"Heandorhus"
Vom Umgang mit Tennen, Ställen und Scheunen



Foto: Bernhard Kathan


Eine großes, ganz einfaches Fenster, eingefügt in die Tennenwand eines desolaten Bauernhauses, weckte vor Jahren meine Aufmerksamkeit. Heute weiß ich: Damals dachte jemand, um eine Tenne umzubauen, muss erst einmal Licht hinein. Man muss den Raum sinnlich erfahren, soll es gelingen, das vorhandene Bauerbe in Hinblick auf andere Bedürfnisse neu zu denken. Übliche Umbauten bieten in der Regel wenig Überraschungen. Meist ist schon sehr bald abzusehen, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird. Doch hier war es anders. Beim Vorbeifahren dachte ich manchmal an die Zuckungen verpuppter Insekten. Auch da weiß man nicht immer, was schlüpfen wird, was für eine Art Schmetterling herauskommt. Das Ergebnis hat mich überrascht. Ein funktionales, unpretentiöses, und doch höchst schönes Gebäude. Da wurde ein bäuerliches Objekt erhalten und doch weitergeschrieben. Was für eine Ironie: Die Bauherren, sie sind auch die Architekten, erwarben nicht das Gebäude, sondern einzig das Grundstück, auf dem ein Bauernhaus stand, abzüglich jener Kosten, die bei einem Abriss anfallen.

Mit dem Bauernsterben haben in den letzten Jahrzehnten viele bäuerliche Objekte ihre ursprüngliche Funktion verloren. Dies gilt insbesondere für Ställe, Tennen und Scheunen. Heute werden bäuerliche Objekte neu entdeckt. Der Grund dafür ist dort zu sehen, wo die ehemals bäuerlich geprägten Ortskerne in den letzten Jahrzehnten zunehmend ihre Identität verloren haben, und in vielen Orten zu retten gilt, was noch zu retten ist. Aufgrund der nach wie vor kleinräumig strukturierten Landwirtschaft finden sich im Bregenzerwald nach wie vor viele Beispiele des traditionellen Bregenzerwälderhauses, welches architektoniosch einiges an Qualitäten aufzuweisen hat. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass der moderne Holzbau nicht nur in Vorarlberg wichtige Impulse dem Bregenzerwälderhaus verdankt.

Viele Architekten wissen heute um die Bedeutung des bäuerlichen Bauerbes. Denkt man an den Häuslbau der letzten Jahrzehnte, dann muss man sagen, all diese Objekte altern schnell, schon nach kürzester Zeit wirken sie, als hätte man es mit abgetragenen Kleidern zu tun. Die meisten dieser Häuser werden denn auch nach kürzester Zeit umgebaut, an neue Bedürfnisse oder einem anderen Geschmack angepasst. Das traditionelle Bauernhaus wirkt dagegen wie eine Behauptung gegen solche Hinfälligkeit. Gebäude, deren Struktur sich jahrhundertelanger Erfahrung verdankt und die fast keine individuelle Ausgestaltung kennen, finden wir trotz ihrer Einfachheit schön. Nicht zufällig bemühten Adolf Loos, Martin Heidegger oder andere das Bauernhaus. Es galt mit geringst möglichem Material- und Arbeitseinsatz das Bestmögliche zu machen. Vom verwendeten Material über Ausrichtung bis hin zur Dachneigung orientierte sich die Bauweise an lokalen Gegebenheiten. Angesichts bäuerlicher Bautraditionen sprach Adolf Loos von "Urväterweisheit, geronnener Substanz."

Die Lösungen, die Architekten im Umgang mit leerstehenden bäuerlichen Wirtschaftsgebäuden entwickelt haben, wirken auf den ersten Blick höchst disparat. Der Wiener Architekt Martin Feiersinger hat in seinem Projekt "Wohnungen und Bauernhaus Natalie Kröll" in Ramsau (Tirol) ein im neunzehnten Jahrhundert errichtetes Wohngebäude behutsam saniert, den daneben stehenden Stall ersetzte er durch einen Neubau. Dabei griff er den Baukörper des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes auf und verkleidete den Massivbau mit Holzbrettern des abgetragenen Stalls. Die wieder- oder weiterverwendeten Bretter fügen sich nun in eine formal höchst strenge Komposition, in der sich das Vergangene auf subtil irritierende Weise mit einer neuen Zeichensprache bricht. Die Schiebetore der ehemaligen Scheune finden im neuen Gebäude ihre Entsprechung in den Schiebeläden vor den Fenstern. Feiersinger zitiert Stilelemente bäuerlicher Bautradition, ohne in den Geruch rustikaler Verklitterung zu kommen. Das Beispiel zeigt auch gut, dass man durchaus Objekte abreißen kann, und dies im besten Wissen um bäuerliche Bautraditionen. Auch manche Gaststube ist mit verwitterten oder wurmstichigen Brettern aus ehemaligen bäuerlichen Objekten verkleidet. Solche Verkleidungen behaupten das Bäuerliche, verfehlen es jedoch zutiefst. Feiersingers Neubau erinnert zwar an ein ehemaliges bäuerliches Ensemble. Das Gebäude behauptet von sich jedoch keineswegs, eine Tenne oder ein Stall zu sein.

Oft genug gibt es gute Gründe für einen Abriss. Das Problem beginnt bereits bei feuchten Stallmauern, bei der Raumhöhe der Ställe, beim oftmals ungünstig gelegenen Bodenniveau. Fenster sind in schlecht gemauerte Steinmauern zu brechen. Zweifellos ist es besser, ein Bauernhaus abzureißen, als es durch Umbauten, die seine Qualitäten nicht verstanden haben, zu verstümmeln. Als in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele Bauern die Landwirtschaft aufgaben, um in Fabriken oder anderen Betrieben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war es nur konsequent, den leerstehenden Stall fortan als Garage zu nutzen, bildete doch das Auto zumindest in ländlichen Regionen die Voraussetzung dafür. Gemessen an der Gesamtkubatur war das freilich ein sehr verschwenderischer Umgang mit verfügbarem Raum. Vielfach wurden Ställe einfach "ausgebaut", Wohnungen übereinander gestapelt, ohne sich mit den Möglichkeiten des vorhandenen Raums wirklich zu beschäftigen. Solche Umbauten haben mehr mit Ausstopfen als mit Architektur zu tun. Ein Neubau muss nicht schlecht sein, und das nicht allein auf das Objekt selbst, sondern auch auf seine Einbettung in die dörfliche Umgebung bezogen.

Der Tiroler Architekt Martin Scharfetter hat das Problem in seinem Umbau des Wirtschaftsgebäudes des Seehofes bei Lans (Tirol) auf sehr überzeugende Weise gelöst. Er hat in das Tennengebäude ein Holzhaus eingefügt, also ein Haus in ein anderes Haus. Die begehbaren Flächen zwischen Tennenwand und eingesetztem Holzhaus betonen in besonderer Weise das Spannungsfeld zwischen ursprünglicher und heutiger Nutzung, zwischen Alt und Neu. Das bäuerliche Ensemble blieb in seiner Erscheinung erhalten, und doch hat sich das heutige Wohnhaus radikal von der Nutzung wie den Festlegungen des früheren Objekts emanzipiert.

Im Gegensatz zu trivialen Umbauten von Stallgebäuden ist den meisten dieser Projekte gemein, dass sie die Baustruktur des historischen Bauwerks freilegen, das Gesamtobjekt im Auge haben, Wohnhaus und Stall als korrespondierende Elemente betrachten, und schließlich auf die kontextuelle Einbettung des Gebäudes Bedacht nehmen. Es gibt die irrige Vorstellung, man würde dem ehemaligen Stall dadurch gerecht, kleide man es wie das Vorderhaus, mit Schindeln etwa. Es muss nicht immer Holz sein! Revitalisierungen können auch dann gelingen, werden moderne Materialien verwendet. Dies zeigt etwa ein vom Büro architektur.terminal in Röthis revitalisiertes bäuerliches Objekt. Hier wurde der ehemalige Stall in einer zeitgemäßen Interpretation der alten Holzverkleidung mit Polycarbonatplatten verkleidet. Polycarbonatplatten sind robust, witterungsbeständig, bruchsicher und nicht zuletzt wärmetechnisch interessant. Das Wirtschaftsgebäude verträgt, je nach Standort, durchaus heutige Materialien. Das Beispiel zeigt es gut: Pragmatik und Zurückhaltung verschränken sich in bestem Sinn mit einer am Altbestand orientierten Zeichensprache. Da wird bäuerliches Bauererbe wahrgenommen und doch deutlich gemacht, dass wir in einer anderen Zeit leben.

Dass heute dem bäuerlichen Bauerbe Beachtung geschenkt wird, verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass in einer sich rasch wandelnden Welt Orte zunehmend weniger als identitätsstiftend wahrgenommen werden. Mit bäuerlicher Architektur assoziieren wir Gestimmtheit, Sesshaftigkeit, Geschichte und Heimat. Tatsächlich haben wir es mit vielfältigsten Brüchen zu tun. Auf den ersten Blick weiß man oft nicht einmal mehr zwischen revitalisierten Altbauten und Neubauten zu unterscheiden. Und zu allem Überdruss wird einem nur zu schnell deutlich, dass man den eigenen Geschmack auch nicht ganz abzustreifen vermag. Es ist sehr einfach, Bausünden gegen gelungene Architekturbeispiele auszuspielen. Dies geht - bezogen auf das bäuerliche Bauerbe - am entscheidenden Punkt vorbei. Gibt es die bäuerliche Kultur nicht mehr, dann hat ihre Architektur ihre Begründung verloren. Die überzeugendste Nachnutzung findet sich also dort, wo einzelne Objekte als Heimatmuseen adaptiert werden. Nur, der Bedarf an Heimatmuseen ist gering. Ironischerweise finden sich in manchen ehemaligen Wirtschaftsgebäuden Altwarengeschäfte, in denen die Reste der kleinbäuerlichen Kultur zum Verkauf angeboten werden.

Zweifellos ist es begrüßenswert, wenn Bauernhäuser aufwändig restauriert und revitalisiert werden. Wir vergessen dabei nur zu schnell, dass dies nur bedingt gelingen kann. Im Bregenzerwald wird der Stall als "Heandorhus", also als Hinterhaus bezeichnet. Wird das Wirtschaftsgebäude zu Wohnraum umgebaut, dann mag zwar immer noch ein Gebäude dastehen, aber das ehemals komplexe Gefüge lässt sich nicht länger erhalten. Das Bregenzerwälderhaus kannte eine als "Schopf" bezeichnete, traufseitig gelegene offene Veranda. Hier wurde gearbeitet, getratscht, immer war sichtbar, womit andere gerade beschäftigt waren. Wäsche wurde gewaschen, Obst gedörrt, Schnaps gebrannt, Schweine geschlachtet, Heu abgeladen und so fort. Dieser halböffentliche Raum, dem früher eine wichtige Funktion zukam, verschwindet zusehend. Selbst bei gelungenen Revitalisierungen wandelt sich der Schopf oft genug zu einem verglasten Wintergarten.

Der öffentliche Raum wurde in den traditionellen Dörfern zu jenem Zeitpunkt neu definiert, als die ersten Bauern zu Fabriksarbeitern wurden oder in anderen Bereichen ihren Lebensunterhalt verdienten. Wurden Straßen geteert, sprach man davon, die Wege "staubfrei" zu machen. Tatsächlich wurde das soziale Gefüge des Dorfes neu bestimmt, strikt zwischen öffentlichem und privatem Raum, Eigenem und Fremdem geschieden. Man mag ehemalige Bauernhäuser umbauen, leerstehende Wirtschaftsgebäude ausbauen. Aber nun werden auch sie wie Häusln durch geteerte oder gepflasterte Vorplätze, Gehsteigkanten, Gartenzäune, Rasenflächen und Hecken neu geschrieben. In der kleinbäuerlichen Kultur waren die Menschen trotz aller Konflikte um Anlehnung bemüht. Solche Geselligkeit ist uns fremd geworden. Die Kultur der kleinen Bauern war zutiefst an Orte gebunden, an Grundstücke, an das Haus, das "Geburtshaus", das "Sterbehaus" der Eltern. Von den Bindungen der Vergangenheit gelöst, sind es andere Häuser geworden. Dies erleichtert zwar ihre Nachnutzung. Spricht man allerdings mit Menschen, die sich ein altes Bauernhaus gekauft und revitalisiert haben, dann hört man nicht selten, sie wohnten in einem Haus, das eine Seele habe, das lebendig sei. Hier seien Menschen geboren und gestorben. Mag sein, dass sich solche Empfindungen auch der Lebendigkeit des Holzes verdanken oder auch dem Keller mit all seinen Gerüchen.

Zweifellos ist es erfreulich, wenn heute das bäuerliche Bauerbe anders bewertet wird als noch vor wenigen Jahrzehnten, ebenso erfreulich, wenn sich Gemeinden um die Erhaltung ihrer Ortskerne bemühen. Trotz bester Beispiele für die Nachnutzung ehemaliger Tennen und Ställe haben wir es letztlich - man muss es nüchtern betrachten - mit einer marginalen Reliktarchitektur zu tun. Noch nie hat sich eine Gesellschaft so schnell gewandelt. Im Gegensatz zu den kleinen Bauern leben wir in einer heißen Kultur. Weniger als je zuvor vermögen wir künftige Entwicklungen vorweg zu denken. Da hat die Beschäftigung mit dem bäuerlichen Bauerbe etwas geradezu Heimelndes. Angesichts der wildwüchsigen Verbauung im Umfeld von Ballungsgebieten (Einkaufszentren, Industrie- und Gewerbebetriebe, Freizeitanlagen wie Golfplätze) liegt die Bedeutung des traditionellen Bauernhauses vielleicht weniger in seiner Erhaltung, sondern in dem, was wir von dieser Architektur lernen können. Gute Architektur setzt auf Funktionalität und Zurückhaltung, lebt vom Verzicht auf alles Überflüssige, von der Betonung des Allgemeinen vor dem Individuellen, vom Wissen, das ein Bauwerk über die Grundstücksgrenzen hinaus wirkt.

Foto: Bernhard Kathan


Das als Wanderausstellung konzipierte Projekt war bislang zu sehen:
Nenzing (artenne)
Rehmen (Heandorhus Luis und Anne Marie Bär)
Hittisau (feuerwehr- und Kulturhaus Hittisau)
Egg (Raiffeisenbank)
Alberschwende (Mesmers Stall)
Riezlern (Haus Bernadette und Herbert Fritz)
Bregenz (Landwirtschaftskammer)


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