Öffentliche Gelder verpflichten -
Kulturpolitik in Zeiten knapper Mittel



               Jetzt kommen die Zeiten, da heißt es heraus
mit dem Gold aus dem Mund. Seid klug und
wühlt euch Gräben ums Haus.
Gebt eure Tochter dem rohesten Knecht,
jenem, der noch zur Not nicht nur Brot
mit den Zähnen aufbricht.
Franz Josef Degenhardt

Er faßte den Entschluß, den Vorrat an Zähnen der Herstellung eines Mosaiks
zu weihen. Ihre Farbtöne und Umrisse unterschieden sich hinlänglich, um
dieser Laune zu dienen, und die mehr oder weniger starken Blutrückstände an
den Wurzeln würden zusammen mit den funkelnden Goldkronen und Plomben die
Farbskala ergänzen.
Raymond Roussel, Locus solus



"Wie steht's um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bei Ihren höchst arbeitsintensiven, doch wenig pompösen Ausstellungs- und Publikationsprojekten?" Das wurde ich unlängst in einem Interview gefragt. Zweifellos verdient man als Werbegraphiker besser. Wenn man sich mit den Entwicklungen der Welt beschäftigt, in der wir leben, dabei auf alles Medienwirksame verzichtet, dann muss man das in Kauf nehmen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die vor allem eines nicht honoriert, nämlich das Nachdenken über die Gesellschaft.

Statt in das allgemeine Klagegeschrei über Kürzungen im Kulturbereich einzustimmen, folgt hier der Versuch einer knappen Bestandsaufnahme heutiger Kulturpolitik. Das wirkliche Problem ist nicht in den Kürzungen, sondern im Fehlen einer wirklichen Kulturpolitik zu sehen. Liest man Jahresberichte von Kulturabteilungen, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass - sieht man einmal von den Renommierinstitutionen ab - die Gelder, die den größten Teil verschlingen, nach einer Art Gießkannenprinzip verteilt werden. Da kann ein Buch mit dem Titel "Weihnachtserzählungen" ähnlich gefördert werden wie ein Gedichtband einer begabten jungen Lyrikerin. Da finden sich innovativste Projekte neben Festschriften, die anlässlich der Emeritierung eines Professors zu erscheinen pflegen. Kulturpolitik bedeutet heute nicht viel mehr als die möglichst kostengünstige Bewirtschaftung eines Feldes, welches von Brauchtumsvereinen über Museen und Theater bis hin zu innovativen Kunstprojekten reicht.

Künstlerisches Schaffen ist heute oft genug disziplinübergreifend. Es mangelt nicht an Künstlern, die über eine solide natur- oder geisteswissenschaftliche Ausbildung verfügen, die ihre Arbeit als wissenschaftliche Praxis verstehen. Ihre Arbeitsweise hat nur noch wenig mit herkömmlichen Kunstvorstellungen zu tun. Sie können sich mit Migration, Mobilität, Ökonomie, Reproduktionsmedizin, Biotechnologien und damit verbundenen sich ändernden Körpervorstellungen, mit unterschiedlichsten Konfliktfeldern beschäftigen. Oft genug verschiebt sich dabei das vorzeigbare Werk zugunsten eines Prozesses. Politik reagiert auf die Ängste der Menschen, die zwangsläufig mit dem dramatischen Wandel unserer Gesellschaft einhergehen, mit Rezepten der Boulevardpresse. Dabei ließe sich sehr gut zeigen, dass mehr Polizei nicht unbedingt mehr Sicherheit zur Folge hat, dass Sicherheit etwas anderes bedeutet, als nur nicht ausgeraubt oder bestohlen zu werden. Sicherheit bedeutet Partizipation. Es wäre etwa leicht zu demonstrieren, dass im urbanen Raum mit klugen Projekten, in die Künstler eingebunden oder die oft genug von Künstlern initiiert werden, mehr zu gewinnen ist als mit einer höheren Polizeipräsenz. Unter Design versteht man längst nicht mehr nur die Gestaltung von Kaffeekannen oder ähnlichen Dingen. Design kann sich heute mit höchst komplexen Fragestellungen beschäftigen.

An Kulturpolitik und Kulturbürokratie sind die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nahezu spurlos vorübergegangen. Immer noch wird in Kategorien gedacht, die vielleicht in der Nachkriegszeit Sinn machten. Kulturpolitik denkt nach wie vor an Autorenschaft, an Werk oder "typische" Künstlerbiografien, obwohl diese Begriffe nur zu oft im Widerspruch zur künstlerischen Praxis stehen, sie differenziert zwischen bildender und darstellender Kunst, Brauchtumspflege, baukulturellem Erbe und so fort, obwohl es längst schon notwendig wäre, solche Zuordnungen über Bord zu werfen. Kulturpolitik denkt immer noch in herkömmlicher Weise an Bilder, die sich an Wände hängen lassen, an Kompositionen, die aufgeführt werden wie vor hundert Jahren, so als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen. Und so erstaunt es denn auch nicht, dass gerade in die innovativen Bereiche am wenigsten Geld investiert wird. An Sekundärnutzen wird ausschließlich im Zusammenhang mit der Tourismusindustrie gedacht, freilich nicht, um eben diese Industrie mit all ihren Folgen oder auch Möglichkeiten zu reflektieren, sondern um Angebote für die Fremdenverkehrswirtschaft zu schaffen. An Schlechtwettertagen sollen die "Gäste" die Möglichkeit haben, in ein Museum zu gehen.

Ganz allgemein ist festzuhalten, dass Kunst und Literatur das Gedächtnis einer Gesellschaft bilden. In einer Gesellschaft, in der viele Formen der Tradierung verloren gehen, ist dies noch einmal mehr von Bedeutung. Der geringste Teil der Kulturbudgets (Bund, Länder, Gemeinden) gilt Projekten, in denen sich die Gesellschaft reflektiert. Genaugenommen sind solche Ausgaben nicht einmal vorgesehen, sie geschehen eher zufällig im Rahmen von Personen- oder Projektförderungen. Warum sollte dies auch nötig sein, reflektiert sich die Gesellschaft doch in der Boulevardpresse. Allerdings zwingt die Boulevardpresse zur ständigen Wiederholung. Deshalb reicht es, eine einzige Kronenzeitung, eine VN, eine TT gelesen zu haben, um alle Ausgaben zu kennen, mögen sich Akteure, Orte und Mordwerkzeuge auch ändern. Die Boulevardpresse spiegelt zwar all die Konflikte unserer Gesellschaft, diese vermag sich aber in ihr nicht wirklich zu reflektieren. Es ist etwa vergleichbar mit der Aufgeregtheit eines Bienenvolkes - alles Flügelschlagen hat keine Vorstellung seiner Ordnung, seiner wirklichen Bedrohungen zur Folge.

Das Bergiselmuseum (BIM) illustriert in bester Form die hiesige Kulturpolitik. Dieses Museum wird nicht nur sehr viele Mittel absorbieren, die in anderen Bereichen dringend nötig wären, es wird inhaltlich wie konzeptionell keine großartige Zukunft haben. Es wird alle wesentlichen Kriterien verfehlen, die heute für innovative Museen gelten. Das Besucheraufkommen wird sich zum größten Teil dem Herdenmanagement verdanken und nicht dem Interesse von Menschen daran, genau dieses Museum zu sehen. Wo wie hier Inhalte dünn sind, da werden Graphiker und Architekten wirkungsvolle Oberflächen schaffen. Ideen der Vergangenheit werden ihre zeitgemäße Verpackung finden. Vergangenheit wird bemüht, diese wird aber nicht hinterfragt, sondern einer Anästhesierung wie Ästhetisierung unterzogen werden. Mit wesentlich weniger Mitteln hätte sich ein innovatives und nachhaltiges Projekt entwickeln lassen, welches nicht nur Maßstäbe setzen hätte können, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus gewirkt hätte. Statt Inhalte Verpackung und Oberflächen, statt Prozessorientierung vorverdaute Kost; und wie könnte es anders sein: Der Gastbetrieb soll als "gehobenes Selbstbedienungsrestaurant" geführt werden. Jene, die sich dieses Museum in den Kopf gesetzt haben, gehen leichtfertig mit öffentlichen Geldern um. Während hier Geld buchstäblich zum Fenster hinausgeworfen wird, soll gerade in den innovativen Bereichen, für die ohnehin nur sehr wenig Geld zur Verfügung steht, gespart werden.

Ich vermisse auch bei Kulturschaffenden eine differenzierte Diskussion. Einig sind sich die meisten ja nur dann, wenn gekürzt wird. Dabei wären aus guten Gründen viele Zuwendungen in Frage zu stellen. Welchen Sinn sollten im Zeitalter des Internets etwa noch Katalogförderungen machen? Diese ließen sich sofort einsparen. Zeitgenössische Literatur wird man zweifellos fördern müssen. Man muss aber genau hinschauen. Heute leben eine Reihe von Verlagen von vorfinanzierten Büchern. Sie müssen sich gar nicht anstrengen, Bücher zu verkaufen. Von solchen Büchern haben Autoren in der Regel nichts. Man müsste Verlagsförderungen evaluieren. Und sollte sich herausstellen, dass ein Verlag nur eine bessere Kopieranstalt ist und die Bezeichnung Verlag nicht verdient, dann dürfte er nicht mehr gefördert werden. Viele Publikationen wären im Internet ohnehin besser aufgehoben. Kunstankäufe sind ein weiteres Beispiel. Man braucht nur einmal durch die Gänge des Tiroler Landhauses zu gehen, um sich davon zu überzeugen. Es findet sich kaum ein Bild, das in zwanzig Jahren auch nur irgend jemand haben wird wollen. Die öffentliche Hand muss diese Arbeiten verwalten, letztlich irgendwo deponieren. Man kann sich die Frage stellen, ob Lesungen in der klassischen Form heute noch sinnvoll sind. Las in den frühen 1970er Jahren H. C. Artmann im Stadtsaal, war dieser bis auf den letzten Platz gefüllt. Würde er heute lesen, dann würde er bestenfalls einen kleinen Raum füllen. Nicht nur die Zeiten haben sich geändert, sondern auch das Rezeptionsverhalten ist ein anderes. Warum sollte man sich nicht neue Formen der Literaturvermittlung ausdenken? Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Wie auf politisch-bürokratischer Ebene mangelt es auch unter Kulturschaffenden an einer wirklichen Diskussion. Wer nimmt schon Stellung gegen teure und lächerliche Projekte, die auf Kreisverkehrsinseln stehen und nur der Behübschung dienen? Es würde sich ja lohnen, solche Projekte in der zeitlichen Distanz von etwa zwei oder drei Jahren zu diskutieren. Wer kritisiert schon eine Hochglanzkulturzeitschrift, die keine Leser kennt und die sich nur um die Achse einiger Personen dreht? Man will es sich mit niemandem verderben, ist man doch darauf angewiesen, da und dort etwas unterzubringen. Es bedürfte wieder einer kritischen Auseinandersetzung mit künstlerischen und literarischen Arbeiten.

In den Klagen zu den Budgetkürzungen wird allgemein von Künstlern, Schriftstellern oder Kulturschaffenden gesprochen. Tatsächlich liegen die jeweiligen Interessen und Positionen sehr weit auseinander. Man denke an die Interessen von Kulturschaffenden und Kulturdienstleistern. Kulturdienstleister verstehen sich in der Regel auch als Kulturschaffende, haben zumeist nicht die geringste Mühe, jene zu erbärmlichsten Bedingungen zu engagieren, die die eigentliche Arbeit machen, während ihr eigenes Gehalt pünktlich auf dem Konto liegt. Im Moment grassieren 500-Euro-Projekte. Ich habe mich schon öfters gefragt, warum man nicht zu einem 380- oder 650-Euro-Projekt eingeladen wird. Die Arbeits- und Einkommensbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Autoren, die über eine feste Anstellung verfügen, lassen sich nicht in einen Topf werfen mit Autoren, die gezwungen sind oder sich aus welchen Gründen auch immer dafür entschieden haben, freiberuflich zu arbeiten. Man kann Autoren, die in bester Form den aktuellen Markt bedienen, nicht mit Autoren vergleichen, die sich oft aus guten Gründen gegen die Regeln des Marktes verhalten. Was hat ein Künstler, der hübsche Bilder für Schlafzimmer und Zahnarztpraxen malt, mit einer Künstlerin gemein, die ihre Arbeit als Feldarbeit, als Intervention, als Experiment oder etwas Ähnliches versteht?

Man darf allein deshalb nicht in ein indifferentes Klagegeschrei verfallen, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der alles und jedes gefördert sein will, wo zahllose Gruppen mit der Behauptung, unverzichtbare Arbeit zu leisten, Ansprüche geltend machen, von der Medizin über den Sozialbereich bis hin zu Kunst und Kultur, wobei freilich festzuhalten ist, dass Künstler ihre Interessen viel schwerer durchzusetzen vermögen als etwa Ärzte. Förderungen können auch kontraproduktiv sein, was sich am Beispiel der heutigen Landwirtschaft sehr gut zeigen ließe. Die öffentliche Hand hat nicht all das zu finanzieren, was von sich behauptet, Kunst oder Kultur zu sein. Kunst für sich allein genommen bildet keinen Wert an sich. Wert kann sie erst durch ihre jeweilige Bedeutung im gesellschaftlichen Kontext erhalten. Auch wenn es gute Gründe gibt, mehr Geld in die Bereiche Kunst und Kultur zu investieren, bedeutet dies noch lange nicht, dass man alles und jedes fördern soll. Nur deshalb, weil wir uns Künstler oder Autoren nennen, stehen uns nicht automatisch öffentliche Förderungen zu. Ich habe nichts gegen die Unterstützung von Künstlern und Autoren, die aus welchen Gründen auch immer in eine prekäre finanzielle Situation geraten sind. Aber in der Regel können Gelder nicht Personen gelten, selbst dann nicht, wenn sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern nur Projekten, die auf diese oder jene Weise gesellschaftsrelevant sind.

Nicht unerwähnt sei, dass ich wiederholt mit Veranstaltern zu tun hatte, die mit öffentlichen Geldern höchst ungenau umgingen oder umgehen. Viele Besucherstatistiken sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Da finden sich "Beiräte", die bei genauerer Betrachtung nur der Bedeutungsaufladung dienen, höchst fragliche Vereinskonstruktionen. Ähnliches ließe sich auch für viele andere Bereiche sagen. Allgemein herrscht die Haltung, hat man das Geld einmal, dann hat man es, dann geht es nur noch um eine der Verwaltungslogik entsprechende Abrechnung. Man erhält Geldmittel zwar von Kulturabteilungen, aber es sind öffentliche Gelder, die sich der Arbeit von Menschen verdanken, wodurch sich eine besondere Verpflichtung ableitet, ganz gleich, ob es sich um ein Projekt wie das Bergiselmuseum, fragwürdige Landesausstellungen oder um eine Lesung in einer Gemeindebücherei handelt. Vor Jahren habe ich während eines Konfliktes mit einer Kulturbehörde dieser vorgeschlagen, ihr Amt mit all den unreflektierten Selbstverständlichkeiten einer künstlerischen Intervention zu unterziehen. Der Amtsleiter verstand mich nicht. Ich fürchte, die wenigsten Kulturschaffenden würden es verstehen, wenn man mit Hilfe eines Kunstprojektes ihren Umgang mit öffentlichen Geldern untersuchen würde. Es herrscht die Haltung vor, Geld sei Geld und Kunst sei Kunst. Man darf das eine vom anderen nicht trennen, so oder so nicht. Man muss sich mit Ökonomie und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen. Haltung ist gefordert.

Wenn Kulturschaffende ungenau sind, ungenau argumentieren, dann vergeben sie sich die Chance, jene Ungenauigkeiten zu benennen, die in der Kulturpolitik und Kulturbürokratie die Regel sind. Ich habe konsequent nur für Projekte angesucht, von denen ich überzeugt war, dass sie von öffentlichem Interesse sind. Ich habe es mir auch angewöhnt, an die fördernden Stellen nicht nur eine Abrechnung zu schicken, sondern jeweils einen knappen Endbericht, in dem ich das jeweilige Projekt so weit wie möglich einer kritischen Beurteilung unterziehe, etwa anmerke, dass ich es aus diesen oder jenen Gründen als nicht sinnvoll erachte, ein Festival weiter zu beschicken. Auffallenderweise wussten oder wissen die wenigsten, die in Kulturabteilungen tätig sind, damit etwas anzufangen. Sie begnügen sich mit der Bearbeitung oft sinnloser Belege und Rechnungen.

Da meine Projekte von einer Kulturabteilung immer wieder unterstützt wurden, bot ich an, sagen wir einmal als Dank, am Ende eines durchgeführten Projektes eben dieser Behörde einen Koffer mit Objekten, Fotos, Ton- und Textdokumenten zusammenzustellen und zu schenken. Ich dachte an Materialien, die vielleicht in fünfzig Jahren für eine Sammlung oder eine Ausstellung von Bedeutung sein könnten. Ich knüpfte diese "Schenkung" an zwei Auflagen. Das Amt möge mir eine Institution nach seinem Gutdünken nennen, Heimatmuseen ausgeschlossen. Dann dürfe der Koffer erst in fünfzig Jahren geöffnet werden, also zu einem Zeitpunkt, an dem ich längst tot sein werde. Der Inhalt des Koffers hätte ein Vielfaches jenes Betrages ausgemacht, für den ich angesucht hatte. Von einigen Objekten hätte ich mich höchst ungern getrennt. Ich hätte noch einen Brief an jene Menschen beigelegt, die in fünfzig Jahren den Koffer öffnen würden. Das angesuchte Geld wurde mir bewilligt, doch zu meinem Erstaunen wurde der Koffer mit keiner einzigen Zeile erwähnt. Die Idee wurde wohl als zu umständlich erachtet, hätte wohl auch die bürokratische Ordnung gesprengt. Wäre ich Kulturamtsleiter oder Museumsdirektor, mich würde ein solches Angebot in höchste Freude versetzen, selbst dann, sollte sich in fünfzig Jahren herausstellen, dass der Koffer nur mit Zeitungspapier gefüllt wurde.

Von mir entwickelte Überlegungen haben Eingang in die Fremdenverkehrswerbung, in die Vermarktung regionaler Produkte, in die Gestaltung von Ausstellungen und so fort gefunden. Zitate finden sich in unterschiedlichsten Drucksorten. Das ist zwar erfreulich, aber man verdient damit keinen Cent. Wie viele andere leiste ich so etwas wie Grundlagenforschung in Sachen Ästhetik, erbringe also Leistungen, die genaugenommen von der öffentlichen Hand finanziert werden müssten, die aber heute wie vieles andere von Personen erbracht werden, die zumeist in prekären Verhältnissen leben. Wer sich mehr oder weniger abseits vom Markt mit ästhetischer Grundlagenarbeit befasst, hat es schwer, aus öffentlichen Mitteln entsprechend unterstützt zu werden. Solche Tätigkeiten werden in der Regel als eine Art Privatinteresse abgetan. Es ließe sich einfach zeigen, dass gerade von solchen Projekten immer wieder wichtige Impulse ausgehen, man denke etwa an den Bereich neuer Medien.

Öffentliche Gelder garantieren keineswegs, dass die Arbeit Einzelner erfolgreich oder zu einem späteren Zeitpunkt von Bedeutung sein wird. Dies gilt übrigens auch für die unvergleichlich höheren Ausgaben im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Forschung. Es geht nicht um einzelne Personen, es geht um die Anerkennung von Arbeiten, die für diese Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Wer auch immer einen Antrag an eine Kulturabteilung stellt, wird zu einem Bittsteller gemacht. Das ist eine groteske Missachtung jener Leistungen, die Kulturschaffende für die Allgemeinheit erbringen - und die sie oft noch zum größten Teil selbst finanzieren. In diesem Bereich wird nicht wirklich gefördert, im Gegenteil. Man betreibt mit Hilfe bürokratischer Hürden und einer oft nahezu verächtlich anmutenden Unterdotierung eine Art "Cooling Out", zweifellos in der Hoffnung, den einen oder anderen Bittsteller fern zu halten. Förderungen in diesem Bereich sind letztlich als Abschlagszahlungen zu betrachten, damit die Leute, die ansuchen, nicht allzu lästig werden.

Dieser demotivierende Umgang hat vor allem für junge Künstlerinnen und Künstler fatale Auswirkungen, aber noch schwerer wiegt, dass die Gesellschaft ein höchst vitales Potenzial einfach brachliegen lässt. Kaum ein Kulturpolitiker versteht, dass die Zukunft weniger in neuen Produktinnovationen oder in noch mehr Angeboten der Tourismuswirtschaft, sondern in Investitionen in wirkliche Bildung - also eine Bildung, die nicht nur wie das heutige Bildungssystem in einem Schnellsiedeverfahren in die Vermittlung instrumenteller Techniken investiert - und in Investitionen in Kultur und Soziales liegen wird. Nicht in das Potenzial junger Künstler und Künstlerinnen zu investieren und diese zumeist mit lächerlichen Beträgen abzuspeisen, ist eine wahnwitzige Verschwendung. Viele von ihnen leben in andauernden Prekariaten, mehr noch, sie sind oft genug gezwungen, eigene Projekte durch schlecht bezahlte Arbeit zu finanzieren.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich jeder bedient, so gut es eben möglich ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich nahezu alle betrogen fühlen, in einer Gesellschaft, die keine Vorstellung von einem Gemeinwesen und den damit verbundenen Verpflichtungen kennt. Wie sollte es eine solche auch noch geben, haben wir uns doch längst vom Bürger zum Kunden gewandelt! Hinzu kommt, dass in Zeiten geforderter Budgetkonsolidierung schamlos umverteilt wird, ausgerechnet jene zur Kasse gebeten werden, deren Ressourcen im Zuge einer umfassenden Ökonomisierung menschlichen Lebens schon bisher systematisch zerstört wurden. Krisenbewältigung ist nicht mehr länger eine politische Frage, sondern fällt heute in die Zuständigkeit zahlloser Defizitberater. Bauern sind da ein gutes Beispiel. Die von ihnen betriebene Landwirtschaft lebt von administrativen Vorgaben und Förderungen. Würde etwa das Verfüttern von Altpapier an Kühe gefördert, die meisten würden wohl umstellen. Förderungsberater lassen den Einzelnen glauben, er könne sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Förderungsberater finden sich heute auch im Kulturbetrieb. In Seminaren, die natürlich etwas kosten, können angehende Künstler lernen, wie man Förderanträge stellt. Dabei wäre es hundertmal sinnvoller, über Ökonomie oder den radikalen Wandel unserer Gesellschaft zu diskutieren. Nicht politische Partizipation ist gefragt, sondern die endgültige Verwandlung des Einzelnen in einen Kunden, der seine Unterwerfung konsumiert.

Ich habe folgendes Experiment gemacht: Ich nahm mir vor, zwei Monate lang täglich nur von drei Euro zu leben, Wohnung und andere Fixkosten ausgenommen. Man kann sich tatsächlich von drei Euro ernähren. Doch das Dumme an der Sache: Man ist nur noch mit Konservendosen und Ähnlichem beschäftigt, man kommt nicht mehr zum Denken, man kann nicht mehr arbeiten, wobei noch hinzuzufügen wäre, dass künstlerische Projekte in der Regel mit hohen Nebenkosten verbunden sind. Das Experiment hat mir noch etwas anderes deutlich gemacht: So zu leben zehrt am Selbstwertgefühl, interessanterweise selbst dann, wenn man jederzeit die Möglichkeit hätte, es abzubrechen. Man darf nicht vergessen, Teilhabe ist in unserer Gesellschaft zu einem wesentlichen Teil an Konsum gebunden. Übrigens bedurfte dieses Experiment wie viele meiner anderen Experimente keiner Unterstützung aus irgendwelchen Kulturbudgets.

Andauernde Prekariate lassen sich etwa am Zahnstatus oder an bestimmten Krankheitsbildern wie Erschöpfungszuständen oder Panikattacken ablesen, auch an der Lebenserwartung. Was die Lebenserwartung von Autoren und Künstlern betrifft, liegen mir keine genauen Statistiken vor, dagegen kann ich mit Sicherheit sagen, dass sich der Zahnstatus von Künstlerinnen und Autorinnen, deren Einkommenssituation über lange Zeit prekär ist, negativ von der Durchschnittsbevölkerung abhebt. Wer nicht richtig versichert ist, der meidet den Zahnarzt. Sind die Zähne in einem schlechten Zustand, dann kommt Scham hinzu, somit die Tendenz, den Zahnarztbesuch noch länger hinauszuschieben. Und geht man dann endlich zum Zahnarzt, dann sagt dieser, die Zähne und die Einkommenssituation betrachtend (die meisten denken es sich nur): Bei Ihnen lohnt es sich nicht. Schlechte Zähne sind dem Wohlbefinden wie dem erfolgreichen öffentlichen Auftritt höchst abträglich. Wer schlechte Zähne hat, verliert an Selbstsicherheit, nicht anders als eine Katze, die einen Reißzahn verloren hat.

Um diesen Fragen nachzugehen, legt das HIDDEN MUSEUM eine Sammlung von ausgebrochenen Zähnen an, nicht viel anders, als dies Goethe mit seiner Sammlung "krankhaften Elfenbeins" gemacht hat. Sollten Sie als Künstler oder Künstlerin, als Schriftsteller oder Schriftstellerin über einen oder mehrere ausgebrochene Zähne verfügen, die Sie in einer Ihrer Schubladen aufbewahren, stecken Sie diesen oder diese in einen wattierten Briefumschlag und schicken Sie ihn mit einigen Notizen an das HIDDEN MUSEUM. Die eingegangenen Zähne werden in nummerierten Petrischalen mit einem Durchmesser von 8 cm archiviert. Namen werden keine festgehalten. Wer will sich schon von verlorenen Organen trennen? Nehmen Sie sich Roland Barthes zum Vorbild, der die bei einer Operation entfernte Rippe, eingeschlagen in ein Tüchlein, lange in seinem Schreibtisch aufbewahrte, dann aber doch eines Tages durch das Fenster auf die Straße warf.

Bernhard Kathan, 2011

[ zur Startseite ]