„Denken tut er was ganz andres, i seh’s ihm eini“
Melkerinnen, milchspritzende Melkerinnen, schleckende und böse Kühe – urbane
Projektionen
„Sobald César losgebunden war, ging er langsam hinaus. Aber sofort blieb er
stehen, gleichsam überrascht von der frischen Luft und dem hellen
Tageslicht; und er verharrte eine Minute reglos, erstarrt, nervös den
Schwanz schwenkend, den Hals geschwellt, das Maul vorgestreckt und witternd.
Ohne sich zu rühren, wandte ihm die Coliche, heiser brüllend, ihre großen,
starren Augen zu. Da ging er vor, preßte sich an sie und legte mit einem
kurzen und derben Druck den Kopf auf ihre Kruppe; seine Zunge hing heraus,
er schob den Schwanz beiseite, leckte bis zu den Schenkeln; sie ließ ihn
gewähren und bewegte sich immer noch nicht, nur die Haut kräuselte sich
unter einem Erschauern. Untätig und ernst standen Jean und Françoise dabei.
Und als César richtig aufgelegt war, bestieg er die Coliche mit einem jähen
Sprung, mit einer gewaltigen Schwere, die den Erdboden erschütterte. Die
Coliche hatte nicht gewankt, er umpreßte sie an den Flanken mit seinen
beiden Vorderbeinen. Aber sie, ein Tier aus dem Cotentin und von großem
Wuchs, war so hoch, so breit für ihn, der von weniger kräftiger Rasse war,
daß er nicht zu Rande kam. Er fühlte es, wollte sich vergeblich wieder
ermannen.“ Da der Stier zu klein ist, um die Kuh erfolgreich zu bespringen,
fasst Françoise, ein vierzehnjähriges Mädchen, welches die hitzige Kuh
geführt hat, nach dem Glied des Bullen und führt diesem den Weg: „Und als er
fühlte, daß er am Rande war, raffte er all seine Kraft zusammen und drang
mit einem einzigen Lendenstoß tief in sie ein. Dann zog er wieder heraus. Es
war getan: Der Stoß mit dem Pflanzholz, das ein Samenkorn tief in die Erde
drückt. Standfest und mit der empfindungslosen Fruchtbarkeit der Erde, die
besät wird, hatte die Kuh ohne eine Bewegung diesen befruchtenden Strahl des
Mannestieres empfangen.“
Émile Zola verdanken wir den ersten bedeutsamen Bauernroman. Der Roman Die
Erde beginnt damit, dass ein Stier es nicht schafft, die Kuh „Coliche“ zu
bespringen. In der zitierten Szene wird nicht nur eine Kuh besprungen,
sondern die spätere unglückliche Ehe zwischen dem Mädchen Françoise und dem
Knecht Jean, der den Bullen in den Hof geführt hat, vorweggenommen. Mochte
Zola als Naturalist auch behaupten, die Wirklichkeit abzubilden, so haben
wir es doch mehr mit städtischen und bürgerlichen Projektionen als mit dem
tatsächlichen Leben der ländlichen Bevölkerung zu tun. Franz Blei notierte
in seinem Großen Bestiarium der Literatur (1924) pointiert: „Zola besaß ein
weitläufiges Fabrikgebäude zur Herstellung sozialer Schematismen. Seine
Situationsmaschinen stanzten den Menschen glatt und sauber heraus. Andere
Maschinen, welche die Wahrheit in der Kausalitätsreihe platt walzten, nahmen
die ausgestanzten Menschen auf und setzten sie zu Ensembles zusammen, die
auf einer Versuchsbühne abgerichtet wurden, so natürlich wie die Natur zu
spielen. Ein kleiner Mond aus Silberpapier macht die nötige Sentimentalität.“
Zola sah die Bauern in der Nähe von Tieren. Wie Tiere lebten sie im Schmutz,
sie trieben es wie die Tiere, in Gräben, im Mist zwischen Schafen und Kühen,
auf dem Heuboden, auf Getreidesäcken, in Getreidefeldern. Im Gegensatz zu
den Tieren befinden sich diese in einem Zustand andauernder Hitzigkeit. Bei
Zola sind die Bauern auch dann noch lüstern, haben sie sich sechzehn Stunden
unter praller Sonne zu einem Hungerlohn abgearbeitet: „Eines Abends wurde
seine Qual so schlimm, daß er in den Schafstall schlich und die Frau an
ihren Füßen zwischen ihrem Mann und einem Bruder wegzog, die mit offenem
Mund schnarchten. Ohne Sträuben fügte sie sich. Es war ein stummes, gieriges
Nehmen in der durchglühten Finsternis auf dem festgestampften Boden, der
trotz des gründlichen Ausfegens von der Überwinterung der Hammel einen so
scharfen Ammoniakgeruch zurückbehalten hatte, daß einem die Augen tränten.“
Bei so viel Geilheit erstaunt es nicht, wenn der Mann von Lise versucht,
unmittelbar nachdem diese entbunden hat (eben hat der Tierarzt Coliche ein
all zu großes Kalb stückweise aus dem Leib geschnitten), im selben Raum
deren Schwester Françoise zu vergewaltigen, ein junger Schwachsinniger über
seine neunundachtzigjährige Großmutter herfällt, die darauf hin den Burschen
mit einem Beil erschlägt. Sexualität steht denn auch in einer engen Nähe zum
Tod. Françoise wird unter Mithilfe von Lise (sie hält die Beine des Mädchens
fest) von deren Mann gewaltsam auf einem Feld genommen. In einem plötzlichen
Anfall von Eifersucht stößt Lise ihre Schwester in eine aus dem
Distelgestrüpp ragende Sense. Der greise Vater des Bauern, der das
Verbrechen beobachtet hat, wird von den beiden ermordet. Lise erstickt ihn,
indem sie sich rittlings mit nacktem Hintern, der „Kruppe einer
wassersüchtigen Stute“, auf sein Gesicht setzt. Und da das Bett der beiden
inzwischen kalt geworden ist, „nehmen sie einander wieder, um es warm zu
haben.“ Zola vermochte nicht zu sehen, dass Bauern über viele Jahrhunderte
ihr eigenes Erfahrungswissen, dass sie trotz allen Futterneids zahllose
Regulative des Ausgleichs entwickelt haben. Und zu urbanen Projektionen
fügen sich üppige Phantasien eines Autors, die sich nicht zuletzt um die
Hinterteile sich bückender Feldarbeiterinnen drehen: „... das Gesäß hoch,
den Kopf dicht am Boden, in jener Stellung des Weibestiers, das sich
anbietet.“
An Bauern war Zolas Roman nicht gerichtet. Er dachte an ein städtisches,
bürgerliches Publikum. Liest man den Roman genau, dann erfährt man mehr über
Lebensentwürfe und Sehnsüchte des Bürgertums als über das bäuerliche Leben.
Das war alles andere als neu. Als Beispiel sei Marie-Antoinette genannt, die
sich in ihrem Trianon in einer simulierten Landschaft eine künstliche
Bauernwelt schaffen ließ, mit echten Bauern und echten Bäuerinnen, echten
Kuhmägden mit echten Kühen, Kälbern und Schweinen, Kaninchen und Schafen,
echten Mähern, Schnittern und Schäfern, Jägern, Wäschern und Käsern, damit
sie mähen und waschen und düngen und melken, damit, so Stefan Zweig, „das
Marionettenspiel sich unablässig munter bewege.“ Häuser und Ställe waren mit
Stroh gedeckt, ein Misthaufen durfte nicht fehlen. Und damit all die
Attrappen nicht als solche auffielen, mussten sie alt und morsch,
entsprechend ärmlich wirken. Da ließ man Mörtel abbröckeln, dort wurden
künstliche Risse geschaffen. Dabei waren einige der Häuser, sollte
Marie-Antoinette wieder einmal das Bedürfnis überkommen, sich mit Kühen oder
mit Milch zu befassen, innen mit dem für eine Königin nötigen Komfort
eingerichtet.
„Wenn sie ihre Kühe Brunette und Blanchette im Stall besucht, wird
selbstverständlich von unsichtbarer Hand zuvor der Fußboden wie ein Parkett
geputzt, das Fell blütenweiß und mahagonibraun gestriegelt und nicht in
groben Bauernkübeln, sondern in eigens von der Fabrik in Sevres gefertigten
und mit ihrem Monogramm versehenen Porzellanvasen die schäumende Milch
serviert. [...] Am blauen Bändchen werden Schafe auf die Weide geführt,
unter dem von der Hofdame getragenen Sonnenschirm schaut die Königin zu, wie
an dem murmelnden Bach die Wäscherinnen das Linnen spülen: ach, sie ist so
herrlich, diese Einfachheit, so moralisch und so bequem, alles sauber und
reizend in dieser paradiesischen Welt, so hell und klar hier das Leben wie
die Milch, die aus den Eutern der Kühe hervorsprudelt. Man zieht Kleider an
aus dünnem Musselin, ländlich einfache (und läßt sich darin für ein paar
tausend Livres malen); man ergibt sich unschuldigen Vergnügungen, man
huldigt dem ‚gout de la nature’ mit der ganzen Frivolität der Übersättigung.
Man fischt, man pflückt Blumen, man promeniert – sehr selten allein – durch
die verschlungenen Wege, man läuft über Wiesen, man sieht den braven
Bauernstatisten bei der Arbeit zu, man spielt Fangball, man tanzt Menuett
und Gavotte über Blumen statt auf den glatten Fliesen, man hängt Schaukeln
zwischen die Bäume, man baut ein chinesisches Ringspiel auf, man verliert
und man begegnet sich zwischen den Häuschen und Schattengängen, man reitet
und amüsiert sich und läßt sich vorspielen inmitten dieses natürlichen
Theaters, und schließlich spielt man es den andern vor.“
|
|
|
Man würde nur zu gerne etwas über das weitere Schicksal von
Marie-Antoinettes Kühen Brunette und Blanchette erfahren, wissen, wie die
echten Mägde das Leben in dieser Theaterwelt erlebten. In einem rumänischen
Höfemuseum der Ceausescu-Zeit wurde ähnliches versucht. Die echten Bauern
verheizten wertvolle Museumsstücke oder verkauften diese an Besucher. Das
ist verständlich. Warum in der Vergangenheit leben, werden die Äcker mit
Hilfe riesiger Maschinen bewirtschaftet. Bäuerinnen dieser Museumwelt sollen
sich der Prostitution hingegeben haben. Aber Marie-Antoinette muss sich
tatsächlich für Mich interessiert haben. Immerhin ist eine Milchschale
erhalten geblieben, die ihren Brüsten nachgebildet sein soll.
|
|
|
Das Interesse für Melken und Milch trieb auch andere Frauen, so etwa die
erfolgreiche österreichische Kochbuchautorin Katharina Prato. In ihrer
Haushaltskunde aus dem Jahr 1897 schrieb sie: „Von besonderer Wichtigkeit
ist richtiges Melken, denn wenn es den Kühen Unbehagen verursacht, so
gewöhnen sie sich Unarten an und halten die Milch zurück, was den Ertrag
vermindert. [...] Bei einer geschickten Melkerin stehen die Kühe ruhig und
fressen behaglich fort, während sie bei einer des Melkens Unkundigen unruhig
werden, die Füße aufheben, als ob sie ausschlagen wollten, sich öfters
umsehen und mit dem Schweife herumschlagen. Hat eine Kuh sich solche Unarten
angewöhnt, so kann sie nur durch eine geschickte Melkerin wieder beruhigt
werden. Die melkende Person muß eine noch fremde Kuh zutraulich machen,
indem sie ihr unter freundlichem Zureden und Streicheln ein beliebtes Futter
mit der Hand reicht, z. B. eine Wurzel, oder gesalzene Brotschnitte, oder
Salzlecke, und sie auf sanfte Weise reinigt. Wenn die Kuh mit dem Fuße
schlagen will, so lege man ihr ein in kaltes Wasser getauchtes und wieder
ausgedrücktes Tuch auf den Rücken, oder es hebe ihr eine zweite Person einen
Vorderfuß auf. Vor dem Melken hat sich die Melkerin ein Kopftuch über die
Haare zu binden und die Hände reinzuwaschen und gut abzutrocknen, denn durch
nasses Melken bekommen die Kühe leicht wunde Zitzen; alsdann soll das Euter
mit lauwarmem Wasser und Schwamm gewaschen und mit weicher, alter Leinwand
abgetrocknet werden, was nicht nur der Reinlichkeit wegen zu geschehen hat,
sondern auch weil die Milch dadurch leichter fließt. Die Melkerin setze sich
dann derart zur Kuh, daß sie mit der rechten Hand die hinteren Striche
melken kann und nehme den Melkeimer (welcher jedoch nicht auch zum Waschen
gebraucht werden darf) fest zwischen die Knie; dann walke sie anfangs das
Euter sanft zwischen den Händen, damit die in demselben enthaltene Milch
gemischt werde und dadurch leichter bis zur Neige ausfließt, als wenn die
fette allein zurückbleibt, indem diese sich schwer ausmelken läßt. [...] Das
Melken geschieht, indem man mit der linken Hand einen vordern und mit der
rechten einen hintern Strich erfaßt und dabei mit Daumen und Zeigefinger
oben sanft an das Euter stoßt, worauf die Hände die in die Striche rinnende
Milch ausdrücken, indem sie selbe öffnen und wieder schließen, wobei aber
die Striche nicht gezogen werden dürfen. [...] Als Beweis von geschicktem
und kräftigem Melken dient der Schaum im Milchsechter.“ Es ist anzunehmen,
daß Katharina Prato nie auf einem Melkschemel saß. Sie hat wohl nie ihren
Kopf in die Seiten einer Kuh gedrückt, um zu spüren, wie sich die
Atembewegung dieses großen Tieres auf den eigenen Körper überträgt. Nie hat
sie jenen Zorn erlebt, der einen überkommt, wenn die Kuh in den Melkkübel
tritt.
|
|
|
Katharina Prato weist den Augen der Tiere eine besondere Bedeutung zu. Nach
dem Striegeln sollen die Augen und die nicht behaarten Teile des Rindviehs
täglich gewaschen werden. Traurige Augen zählen zu den ersten Anzeichen
einer Krankheit. Bedenklich ist der Ausfluß von Tränen. Beim Durchfall des
Kalbes fügen sich zur wässrigen Entleerung trübe Augen, Traurigkeit und eine
schwärzlich belegte Zunge. Neben einem breiten Euter, großen Milchadern und
einer knochigen Gestalt gilt besonders ein sanfter Blick als Zeichen einer
guten Milchkuh. Eine gute Milchkuh lasse sich gerne schmeicheln. Die
Aufmerksamkeit der Hausfrau gilt dem Melken, dem Gebären, dem Eierlegen und
Ausbrüten der Kücken, der Darmtätigkeit mit ihren Störungen wie Durchfall
oder Verstopfung. Kommen die Ferkel auf die Welt, nimmt die Viehmagd diese
dem Muttertier sogleich weg und wäscht sie mit lauwarmem Wasser, legt sie
zwischen warme Tücher auf geschnittenes Stroh und gibt sie erst dann an die
Zitzen der Muttersau, wenn diese ihren Darm entleert hat. Geschieht dies
nicht bald, so wird ihr in Wasser aufgelöstes Glaubersalz verabreicht. Die
Darmtätigkeit der Tiere wird reguliert durch die Eingabe von Kamillentee
oder Einbrennsuppen mit gestoßenem Kümmel. Zur Förderung der Verdauung wird
eine Messerspitze voll Spießglanz empfohlen, zum Abführen Glaubersalz. Und
wie dem Kranken wird dem Kalb eine halbe Tasse gezuckerter, warmer Rotwein
oder Kamillentee verabreicht; nicht zu vergessen ein Klistier vom gleichen
Tee. Bildlich sähe die Szene aus wie folgt. Die Köchin verabreicht dem Kalb
mit den traurigen Augen ein Klistier.
|
Warum beschäftigt sich Katharina Prato mit dem Melken der Kühe, wenn diese
Tätigkeit ohnehin Knechten und Mägden überlassen werden soll, die über das
entsprechende praktische Wissen verfügen? Jene Stellen, in denen sie
ausführlich wird, haben allesamt mit Sexualität zu tun. Offensichtlich
quillt all das über, was an anderer Stelle so sehr beschnitten werden muss.
Hätten ihre Bücher nicht so hohe Auflagen erreicht, so ließe sich ihr
Interesse für das Melken als Ausdruck eines etwas bizarren Charakters
verstehen.
In ihren Anweisungen zum richtigen Melken scheint das Euter der Kuh
austauschbar mit den Brüsten der Frau. Es fällt nicht schwer, statt der Kuh
eine Frau zu denken, die, an den falschen Mann geraten, unruhig und
ängstlich wird, mit ihren Augen nach einem Fluchtweg sucht. Der Angst vor
der Berührung entspricht das freundliche Zureden, Streicheln, das beliebte
Futter. Wie die melkende Person die Kuh, so soll sich der Mann die
ängstliche Frau zutraulich machen. Sollte eine Kuh trotz allen guten
Zuredens widerspenstig bleiben, so helfe nur ein nasses kaltes Tuch auf dem
Rücken. In schwierigeren Fällen könne eine zweite Person eines der vorderen
Beine hochheben. Auch wenn alle Grobheiten vermieden werden sollen, so kann
kein Zweifel daran bestehen: Wie die Kuh hat sich auch die Frau in ihr
Schicksal zu fügen und alles passiv über sich ergehen zu lassen. Wenn das
Euter schon so sorgsam behandelt sein will, um wieviel mehr muss dies für
die weiblichen Brüste gelten, ist deren Haut doch viel zarter. Das Kuheuter
sollte mit körperwarmem Wasser gewaschen und abgetrocknet werden. Das Euter
erlaube nur eine sanfte Berührung, ein sanftes Kneten, Massieren oder
Drücken. Wir haben es mit einem Kippbild zu tun. Hinter der Angst vor dem
Durcheinander der Sexualität verbirgt sich das große Bedürfnis danach.
Katharina Prato erwähnt mehrfach, welche Tiere sich zur Zucht eignen und
welche nicht. Den Vorgang des Deckens beschreibt sie aber an keiner Stelle.
|
|
|
Schaut man sich historische Postkarten an, auf denen Kühe zu sehen sind,
dann stechen folgende Motive heraus: melkende Frau, melkende Frau, die einem
Mann aus einer Zitze Milch ins Gesicht spritzt, schleckende Kühe,
angriffslustige Kühe. Die sexuellen Konnotationen, meist handelt es sich um
Scherzpostkarten, sind nicht zu übersehen. Melkende Männer kommen so gut wie
nicht vor. Dabei fiel das Melken trotz aller regionalen Unterschiede zumeist
in den Aufgabenbereich von Männern: „Beim Melken bedienen sich die Sennen
eigenthümlicher Melkschemmel, welche nur einen Fuß in der Mitte des
Sitzbrettes, mit eiserner Spitze haben und vermittelst eines Riemens
umgeschnallt werden. Man hat in vielen Wirthschaften Deutschlands jetzt
ähnliche Schemmel und es sieht fast lächerlich aus, wenn der Senn von einer
Kuh zur andern mit umgeschnalltem Melkschemmel geht, wobei der Fuß desselben
mit seiner Spitze wie ein Schwanz hinten wegsteht.“ So Otto Wendt in seinem
Familien-Lexikon aus dem Jahr 1863.
Auf den erwähnten Postkarten findet sich immer wieder eine Gleichsetzung von
Kuh und Frau, Brust und Euter. Das machen bereits viele Redensarten
deutlich. Eine dumme Kuh meint eine dumme Frau. Von einer aufgedonnerten
Frau sagt man, sie stolziere einher wie eine bunte Kuh. Eine Kuh kaufen:
Brautwerbung, die einem Handel gleicht. Die Kuh mitsamt dem Kalb kriegen:
ein schwangeres Mädchen heiraten. In der Nacht sind alle Kühe schwarz: In
der Nacht sind alle Frauen gleich. Von einer ungeschickten Frau heißt es:
Was hilft's, wenn d' Chueh vil Milch git, wenn sie de Chübel wider umstoßt?
Über eine Frau, die ihre Mitgift selbst verbraucht: Was hed mer vonere guete
Chue, wenn sie d Milch sälber suuft? Die Entwicklung vom Mädchen zur Frau:
Wenn a Kalb en d Fremde goht, kommt a Kuah hoam. E 20jährigs Chalb git kei
gschidi Chue me. Bezogen auf Mutter und Tochter: Närrische Kühe haben
spinnende Kälber. Die Tochter muss aber nicht nach der Mutter schlagen: E
gueti Chue chann au e schlechts Chalb ha. Schwarze Küah gebet au weiße
Milch. Blinde Küh kälbere au.
Auf historischen Scherzpostkarten sind immer wieder Kuhattacken dargestellt.
Solche Angriffe waren früher, als es im Alpenraum noch keine
Mutterkuhhaltung gab, höchst selten. Die Beliebtheit des Motivs hat die
gefährliche, verschlingende Frau zum Gegenstand. In einem Naheverhältnis
dazu ist die junge Frau zu sehen, die Milch aus einer Zitze in das Gesicht
eines Mannes spritzt. Wir haben es mit Kippbildern zu tun, fügen sich beide
Motive doch zur schleckenden Kuh, was auf das Begehren verweist.
Motive kennen in der Regel eine lange Geschichte. Die milchspritzende Frau
ist uns aus der christlichen Ikonographie vertraut. Man denke an
Darstellungen, in denen die Jungfrau Maria in einem weiten Bogen Milch aus
einer ihrer Brüste in den Mund des Heiligen Bernhard spritzt. Mit Erotik
oder Sexualität hat das alles nichts zu tun. Es ist die Milch der
Ermunterung und Tröstung.
Was für ein Gegensatz, schaut man sich die Bilderstrecke aus dem
Winterkatalog 2001 von Sisley an. Die Hand einer jungen Frau drückt die
Zitze einer Kuh. Milch spritzt heraus. Auf der nächsten Aufnahme rinnt Milch
über die Beine der nun im Stroh liegenden Frau. Blättert man um, ist das
Gesicht der jungen Frau zu sehen. Sie spritzt sich Milch aus einer Zitze in
den geöffneten Mund. Das milchtriefende Gesicht scheint glücklich, die junge
Frau in einem Zustand größter Lust. Das folgende Bild gibt den Blick auf ihr
Höschen frei. Auch die Schenkel sind mit Milch bespritzt. Das lässt an die
Protagonistin Marpha in Sergej Eisensteins Film Die Generallinie aus den
Jahren 1926/29 denken. Die aus den beiden Rohren der Zentrifuge rinnende
Milch bekleckert Marphas Gesicht und Hände. Auch sie scheint dabei höchste
Lust zu empfinden. Eisenstein bediente sich in üppiger Weise der
Fruchtbarkeitsmetaphorik. Die Technik hat er der Stadt, dem Mann, die Natur
dagegen dem Land und der Frau zugeordnet. Mit Sexualität oder Erotik hatten
seine Bilder nichts zu tun, mochte er sich auf der latenten Ebene solcher
Bilder bedienen. Eisenstein war davon überzeugt, dass die Technik die Bauern
aus der Armut führen würde. Was für eine absurde Vorstellung in der heutigen
Welt: Eine Zentrifuge, die Glück verspricht!
Es ließen sich hier viele Beispiele anführen. Ich denke etwa an eine
Zeichnung von Günter Brus aus dem Jahr 1970, auf der eine junge Frau eine
Zitze einer Kuh in ihr Geschlecht einführt. All das sagt nichts über Kühe,
noch weniger über das bäuerliche Geschlechtsleben. Dies gilt auch für den
Jungbauernkalender, auf dem junge Bäuerinnen und junge Bauern nackt oder
halbnackt posieren, und zwar in landwirtschaftlichem Ambiente. Auch hier
werden Stereotypen reproduziert, bleibt die Frau dem Euter zugeordnet,
während der Jungbauer mit künstlicher Besamung beschäftigt ist. An dieser
Stelle ließe sich ein langer Exkurs zu urbanen Bildern schreiben, deren sich
heutige Bauern oder die Agrarindustrie bedienen.
Postkartenmotive werden in der Regel auf den Adressaten, die Adressatin
bezogen ausgewählt. Was der oder diejenige einer bestimmten Person damit
mitteilen will, lässt sich nur vermuten, selbst dann, ist die Karte
beschriftet. Auf einer der Karten, die eine angriffslustige Kuh zeigt, ist
in Spiegelschrift zu lesen: „den 24. Tag liebe Rosa, heutemitag bin ich
wider ins geschäft gedreten geht aber noch nicht ganz gut immer noch
schmerzen, wirglich haben wir sehr kaltes Wetter wie geht es Dir mit
freundlichem gruß Dein lieber Joseph sc bitte bald.“ Spiegelschrift wird
dann benutzt, sollen Dritte eine Mitteilung nicht entziffern. Auf was
beziehen sich die erwähnten Schmerzen? Auf die abgebildete Kuh wohl nicht.
Auf einer anderen Karte mit demselben Motiv ist zu lesen: „Ungenannt doch
wohl bekannt. W.W.J.“
Um das zu beantworten lohnte es sich, abgeschickte Postkarten mit demselben
Motiv zu sammeln. Bei den von mir gesammelten Kuhpostkarten ist auffallend,
dass der überwiegende Teil an Frauen adressiert ist: „Vbg., den 10. Oktober
1900. Wertes Fraulein Anna! Ich danke Ihnen bestens für Ihre werte Karte von
heute Morgen. – Die Kouplets, welche ich meine, sind 2 Stk. Das eine handelt
von einem Bader, der einen kranken Bauern zuerst zur Ader ließ, dann als
dies nichts half, ihn schröpfte, dann die Haare schnitt und ihn rasierte. –
Als der Bauer aber bald starb und seine Frau ihn beweinte, tröstete sie der
Bader damit, daß der Bauer doch wenigstens sauber aus der Welt gegangen sei.
– Das andere Kouplet geißelt die Frauen; es heißt darin u.a. Ich stelle
heute den Vergleich, das Menschenleben ist ein großer Teich, wir armen
Männer sind die Fischelein usw. und wohl jede Dame die hier sitzen thut, die
hat auch manche große Wut doch ach ich bitt’ recht schön, es ist ja nur ein
Gruß geschehen usw. Ich hoffe, daß Sie mir die Kouplets nun recht bald
zusenden und werde mich dann bei Gelegenheit ...“ Oder auf einer um 1900
wohl zugesteckten oder hinterlassenen Karte ist zu lesen: „An the black nice
girl [H] Waldvögelein with kind regards remains ...“ Aber es ist nicht
anzunehmen, daß es sich bei dem black nice girl um eine Melkerin gehandelt
hat. Der Abstand zwischen den bürgerlichen Sommerfrischlern und der
bäuerlichen Bevölkerung war damals viel zu groß. In zeitgenössischen
Reiseberichten, in denen etwa von Übernachtungen in Almhütten die Rede ist,
finden sich keine hübschen Melkerinnen: „Jetzt traten wir ein und begrüßten
die Sennerin. Sie war bereit uns zu behalten. Sie sah aber ganz anders aus
als jene auf dem Theater. Es war eine alte, sehr kräftige Frau mit Runzeln
im Gesicht, die schon 30 Sommer auf die Alpe gezogen war. Die Senner suchen
eine besondere Ehre darin, ein recht schmutziges Hemd zu haben. Sie meinen,
man erkenne darin die fleißigen Arbeiter. Die alte Sennerin schien ihrem
Hemd nach sehr fleißig zu sein. Außer ihr war aber auch noch eine junge
Sennerin da, eine Elevin, erst 16 Jahre alt, aber wie es schien auch so
fleißig wie die 30malige. Ihr Röckchen war unten in lauter Streifen
zerschlitzt, nicht künstlerisch, rein natürlich, von selbst. Auf den Alpen
ist Alles reine Natur. Anfänglich glaubte ich, sie habe dunkle Strümpfe an,
- es waren aber die lebendigen Beine.“
Was aber, kam es wirklich zu einer Begegnung mit einer Melkerin, einer
Kuh-Frau? Während des Ersten Weltkrieges hatte Robert Musil, er war im
Fersental stationiert, ein Verhältnis mit der jungen Bäuerin Magdalena
Lenzi, die er Grigia nannte, „Grigia, mit langem I und verhauchtem Dscha,
nach der Kuh, die sie hatte, und Grigia, die Graue, rief.“ Als Treffpunkt
ihrer intimen Begegnungen diente ihnen ein Heustadl: „Der Einfall, zusammen
in den Heustall zu gehn – man öffnet ein schweres hölzernes Tor, man zieht
es zu, und bei jedem Grad, um den es sich in den Angeln dreht, wächst die
Finsternis, bis man am Boden eines braunen, senkrecht stehenden Dunkels
hockt – freute ihn wie eine kindliche List. Er dachte an die Küsse zurück
und fühlte sie schnalzen, als hätte man ihm einen Zauberring um den Kopf
gelegt. Er stellte sich das Kommende vor und mußte wieder an die Bauernart
zu essen denken; sie kauen langsam, schmatzend, jeden Bissen würdigend, so
tanzen sie auch, Schritt um Schritt, und wahrscheinlich ist alles andere
ebenso; er wurde so steif in den Beinen vor Aufregung bei diesen
Vorstellungen, als stäken seine Schuhe schon etwas im Boden.“
|
|
|
Seine Geliebte war für Musil so unstandesgemäß, dass er sich nicht einmal
die Mühe gab, in seiner Erzählung Grigia, in der er diese Episode
verarbeitete, ihren wahren Namen zu verschweigen. Wie ihre Kuh, die den Hang
hatte, talwärts zu streben, kannte sie ihren Eigensinn. Für ihn stand sie
den Tieren näher als dem Menschen. Hat Grigia einen viel zu schweren
Rückenkorb zu tragen, so setzt sie, mögen sich ihre Knie biegen, ihre
Halsadern anschwellen, auf ein Zeichen hin wie ein „still gewordenes Tier“
ein Bein vor das andere. Müht sie sich mit einem Heupack ab, den es
einzutragen gilt, so muss Musil an einen Pillendreher denken, der eine Kugel
vor sich her rollt, die viel größer als er selbst ist. Und gibt sie sich ihm
im Heu hin, dann ist es ihm, als läge er auf einem Käfer: „Die Frauen
schließen die Augendeckel und machen ein ganz steifes Gesicht, eine
Schutzmaske, damit man sie nicht durch Neugierde stört; sie lassen sich kaum
ein Stöhnen entreißen, regungslos wie Käfer, die sich tot stellen,
konzentrieren sie alle Aufmerksamkeit auf das, was mit ihnen vorgeht. Und so
geschah es auch; Grigia scharrte mit der Kante der Sohle das bißchen
Winterheu, das noch da war, zu einem Häuflein zusammen und lächelte zum
letztenmal, als sie sich nach dem Saum ihres Rockes bückte wie eine Dame,
die sich das Strumpfband richtet.“ Während Grigia den Namen einer Kuh trägt,
gab Musil dem Mann, der sich in seiner Erzählung mit Grigia in Heuställen
trifft, den Namen Homo, also Mensch. Als Grigia das Verhältnis beendet,
trifft sich Homo ein letztes mal mit ihr in einem aufgelassenen
Bergwerksstollen. Er kommt darin um. Musil phantasierte sich als Opfer der
Grigia. Tatsächlich endete das Verhältnis einfach deshalb, weil er an einen
anderen Frontabschnitt versetzt wurde. Der Abschied dürfte ihm nicht schwer
gefallen sein. Dank seiner Notizen, in denen er Magdalena Lenzi ähnlich wie
ein Insekt beschrieb, konnte er diese bei Gelegenheit eigenen Vorstellungen
entsprechend zu neuem Leben zu erwecken: „Geh ea!“, „Geh aua!“, „Wos, Teufi,
do geh hea“, „I glock an bei Ihm!“, „Reut’s ihn? Viel reut’s ihn?“ „Denken
tut er was ganz andres, i seh’s ihm eini“, „auf’s g’schwindige Wiederseh’n“.
Musil blieb die Welt der Magdalena Lenzi fremd. Traf er sich mit ihr im Heu
und war von draußen das Poltern schwerer Schuhe auf dem Steinweg zu hören,
dann wusste sie die Schritte stets richtig zu deuten, während ihm das Blut
„bis in den Hals“ pochte. Wie läse sich die Begegnung, hätte Magdalena Lenzi
Notizen gemacht? Wie hätte sie seinen Körper, seine Bewegungen, sein
Verhalten oder seine Äußerungen beschrieben?
© Bernhard Kathan, 2016
Die Ilustrationen zu Musils Erzählung Grigia verdanken sich Alfred Zangerl