H Z W E I O



Blaue Maischetonnen mit einem Fassungsvermoegen von je zweihundert Litern hängen am Speicherhaus II des Tiefspeichers hinter der Alten Hofmühle, direktem Sonnenlicht ausgesetzt. Jedes der Fässer enthält ungefähr hundert leere PET-Flaschen, leicht zusammengedrückt und wieder hermetisch verschlossen. Sie dehnen sich mit zunehmender Temperatur aus und ziehen sich zusammen, wenn die Umgebung abkühlt, und erzeugen so eine Vielzahl von leisen Klick- und Plopp-Geräuschen. Mikrofone nehmen diese Klänge auf und übertragen sie an Lautsprecher im öffentlichen Raum.
Nun ist es so, dass oft genug gar nichts zu hören ist. Das lässt sich physikalisch leicht erklären. Bei konstant bleibenden Temperaturen dehnen sich PET-Flaschen weder aus, noch ziehen sie sich zusammen. Es kommt also weder zu einem Druckanstieg, noch zu einem Druckabfall. Ganz einfach. All das lässt sich auch poetischer betrachten. Sagen wir einmal, die Töne würden sich Geistern verdanken. Allerdings vermögen nur noch wenige Geisterstimmen zu hören. Und da Geister ohnehin im Abnehmen, im Schrumpfen begriffen sind, sie sich leiser und leiser bemerkbar machen, ist es nur zu verständlich, ist nichts zu hören.

Wie auch immer, wir haben es mit einer modellhaften Anordnung wiederkehrender Abläufe, die mit einem Ausdehnen und Zusammenziehen einhergehen, zu tun. Diesbezüglich wären unendlich viele Beispiele zu nennen. Man schaue sich einmal den Motorikpark ® Hollabrunn an, an dessen Rand sich die Installation befindet. Auch hier haben wir es mit einem tageszyklischen Füllen und Leeren zu tun. Auch das Wetter spielt eine gewisse Rolle. Am Vormittag und am frühen Nachmittag tollen Schulklassen herum. Verschwinden diese, sind eher ältere Menschen zu sehen, Großmütter mit Kleinkindern, gegen Abend Menschen mit Migrationshintergrund, die sich mit ihren Kindern erst jetzt halbwegs sicher oder wohl fühlen. Und schließlich seien jugendliche Pärchen und Grüppchen nicht vergessen, die ganz ihrem Alter entsprechend auf irgendwelchen Geräten und Bänken herumlümmeln. Liegt der Motorikpark ® verlassen da, sind Amseln, die nach Würmern und Insekten picken, auf den Rasenflächen zu beobachten. Würde man das Geschehen über Wochen hinweg mit einer fix montierten Kamera im Zeitraffer dokumentieren, der mechanische Ablauf wäre unübersehbar. Auch Hollabrunn als Stadt lässt sich als Beispiel nennen. Auch da ist ein ständiges Füllen und Leeren zu beobachten, wobei festzuhalten ist, dass wir es mit Hollabrunn im wahrsten Sinn des Wortes mit einer autogerechten Stadt zu tun haben. Menschen auf Fahrrädern sind eher die Ausnahme. Wirkliche Radwege gibt es nicht. Man kann jeden Weg mit dem Auto zurücklegen. Mühelos findet man einen Parkplatz. Der Motorikpark ®, manche der Geräte sind klug ausgedacht, dient der Gesundheitsförderung. Etwas übertrieben gesagt gilt es der Passivität automobilischer Fortbewegung etwas entgegenzusetzen. Sitzt man in einem der Cafés am Stadtplatz, so fühlt man sich in die 1960er Jahre versetzt. Dieselbe Geräuschkulisse. Natürlich ist der Flächenverbrauch enorm. Die sich ausdehnende Stadt hat wiederum mehr Autoverkehr zur Folge. Solche Beobachtungen wie vieles andere drängten sich mir während der Arbeit an diesem Projekt auf, nicht nur der Parallelen wegen. Solche "Installationen" machen ja nur Sinn, beschäftigt man sich mit dem Raum selbst, in Hollabrunn etwa mit dem Motorikpark oder der Stadt. Das Interessante ist nicht die Installation an sich, sondern all das, was sich im Zuge eines solchen Projektes abspielt. Es geht ja nicht darum irgend etwas aufzustellen, irgend einen Platz durch Kunst zu behübschen, sondern durch gezielte Eingriffe Raum neu zu denken. Und gelingt es einem nach absurdesten Widerständen Mitarbeiter der städtischen Wasserwerke für das Projekt zu gewinnen, dann ist einiges geschafft.

Ich war viel unterwegs, und zwar zu Fuß. Um ein wirkliches Stadtporträt zu machen, bräuchte ich ein halbes Jahr. Oft genug musste ich an Marie Jahoda denken. Was fiele ihr auf? Ganz gewiss würde sie sich mit Tattoos beschäftigen. In großen Lettern prangte über den Brüsten einer Kellnerin: "Sick of the World." Im Nacken eines dünnen Mädchens stand zu lesen: "Fuck you". Ohne jeden Zweifel würde sich Marie Jahoda mit Grillautomaten beschäftigen, von denen nicht wenige einen geradezu altarmäßigen Eindruck machen. Oder mit all den Vorrichtungen, die der Abgrenzung von den Nachbarn dienen. Mit dem Bach, der in ein enges Korsett gezwängt, als stinkendes Rinnsal die eine Seite der Stadt von der anderen trennt. Mit Träumen, Wünschen oder zahlreichen Verwerfungen. Warum nicht mit Geistern und Gespenstern, von denen es wie an anderen Orten gewiss hier auch viele gibt, mögen sie nur noch durch wispern auf sich aufmerksam machen oder bereits gänzlich verstummt sein. Hollabrunn hat schöne Seiten. Man kann ausgedehnte Spaziergänge durch Weinberge oder Eichenwälder machen. Mag es an einer wirklichen Raumplanung fehlen, so ist doch das eine oder andere tolle Bauwerk zu nennen, etwa die von Helmut Leierer 1975 errichtete Sporthalle, deren Konstruktion heute noch besticht.

Martin Breindl und Bernhard Kathan, H Z W E I O eine generative ökologische Klanginstallation am Wasserspeicher in Hollabrunn, ein Projekt im Rahmen des Viertelfestival NÖ Weinviertel 2022 SA 21. 5. - SO 14. 8. 2022 | 2020 Hollabrunn, Mühlenring 2, Wasserspeicher Alte Hofmühle/Museum

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