Ein Crashkurs für die Kreidefresser





”Ich ging weiter und kam zu einer Gruppe von Menschen, in deren Mitte eine gestikulierende Frau stand, die schon seit einer Viertelstunde allen Leuten erzählte, dass hier eben eine Jüdin gewesen wäre, die gesagt hatte: “Das ist [Hitlers] Werk“, wobei sie auf die Flüchtlinge wies. “No und es habt“s de furt lassen!“ - “Aus der“a g“hert a Krenfleisch gmacht!“ - “A so eine Gemeinheit! Und da lasst ma den Juden no sechs Monat Zeit, bis dass alles verkauft ham und verschochert!“ - “Viel zu guat wird mit denen umgegangen!“ - So schrien die Umstehenden durcheinander. Ihr Mann war ja auch dabei, hörte ich von einer anderen Gruppe. Und überall, wo ich hin kam und wo ich hinhörte, traf mich der Ruf: “Das ist [Juden]werk!“. Um diesen Satz herum standen aufgeregt Menschen und machten ihrer Empörung darüber Luft. So brüllten sie wieder: “Haut“s ihn nieder, pfui, haut“s ihn nieder, pfui!“. Ich weiß nicht, was jetzt los war. Die Jüdin wurde gleich verhaftet und sie und ihr Mann furchtbar geschlagen. “Dort werdn“s ja bestimmt a no g“haut“, hofften die meisten. “Das ist [Juden]werk!“ - Ich bin schon rings herum um den Franz-Josefs-Bahnhof und noch immer dreht sich alles um diesen Satz. Mir ist es bang. Ein Albdruck lastet auf mir.”
Tagebucheintragung von Maria Letfuhs, 24.9.1938

”Alle Muslime, die nach Österreich kommen, [müssen] zu einem Besuch in die KZ-Gedenkstätte verpflichtet werden.” So die Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Kurz pflichtet ihr bei: ”Der Antisemitismus ist bei einigen Menschen aus der Türkei und dem arabischen Raum besonders stark, daher ist der Vorschlag nach einem verpflichtenden Besuch eine richtige Maßnahme, die wir diskutieren sollten”, um dann noch hinzuzufügen, Hass dürfe in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, egal, aus welcher Ecke er komme.
Das ist, nicht zuletzt den Opfern gegenüber, an Niedertracht und Geschichtsvergessenheit kaum noch zu überbieten. Aber es ist sehr praktisch, die dunklen Seiten unserer Vergangenheit jenen aufzubürden, die man los werden möchte, davon abzulenken, dass wir eine Regierung haben, die sich, was Muslime und andere betrifft, selbst zahlloser Stereotypen bedient und regelmäßig an niedere Instinkte appelliert, dass eine der Regierungsparteien tief im NS-Sumpf verwurzelt ist. Man würde doch gerne Näheres wissen, wie solche Wertekurse für Muslime in Mauthausen durchgeführt werden sollen. In türkischer, arabischer oder deutscher Sprache? Tragen die Museumspädagogen Lederhosen, treten die Museumspädagoginnen im Dirndl auf? Was soll vermittelt werden? Von wem? Um solches drücken sich die Kreidefresser, sie belassen es bei Sprechblasen, die sie allwöchentlich in die Luft setzen, geht es doch nur darum, Stimmung zu machen und Niederträchtiges zur Gewohnheit.
Man sollte in Mauthausen Crashkurse für Kreidefresser anbieten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, etwas vom Wesen Mauthausens, um das sie in der Regel einen großen Bogen machen, zu vermitteln. Hätten sie sich auch nur mit dem Schicksal eines einzelnen Häftlings, und sei es eines Kleinkriminellen, der in die Mühlen Mauthausens geriet, beschäftigt, sie kämen nicht auf solche Ideen und würden anders sprechen. Würden sie einen solchen Crashkurs absolvieren, so betrachteten sie die Welt mit anderen Augen. Aber das steht nicht zu befürchten.

© Bernhard Kathan, 2019

Das Tagebuchzitat ist entnommen: Bernhard Kathan, ”... alles eine Fortsetzung von Dachau und Mauthausen.” Die Briefe des österreichischen Publizisten Nikolaus Hovorka. new academic press, Wien 2018.
Überhaupt fehlt es an Gegenlektüren. Deshalb sei verwiesen auf: Pankaj Mishra, Das Zeitalter des Zorns, S. Fischer 2017.
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