeit. Eine Glosse, die er anlässlich des Todestages von Andreas Hofer verfasste, ließ er folgendermaßen enden: "Die Freiheitskämpfer [von 1809] in Ehren, aber die Widerstandskämpfer [gegen das Dritte Reich] sind vergessen!"

Bevor er den Zweiten Weltkrieg als Lehrstoff behandelte, ließ er die 12- bis 14-jährigen Schüler all das aufschreiben, was sie wussten, etwa auch über Adolf Hitler: "Er hat das Hitlerkreuz überall anbringen lassen. Er hat die Hitlerschule eingeführt. Wenn man jemanden gegrüßt hat, so mußte man sagen: Heil Hitler! Er wollte nur die blondhaarigen Menschen. Er hat Selbstmord begangen. Als Hitler regierte, half er viel den Leuten, wenn sie zu wenig Geld hatten. Er war auch ein Kriegsführer." Oder: "Er war der Anstifter des 2. Weltkrieges und er hatte Österreich 1939 gewaltlos erobert. Die Juden konnte er nicht leiden und deshalb ließ er sie in großen Hallen bei einem Vergasungsvorgang umkommen. Danach riß man ihnen die Zähne aus, um sie zu verwerten. 1945 brachte sich Hitler um, um nicht in die Hände der Russen zu fallen, die hätten ihn sehr gequält. Hitler trug einen Schnauzer." 1986 druckte Trojer solche Aufsätze im "Thurntaler" ab.

Trojer wandte sich gegen das Bedürfnis, einen Schlussstrich unter die bedrückende Vergangenheit zu ziehen, legte Linearitäten offen, machte deutlich, dass sich mancher vermeintlich alte Brauch wie das Maibaumaufstellen der NS-Zeit verdankte. Er thematisierte den Antisemitismus, erinnerte an die Opfer der NS-Euthanasie, an Zwangsarbeit im ländlichen Raum. Dabei scheute er sich nicht, einzelne Personen beim Namen zu nennen: "Dann muß ich zugeben, daß mein Schwiegervater - sonst ein herzensguter Mensch - ein Antisemit ist, der die NS-Judenverfolgung lieber gutheißt als bedauert." Oder: "Mein bester alter, 1984 verstorbener Freund Josef Obbrugger - im übrigen eine außergewöhnlich tolerante, verständige, eigenständige Persönlichkeit - vermochte seine ablehnende Einstellung zum Judentum zeitlebens nicht zu revidieren. Einen Juden kennengelernt hat er einzig und allein als Rekrut 1917 in Enns und dessen einzige Auffälligkeit, von ihm erstmals ‚Mahlzeit' statt ‚Guten Appetit' gehört zu haben, hat er sich gemerkt." Oder: "Einer der Wirte hat sich neuerdings baulich erweitert. Den Saal, wo Versammlungen, Festessen, Hochzeits- und Totenmähler stattfinden, hat er neu ausgestaltet. Auf die Stirnwand, wo davor die Haupttafel entlang steht, wo die Hauptpersonen sitzen oder vorsitzen, hat er eine ‚Familie', bestehend aus stehendem Vater, sitzender Mutter, ihr auf dem Schoß sitzendem Mädchen und am väterlichen Hosenbein sich anhaltendem Knaben malen lassen, daneben den Spruch: ‚Ein Volk dem seine Mütter heilig sind wird von Erfolg sich zu Erfolg bewegen'. In deutscher Fraktur. Der Wirt scheut sich nicht, stolz mitzuteilen, daß genau dasselbe Bild mit genau demselben Spruch seinerzeit in Hitlers Reichskanzlei eine Wand geschmückt hätte, und zeigt auch die Vorlage her."

Dass Trojer sich in manchen Details irrte, anderes außer acht ließ, fällt nicht ins Gewicht. Er war sich der Schwierigkeiten seiner Bemühungen nur zu bewusst: "Die darstellung des diffizilen stoffes ist natürlich schwierig: mit relativ wenigen gesicherten fakten das atmosphärische des talalltags der hitlerzeit authentisch und gerecht ausgewogen zu dokumentieren. [...] Diese sache beschäftigt mich nun schon jahrelang und ich habe viel dazu gesammelt. der zeitzeugen werden ja jährlich weniger." Trojer arbeitete mit Verknüpfungen, die einem Kommentar gleichkamen. So stellte er etwa im "Thurntaler" Mutterkreuzträgerinnen Rekruten gegenüber, die vor dem Einrücken in Zivil vom oben erwähnten Josef Obbrugger fotografiert wurden. Die Fotos "wurden einerseits für den Ahnen-, andererseits für den Wehrpaß benötigt. Allenthalben stand die ‚Stellung' bevor. Für das Paßbild wurde dann lediglich der ‚Kopf' genommen. Für die meisten war es das erste Portraitfoto überhaupt."

V

Erinnert sei auch an Heimrad Bäcker, der in seinen jugendlichen Jahren ein begeisterter Hitler-Anhänger war, sich aber nach 1945 bis zu seinem Tod 2003 wie kein anderer Autor mit den menschenverachtenden Praktiken des Nationalsozialismus beschäftigt hat. Dabei hatte er sich keine Handlungen vorzuwerfen, bei denen andere zu Schaden gekommen wären. Als die alliierten Truppen Linz befreiten, wurde Bäcker von den Amerikanern zum Arbeiten in das Konzentrationslager Mauthausen abkommandiert. Der dort erlebte Schock wurde zum Ausgangspunkt für eine lebenslange Trauerarbeit. Bäcker selbst sprach von einem Prozess, der erst mit dem Tod des Autors zu Ende sein könne. In diesem Prozess beschäftigte er sich intensivst mit der staatlich geplanten, gesellschaftlich tolerierten und industriell organisierten Vernichtung von Menschen. Diesen Prozess führte er auch gegen sich selbst, gegen seine - wie er selbst es nannte - "imbezile Verehrungswut".

Heimrad Bäcker brauchte sehr lange bis zur ersten Veröffentlichung seiner Texte. Die traditionellen literarischen Formen betrachtete er als "ungeeignet, die Geschehnisse angemessen zu begreifen" und darzustellen. Seine "nachschrift" erschien erstmals 1986. Bäcker nannte Helmut Heißenbüttels Textmontage "Deutschland 1944" aus dem Jahr 1980 als wegweisend für seine eigene Arbeitsweise. Heißenbüttel habe als Erster gezeigt, dass die Mördersprache, die Tarnsprache der Nazis, eine Sprache der "Vertauschung" sei, die sich nur durch Zitieren auflösen lasse. Der Literaturwissenschaftler Klaus Amann: "Die Nazis sagten ‚sozialpolitische Notwendigkeiten', wissend, daß Sozialpolitik etwas Nützliches ist und sie meinten das Vergasen von Kranken, sie sagten ‚Endlösung', wissend daß eine endgültige Lösung für ein Problem zu finden etwas Gutes ist und sie meinten den industriell geplanten und organisierten Massenmord. Dies versteht Bäcker unter ‚Vertauschung'. Bezeichnetes und Gemeintes passen nicht zusammen. Sprachzeichen und Sprachbedeutung decken sich nicht." Tatsächlich fand er bei Heißenbüttel nur die Bestätigung für eine Arbeitsweise, die er sich selbst lange zuvor angeeignet hatte, im Wissen, dass - wie Friedrich Achleitner schreibt - die "Totalität der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie, die zynische Dialektik von pervertierter Ethik und Vernichtung, Hygiene und Bestialität weder beschreib- noch darstellbar [ist]. Jede Art von Beschreibung steht der Wirklichkeit im Wege, deckt sie zu. Fotos von Haufen nackter, toter, auf das Skelett abgemagerter Menschenkörper geraten zum Ornament, abgehoben in eine grausige Bildwirklichkeit, die trotzdem nur wenig mit den Dimensionen des tatsächlichen Grauens und Leids zu tun hat. Es gibt kein Medium, keine Ersatzwirklichkeit, die diese tatsächliche, totale Wirklichkeit vermitteln könnte. Jeder Versuch gerät zur Übertreibung des Nicht-Übertreibbaren, wird damit zum Surrogat oder zum Kitsch." Bäcker beschäftigte sich einzig, und das sehr genau, mit der Sprache von Tätern und Opfern, verweigerte sich jeder literarischen Bearbeitung, "mit Ausnahme von Reihung, Wiederholung, Aussparung; mit Ausnahme des Systems Nachschrift". An anderer Stelle spricht Bäcker von "Isolierung, Verknappung, Stellung im Raum, Abfolge, Kleinschrift".

Textmontagen oder Zitate werden gemeinhin als simples literarisches Verfahren betrachtet. Dies gilt für Heimrad Bäckers Arbeit keinesfalls. In jeder seiner Miniaturen des Grauens steckt lange Arbeit, intensive Literatur- und Archivrecherchern, jahrelanges Begehen und Dokumentieren der Mauthausen-Topographie. Besondere Bedeutung kommt in seinen Texten den Weglassungen zu, den Leerstellen, die den Rezipienten zwangsläufig auf anderes verweisen.

"unbeschadet der zu erwartenden gesamtanordnung hinsichtlich verwertung des beweglichen und unbeweglichen besitzes der umgesiedelten juden wird hinsichtlich des eingebrachten gutes, das künftig in allen anordnungen als diebes-, hehler- und hamstergut zu bezeichnen ist, schon jetzt folgendes bestimmt: ...."

Die entscheidenden Informationen sind durch die Einleitung bereits vorweggenommen. Die Weglassung als bedrohliche Leerstelle. Bäcker verlangt den Rezipienten die Entschlüsselung jener Bedeutungsspuren ab, die er gelegt hat. Arbeitet Heimrad Bäcker mit Weglassungen, dann kehrt er das Bemühen, Dinge zu Verschweigen und so zum Schweigen zu bringen, in ihr Gegenteil. In seinen Weglassungen wird das Unausgesprochene höchst beredt.

Bäckers Texte, in seiner Arbeit bewegte er sich zwischen Literatur und Kunst, stehen einem skulpturalen Verständnis nahe, was die visuell-graphische Gestaltung der "nachschrift" deutlich macht: zumeist spärlich bedruckte Blätter, Worte in Reihen, Kürzel, Kolonnen, Auflistungen und so weiter, stets strengstens gesetzt. In der "nachschrift" findet sich weder ein persönliches, noch ein literarisches Ich, mochte die Arbeit auch biographisch motiviert sein. Bäcker verweigert sich jeder Erzählung. Vielmehr stellt er frei und ermöglicht so einen unverstellten Blick auf die Tötungsmaschinerie. Da er sich jeder herkömmlichen Narration widersetzt, lassen sich seine Texte nicht einfach als Beschreibungen vergangener Geschehnisse abtun. Klaus Amann: "Durch die radikale Verweigerung alles Fiktiven und aller literarischen Erfindung, durch die bewußte Vermeidung einer durch Erzählung und Nacherzählung unweigerlich sich bildenden zeitlichen Struktur verhindert Bäcker die Historisierung des Geschehens. Die Isolierung im Zitat und die ‚Konkretisierung' des historischen Materials in einem literarischen Rahmen heben uns das in die Unübersichtlichkeit und Gleichförmigkeit des Vergangenen Abgesunkene - und bis zu Bäckers Akt des ‚Nachschreibens' gleichsam Nicht-mehr-Vorhandene - als sprachlich unmittelbar Gegenwärtiges ins Bewußtsein. Die ‚nachschrift' eröffnet, als literarisches Werk, in dessen dokumentarisch verbürgtem Sprachmaterial die Erfahrungs- und Empfindungswelten der Täter und der Opfer konserviert sind, kraft ihrer ästhetischen Form einen Raum der Gegenwärtigkeit und der Gleichzeitigkeit. Es ist ein Raum, in dem Anteilnahme, Kontemplation, Erkenntnis, Entsetzen und Empathie möglich sind. Die von Bäcker auf das dokumentarische Sprachmaterial angewendeten literarischen Verfahren schaffen Bedingungen der Wahrnehmung und der Rezeption, die Reflexion, Verlangsamung der Lektüre, Konzentration, Erinnerung, Eingedenken und Mitgefühl ermöglichen." Wie keinem anderen gelang es Bäcker, die Verschränkung der Gegenwart mit der Vergangenheit deutlich zu machen. Bäckers "nachschrift" ist Erinnerungsarbeit im besten Sinn, nicht zuletzt deshalb, weil sich die von ihm herausgearbeiteten Strukturen nicht einfach in die Vergangenheit verabschieden lassen, mag er sich auch auf Dokumente und Ereignisse der Vergangenheit beziehen. Bäcker bemühte sich um die Erhaltung der "Dauerspur", von der Sigmund Freud schreibt.

Mahnmale wie das in Silbertal irritieren nicht, sie wirken geradezu beschaulich. Gut denkbar, dass Feriengäste die Blumenpracht bewundern werden, unwissend, auf was all das verweisen soll, nicht viel anders als jene Touristen, die den "straßenwaschenden Juden" auf dem Albertinaplatz als angenehme Sitzgelegenheit betrachteten, was heute dank des angebrachten Stacheldrahtes nicht mehr möglich ist. Heimrad Bäckers skulpturale Textarbeiten lassen dagegen nicht den geringsten Zweifel. Sie irritieren zutiefst. Freilich hätte Bäcker diese nie in einem Kontext gezeigt, in dem sie falsch verstanden werden hätten können.

Erinnern ist immer ein Tun aus der Gegenwart, sei es bewusst oder unbewusst. Diesbezüglich wäre eine Sammlung von SMS spannend, die aus ehemaligen Konzentrationslagern wie Auschwitz, Mauthausen etc. heute verschickt werden.

Bin in auschwitz.
Geht mir gut.
Sei umarmt.
M
(08/08/2009)


Wüssten wir weder um die Entstehungszeit, noch darum, dass es sich um ein SMS handelt, das Schreiben ließe sich als eine abgezwungene Botschaft betrachten wie der von Tatiana Lecomte zitierte Satz: "Ich bin gesund, es geht mir gut." Es ist gut vorstellbar, dass Heimrad Bäcker, lebte er noch, heute mit solchem Textmaterial arbeiten würde. Inzwischen dürfte klar sein, dass übliche Mahnmale nur bedingt der Erinnerung dienen, mag auch außer Streit stehen, dass begangenes Unrecht eines Zeichens bedarf und Mahnmalen in der Erinnerungsarbeit durch all die Konflikte, die mit ihrer Errichtung einhergehen können, eine wichtige Funktion zukommt.

VI

Im Innenraum ist ein Textband mit Tagebucheintragungen meines Onkels Walter Kathan, Zwangsarbeit betreffend, zu sehen, streng gesetzt und in so großen Lettern, dass sie jeder gut lesen kann, der von außen in den Innenraum blickt. Diese Tagebücher bieten sich nicht allein deshalb an, weil sie zu den wenigen Dokumenten zählen, die die Tatsache der Zwangsarbeit im Dorf belegen. Sie zeugen auch davon, dass die Zuteilung von Zwangsarbeitern als etwas sehr Normales galt. Dann machen sie deutlich, dass Zwangsarbeiter im Dorf nahezu überall eingesetzt wurden. Bäuerlichen Tagebüchern entsprechend werden stets die Flurnamen angeführt. Heute wissen die Wenigsten um all die Flurbezeichnungen. In den 1940er Jahren war das noch anders. Damals wussten alle genauestens um das Topographische, um Besitzverhältnisse, Grenzverläufe, Wegrechte und so fort. Die einen oder anderen Flurbezeichnungen sind heute noch geläufig. Werden diese im Kontext von Zwangsarbeit erwähnt, so wird Geschichte konkret. Die erwähnten Flurnamen sind dort von aktueller Bedeutung, wo sehr viele Gemeinden nun im Interesse der Erhaltung von Flurnamen Tafeln mit entsprechenden Bezeichnungen aufstellen lassen, freilich ohne diese Namen mit konkreter Geschichte in Verbindung zu bringen. In der Textinstallation werden die erwähnten Flurnamen gleichsam mit Geschichte angereichert. Dabei verweisen sie nicht nur auf Besitzverhältnisse oder Bewirtschaftungsformen, sondern auch auf das Faktum der Zwangsarbeit. Erinnerungsarbeit muss stets beim Konkreten ansetzen. Viel wäre gewonnen, gelänge es, Einzelne zu motivieren, etwa Familienalben anders anzuschauen. Ein Mahnmal ist mir kein Anliegen. Ein wie immer gearteter künstlerischer Eingriff kann doch nur Teil eines Erinnerungsprozesses sein, nicht aber die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ersetzen.

Bernhard Kathan, Herbst 2011

Unterstützt durch:
Zukunftsfonds der Republik Österreich


Bild: Bernhard Kathan


[ zur Startseite ]