Rudi Nagiller: Die Steinbank


Bank f. ‚Sitzgelegenheit' (< 9. jh.) mhd. banc, ahd. bank, as. bank aus g. *banki-m. ‚bank', auch in anord. bekkr, ae. benc, afr. benk, bank, bonk. daneben steht der n-stamm anord. bakki ‚erhöhung', ae. hobanca ‚bettstelle'. das femininum ist erst mittelhochdeutsch und vielleicht altenglisch. weitere herkunft unklar. vielleicht als ‚kante' (gemeint waren ursprünglich die um den saal herumlaufenden bänke) aus g. *branka- mit ausdrängung des -r-, doch ist mit dieser bedeutung sonst nur ablautendes (me., ne., mndl., nndl.) brink bezeugt.


photo: bernhard kathan

Auf einem Spaziergang im Frühjahr kam ich an einem Feld vorbei, welches mir sofort ins Auge stach. An verschiedenen Stellen hatte jemand Steine aufgehäuft; neben Natursteinen größere Findlinge, die beim Ackern an die Oberfläche befördert werden, behauene Granitblöcke, die wohl irgendwann zur Begrenzung von Gehsteigen dienten, Kanaldeckel aus Beton, aber auch zerbrochene Grabsteine. Neben diesen Hügeln kleinere oder größere künstlich angelegte Tümpel. Einmal war ich erstaunt, weil dieses Gelände nicht eingezäunt war. Es war nicht einmal zu sagen, wo es anfing oder endete. In den nächsten Monaten habe ich diesen seltsamen Ort mehrfach besucht. Die Steine veschwanden unter Brennesseln, unter Schilf oder Sträuchern. Aber jedesmal waren neue Steingebilde oder andere Eingriffe zu erkennen. All diese Steine und Tümpel schienen keinen eigentlichen Zweck zu haben, einzig einer unbestimmten Lust am Schönen zu entspringen. Ich dachte an eine Art Zwiesprache zwischen dem Gestalter und dem Gelände; Rede und Gegenrede, Eingriffe und ihre jeweiligen Folgen.

Ich habe mich immer wieder gefragt, was für ein Mensch das wohl sein müsse, der ein so reizvolles Gelände anzulegen versteht. Lange dachte ich an einen Künstler. Lois Weinberger fiel mit ein. Dann dachte ich an jemand, der sich mit Permakultur beschäftigt, in der die Beachtung der Wechselwirkungen eines Systems, die Nutzung natürlicher Ressourcen, das Kreislaufdenken oder die Nutzung und Mitgestaltung von Entwicklungen und Abläufen der Natur eine wichtige Rolle spielen. Auch Permakulturen kennen das vielfältige Nebeneinander wie das Arbeiten mit Steinen, welche unter anderem dazu dienen, Wärme zu speichern. Eigentlich wäre die Antwort einfach gewesen. Spätestens im Juni war zu sehen, dass auch die Äcker und Wiesen Teil des Geländes sind. Zwischen den Kartoffeln mit ihrem tiefen Grün fanden sich eine Vielzahl anderer Pflanzen, Sonnenblumen etwa, Saubohnen oder Erbsen, in den Furchen Wicken und Klee. Die Kühe, die auf den umliegenden Wiesen weideten, schienen, wenngleich auch zwei von ihnen die Hörner fehlten, aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen. Kühe mit Eigensinn und Charakter. An einem Anhänger mit einem Wassertank und Selbsttränke waren Bürsten und andere Geräte montiert, an denen sie sich, in Ermangelung an Hecken, reiben konnten.

Wenngleich die moderne Landwirtschaft für solche Spielereien wenig Sinn hat und die Kulturlandschaften einförmig gemacht, sie vielerorts ihrer letzten Hecken oder Sümpfe beraubt hat, so ist der kleinbäuerlichen Kultur der hier praktizierte Umgang mit Material nicht fremd. Jahrhunderte lang hatte sie ein besonders Verhältnis zu Abfall, Übriggebliebenem oder Vorgefundenem. Da fällt mir etwa ein alter Bauer ein, der die nutzlosgewordene Tür einer Waschmaschine in seinem Schafstall als Fenster eingebaut hat. Dass dieses Fenster an das Bullauge eines Schiffes denken ließ, stört ihn nicht. Die kleinbäuerliche Kultur kannte genaugenommen keinen Abfall. Bis auf weniges ließ sich alles irgendwie verwenden. Nur die kleinbäuerliche Kultur kennt Künstler wie Franz Gsellmann mit seiner berühmt gewordenen "Weltmaschine" oder Lois Weinberger, dessen Arbeit besticht, weil er den Dingen ihr Eigenleben lässt. Wie Franz Gsellmann seine "Weltmaschine" eigentlich nie beenden konnte, und Gsellmann, würde er noch leben, immer noch damit beschäftigt wäre, Teile ein- oder auszubauen, so sind die Arbeiten von Weinberger eigentlich nie abgeschlossen, auch dann nicht, wenn er seine Arbeit beendet hat. Gsellmann hat sich vor allem mit Eisenschrott beschäftigt. Weinberger hat mit Steinen begonnen. Er wollte kein Bildhauer sein, weshalb er die Steine auch nicht behauen hat. Er hat sie einfach gefunden und bestenfalls mit kleinen maschinellen Eingriffen versehen. Dennoch steht der Bauer dieser Geschichte Franz Gsellmann näher. Ihn drängt es nicht in die Welt hinaus, nicht weg vom Ort der eigenen Kindheit.

Inzwischen habe ich den Gestalter dieser seltsamen Gartenlandschaft kennengelernt. Rudi Nagiller ist ein Bauer in meinem Alter. An heißen Tagen trägt er einen Strohhut, Boxer-Shorts, geht auch mal barfuß. Er war in einem seiner Äcker mit Jäten beschäftigt. Im Hemd steckte ein ziemlich großes batteriebetriebenes Radiogerät. Er arbeitete gleichförmig, allerdings ohne jede besondere Eile. Wir kamen ins Reden. Er griff in sein Hemd und stellte das Gerät ab. Erstaunlicherweise war ihm meine Frage, wohin sich das Ganze entwickeln werde, völlig fremd. Soviel Glück hat mich beschämt, das Fehlen allen Bemühens, aus einer Begabung Geld zu machen. Er macht es einzig für sich. Eine Botschaft für andere hat er nicht. Mit Permakultur hat er sich nicht beschäftigt. Auch an Kunst hat er noch nie gedacht. Schon eher an eine Welt, die ihm Platz gibt und ihn erstaunen lässt. In keiner Schriftstellervereinigung hatte ich je das Gefühl, einem Dichter begegnet zu sein. Das mag auch damit zu tun haben, dass wirkliche Dichter Vereinsversammlungen meiden. Als ich mit Rudi Nagiller sprach, hatte ich das Gefühl, einen wirklichen Dichter vor mir zu haben, auch wenn er mehr Zeichen als Worte zusammenfügt. Manche der Steine, allesamt Fundstücke, tragen Aufschriften. Da die meisten von ihnen zerbrochen sind, haben wir es mit Textfragmenten zu tun. Meine diesbezügliche Äußerung hat bei ihm Heiterkeit ausgelöst. Während wir glauben, originäre Texte zu schreiben, weiß er, dass der Acker kein weißes Blatt Papier ist, sondern mit allem, was sein Erdreich birgt, ebensoviel Text produziert. Die Genforschung hat uns gelehrt, dass jedes noch so kleine Samenkorn sein ABC kennt, und mag die Pflanze, die daraus entsteht, noch so klein sein. Für den, der Augen dafür hat, vermögen Pflanzen, aber auch Steine noch anderes zu erzählen. Das Drama der Behauptung wie der Vergänglichkeit. Um keinen falschen Eindruck zu wecken, Rudi Nagiller kann dem Unkraut in seinem Acker auch mit dem Gasbrenner zu Leibe rücken. Er betreibt auch kein Tierasyl. Geschlachtet wird in der ortsansässigen Metzgerei.

Wer kann noch erstaunt sein beim Anblick einer Wasserpfütze, die sich in den Traktorspuren nach einem Regen gebildet hat und erst in Tagen völlig ausgetrocknet sein wird? Rudi Nagiller weiß, dass er mit seinen Stein- und Tümpelgeschichten nie zu einem Ende kommen wird. Deshalb treibt es ihn auch nicht zur Eile. Statt Eile Stetigkeit, statt Tun vor allem Schauen. Wie sich das Ganze entwickeln wird, das wird ihn das Gelände selbst lehren. Im Gegensatz zu vielen künstlich angelegten Biotopen kennen seine Tümpel keine Plastikfolien, und dies, obwohl sie an einem Hang angelegt wurden. Manchmal sind sie randvoll mit Wasser gefüllt, dann trocknen sie wieder fast vollständig aus. Na und? So ist es eben. Jahre, in denen es kein Obst gibt, sollen gut für die Bäume sein.

Unter den Steingebilden gefällt mir besonders eine Bank, zusammengefügt aus drei Steinblöcken. Ein funktionales Objekt, welches allerdings durch seine leichte Neigung wieder irritiert und an Objekte denken lässt, die Vicino Orsini im sechzehnten Jahrhundert in seinem Park bei Bomarzo errichten ließ. Eine Inschrift im Park von Bomarzo lautet: "Der Du hier eintrittst und versuchst, alles von Anfang bis Ende zu verstehen, sage, ob soviele Wunder geschaffen wurden, um den Fehler der Kunst zu begehen." Aber mit Manierismen hat Rudi Nagillers Gartenlandschaft nichts zu tun. Die Steinbank etwa betont das Verweilen, das müßige Betrachten und Schauen. Sie sagt auch: Nicht nur mit den Augen nehmen wir die Welt wahr, sondern auch mit unseren Hinterbacken. Aber es würde wohl hunderte von Jahren dauern, bis sich Sitzflächen sichtbar dem Granit mitgeteilt hätten und der Stein an manchen Stellen glatt poliert wäre.

Die meisten Menschen, die an diesen Steinhäufen vorbeispazieren, können wohl nichts besonderes erkennen. Steinhaufen. Was ist das schon! Im besten Fall wird ein schrulliger Mensch vermutet, aber in soviel Unkraut, in den Brachen, die der Landschaft zugestanden werden, vermag kaum jemand etwas Schönes zu erkennen. Dass er bei seinem Wasser nicht nur an seine Tümpel und Bäume, nicht nur an Frösche oder an das Vieh, sondern auch an die Spaziergänger denkt, die hier vorbeikommen, wird wohl den wenigsten auffallen. Es findet sich zwar kein Brunnen, aber ein Plastikrohr ist so geführt, dass jeder Spaziergänger bequem Gesicht und Hände waschen kann. Abgesehen von Bäumen und Johannisbeersträuchern wurde in diesen kleinen Brachen keine eigene Pflanze eigens gepflanzt. Alles, was hier wächst, war vorhanden. Es geht nur darum, Platz zuzugestehen. Einzig Steine werden hergeschleppt.

Das ganze Gelände widerspricht so sehr allen Vorstellungen von einem Garten, dass es sogar schwer ist, den Eindruck mit Hilfe eines Fotoapparats einzufangen. Meine Fotos wirken banal. Dies hat damit zu tun, dass es keine eigentliches Gestaltungskonzept gibt, dass alle Eingriffe letztlich punktuell sind, auch wenn sich dann, lässt man sich genügend Zeit, das Gelände zu einem Gesamten zusammenfügt. Man müsste wohl mit einem Ballon aufsteigen, um das Ergebnis jahrelangen Schauens und Grabens ablichten zu können. Die Fotografie des Spaziergängers versagt, weil das Gelände Betrachtungspunkte und Fluchtlinien verweigert. Es findet sich einzig ein Ruhepunkt. Unter einem Holunderstrauch steht eine morsche Holzbank. Im Sommer veschwindet der davor liegende Tümpel hinter Binsen und Schilf.

Die meisten Gärten sind schon fertig, bevor sich die Menschen mit ihnen beschäftigt haben. Man sieht ihnen an, dass ihre Gestalter sich weniger mit Pflanzen oder Gärten beschäftigen als mit der Frage, wie ein Garten auszusehen hat, wie andere ihn sehen werden. Die meisten Gärten verstehen sich als Auslagen. Der Garten des Haues, in dem ich wohne, bildet das extreme Gegenstück zu Rudi Nagillers Landschaftsprojekt. Ein Mitbewohner mit der Mentalität eines Hausmeisters rückt jedem Unkraut zu Leibe. Das erste Gänseblümchen versteht er als deutliches Zeichen, den Rasen zu mähen. Die Blumen, die wachsen, stammen wie die verwendeten Geräte oder die weißen Plastikmöbel aus einem Gartencenter. Es ist ein Garten, wie er sich in Katalogen findet, für die Blicke anderer gemacht. Jedes Eigenleben wird bekämpft. Die schöne Brombeerhecke, die unkontrolliert wucherte, fiel als erstes seinem Eifer zum Opfer. Dann ging es den Sträuchern an den Kragen. Nachdem weitgehend alle Nistmöglichkeiten zerstört waren, wurde an den schmächlich verstümmelten Kirschbaum ein Vogelhäuschen gehängt. So ein Garten hat etwas Trauriges. Es ist eine Art Abtötungsprogramm im Grünen. Statt sich an den vielen Zufällen zu erfreuen, mit Blattläusen zu leben, sich von dem, was da geschieht, in Erstaunen versetzen zu lassen, wird die im Berufsleben geforderte Disziplin noch in die Freizeit verlagert. Dass unser selbsternannter Hausmeister auch noch in der Freizeit arbeitet, wird spätestens dann offensichtlich, wenn er jeden noch so kleinen Handgriff seiner Gartenarbeit penibel mit der Hausverwaltung abrechnet. Je mehr gemäht, beschnitten, begradigt wird, je mehr Blumen aus dem Kaufhaus gesetzt werden, umso weniger zieht es Kinder in diesen Garten. Auch die Bewohner des Hauses meiden ihn. Wer immer ihn benutzt, droht zu Inventar zu werden. Der enge Blick, der den Pflanzen gilt, trifft letztlich auch die Menschen, die ihn benützen. In solchen Gärten wünsche ich mir manchmal den Anblick einer dicken fetten portugiesischen Nacktschnecke.

Wann kann man von einem Garten sprechen? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich habe schon öfters rekonstruierte historische Gärten gesehen, etwa Bauerngärten. Und obwohl von der Kamille bis hin zum Eisenhut oder Rittersporn alles prächtig blüht, fehlt solchen Gärten meist jeder Reiz. Jene Gärten, die mir gefallen, und die ich seit Jahren immer wieder besuche, um ihre Entwicklung zu sehen, verbindet eine eigentümliche Unordnung. Da findet sich Unkraut, da liegen Gemüseabfälle oder zusammengeharktes Laub. Schöne Gärten verdanken wir vor allem Menschen, die spielerisch und neugierig mit Pflanzen umgehen. Ein guter Indikator ist das Verhältnis zum Unkraut. In allen wirklich schönen Gärten wird diesem nicht mit letzter Konsequenz zu Leibe gerückt. Die meisten Gärten, und da mag es in ihnen noch so viele Exoten geben, haben etwas Ausschließendes. Ironischerweise sind es heute die Gärten türkischer Gastarbeiterfamilien, deren Gärten, auch wenn es in ihnen nur wenige Blumen gibt, an die alten Bauerngärten denken lassen.

Hugo von Hofmannsthal hatte eine Vorstellung davon, was einen Garten zu einem schönen, genaugenommen beseelten Garten macht: "Der seelenloseste Garten braucht nur zu verwildern, um sich zu beseelen. Es entsteht unter diesen schweigenden grünen Kreaturen ein stummes Suchen und Fliehen, Anklammern und Ausweichen, eine solche Atmosphäre von Liebe und Furcht, dass es fast beklemmend ist, unter ihnen allein zu sein. Und doch sollte es nichts Beseelteres geben als einen kleinen Garten, in dem die lebende Seele seines Gärtners webt. Es sollte hier überall die Spur einer Hand sein, die zauberhaft das Eigenleben aller dieser stummen Geschöpfe hervorholt, reinigt, gleichsam badet und stark und leuchtend macht. Der Gärtner tut mit seinen Sträuchern und Stauden, was der Dichter mit den Worten tut: er stellt sie so zusammen, dass sie zugleich neu und seltsam scheinen und zugleich auch wie zum erstenmal ganz sich selbst bedeuten, sich auf sich selbst besinnen. Das Zusammenstellen oder Auseinanderstellen ist alles: denn ein Strauch oder eine Staude ist für sich allein weder hoch noch niedrig, weder unedel noch edel, weder üppig noch schlank: erst seine Nachbarschaft macht ihn dazu, erst die Mauer, an der er schattet, das Beet, aus dem er sich erhebt, geben ihm Gestalt und Miene. Dies alles ist ein rechtes ABC."

Rudi Nagillers Gartenlandschaft kennt zwar keine Gartenblumen, auch fehlt ihr die Geschlossenheit eines Gartens, aber das funktionale und spielerische Nebeneinander lässt an eine Gartenlandschaft im eigentlichen Sinn denken, an die Schnittstelle von vegetativem Eigenleben und menschlichen Eingriffen, an jene des Paradieses wie der Mühsal und Vergänglichkeit. Er mag von anderen belächelt werden. Sein Traktor nimmt sich bescheiden aus. Aber ich bin überzeugt, dass er über mehr Lebensqualität als viele andere Bauern verfügt. Er kennt die Lust an seiner Arbeit. Das scheint mir eine wahre Lebenskunst, die sich auch noch auf die Kühe abfärbt. Während die moderne Landwirtschaft bemüht ist, alle Reibungsverluste auszutilgen, kennt er eine Grundhaltung mancher Psychotherapeuten. Man muss sich mit dem Widerstand verbünden, auf Kühe und Äcker übertragen, diesen ihr Eigenleben lassen.

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