Konzept: Bernhard Kathan | Musik: Hey-o-Hansen | Montage: Christian Kuen | Grafik: Günter Gstrein
Die Fähigkeit, Schmerz, Angst, Trauer oder gar Mitleid zu empfinden, selbst
Träume oder religiöse Gefühle zeichnen nicht länger den Menschen aus. Daß
die zivilisierte Gesellschaft schlecht und verdorben sein soll, ist nicht
neu. Aber nachdem uns alle Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft abhanden
gekommen sind, werden die Tiere zu Platzhaltern unverdorbener Regungen. Wir
wenden uns den Walen zu, die träge durch das Meer gleiten, ihre Kälber
säugen und sich mit ihren Artgenossen über große Distanzen verständigen; den
Pferden, die uns verstehen, werden sie nur richtig angesprochen; den
Bonoboaffen, die ihre Konflikte mittels sexueller Stimulation abbauen. Da
scheint die Welt noch heil, scheint ein ferner Schimmer des einstigen
Paradieses zu leuchten. Nachdem alle gesellschaftlichen Utopien gescheitert
sind, sehnen wir uns in eine heile Welt zurück, die dem einzelnen einen
festen Platz zuweist, die sich überschaubar und stabil zeigt, eine Welt, in
der Falschheit, Konkurrenz, Gewalt und Intrige fehlen. Doch bei all diesen
Tieren handelt es sich um Projektionsfelder für unterschiedlichste
Bedürfnisse und Ängste. Gleichzeitig können wir uns am Durchsetzungsvermögen
und Sozialverhalten der Wölfe ein Beispiel nehmen. Im Gegensatz zu den
Tieren scheint einzig der Mensch keinen Platz zu haben und das natürliche
Gleichgewicht zu gefährden. Der Mensch ist an die Stelle von Kartoffelkäfern
und Heuschrecken getreten. Während Aktäon und Kallisto als Menschen erkannt
werden wollten, der Tierbräutigam sich seiner tierischen Haut zu entledigen
suchte, verwenden wir die Haut lebender Tiere, um sie mit unseren Ängsten zu
füllen. Allerdings kann sich erst der moderne Mensch dieser Trennlinie
zwischen Mensch und Tier sicher sein. Erst diese Sicherheit hat die
Voraussetzung geschaffen, sich im Kontext der Tierwelt zu begreifen. Nun
läßt sich das Menschliche im Tier und das Tierische im Menschen feststellen.
Bernhard Kathan, Zum Fressen gern. Zwischen Haustier und Schlachtvieh,
Kulturverlag KADMOS, 256 S., 80 Abb., € 19,10
Dank an: Balthus, Pierre Bonnard, Mary Cassat, Giacomo Ceruti, Paul Cezanne,
Lucas Cranach, Wolfgang Felten, Peter Fendi, Frans Floris, Goya, Heinrich
Hoffmann, W. Hoffmann, Ulrike Jussel, Wolfgang Kathan, František Kupka,
Maria Lassnig, Max Liebermann, Niko Pirosmani, Klaus Pobitzer, Bernardo
Strozzi, Tizian, Velázquez, Leonardo da Vinci u.a.